Predigt MCC Köln, 29. März 2015
Ines-Paul Baumann
Markus 11,1-11: „Jesu Einzug in Jerusalem“
Inmitten von wichtigen Leuten fühle ich mich oft unsicher. Ich habe keine Doktortitel, ich habe keine tolle Arbeitsstelle, ich werde schnell rot, ich lasse die Schultern etwas hängen, ich rede zu schnell (und zu viel oder zu wenig), ich lache zu laut (und an den falschen Stellen). Auf die Frage: „Wer bist du?“ habe ich keine schnelle Antwort parat, auch wenn sie noch so wohlmeinend und interessiert gestellt wurde.
Auf der MCC-Weltkonferenz in Acapulco vor 5 Jahren predigte ich das erste Mal im internationalen Rahmen der MCC. Vor der Predigt wurden diejenigen, die predigten, immer kurz vorgestellt. Ich versank in Grund und Boden. Was gab es schon zu sagen über mich und mein Leben? Eine Menge Chaos und Durcheinander – was davon sollte den Anwesenden eine Hilfe sein, mich und meine Predigt ernst nehmen zu können? Diejenige, die mich vorstellen sollte, lächelte mich und die Anwesenden freundlich an und begann mit den Worten: „Wir haben in der MCC schon viele ungewöhnliche Leute predigen gehört. Aber was Ines-Paul mitbringt, ist schon SEHR ungewöhnlich.“ Und dann ging sie ein paar Stationen meines Lebens durch, und selbst ich fand, das klang gar nicht so schlecht.
An diesem Tag habe ich etwas sehr Schönes erlebt: Ich hatte zwar keine Machtsymbole vorzuweisen. Aber ich wurde ernst genommen. Und das ist ein großer Unterschied.
Es gibt immer wieder diese Stimmen, die uns weismachen, da gäbe es einen Zusammenhang. „Du willst ernst genommen werden? Dann brauchst du die Anerkennung der Mächtigen.“ Die Freundin vom gut aussehenden Schulsprecher wurde ernster genommen als der Freund der pickeligen Leseratte aus der Nebenklasse. Schwule und Lesben, die sich anständig kleiden und beim Standesamt ewige Treue schwören, werden ernster genommen als die provozierenden Tunten und Kampflesben, die sich doch endlich mal „normal“ verhalten sollen. Transgender, die sich im Ergebnis unauffällig in unsere Geschlechterklischees einreihen, werden ernster genommen als die peinlichen oder nervigen Dazwischenhänger oder Übertreiberinnen.
Wir suchen die Anerkennung der gesellschaftlichen Mehrheit und unserer Nachbarschaft. Wir wollen geliebt und geschätzt werden. Wir versichern uns unserer Anerkennung durch Gesetze und Privilegien (so, wie sie gegen eine Öffnung der Ehe kämpfen, scheint die Ehe für viele Heterosexuelle eine sehr wichtige Bestätigung ihres Partnerschaftsmodells zu sein). Wir suchen Anerkennung über Konsumgüter (ist mein Handy neu genug?, meine Frisur modern genug?, meine Brille aktuell genug?, mein Schuh angesagt genug?, meine Figur begehrt genug?, …). Und in der MCC habe ich oft erlebt, dass wir die Anerkennung der „richtigen“ Kirchen und der Öffentlichkeit suchen.
Wir wollen ernst genommen werden und bedienen uns dafür der anerkannten Mächte und Machtsymbole. Unser Auftreten muss stimmen. Wir müssen einen guten Eindruck hinterlassen. Wir müssen uns strategisch gut positionieren. Wenn wir nur mal die Bürgermeisterin für uns gewonnen hätten und professionelle Werbung machen würden und etwas normaler (?!) auftreten würden, könnten wir uns als MCC kaum noch retten vor Zulauf. Wie toll alle immer das Foto finden, auf dem Barack Obama dem Gründer der MCC die Hand schüttelt. Wir in den Medien vorkommen. Die Presse bei uns ist. Hoher Besuch kommt. Unser Gemeindezentrum vorzeigbar ist (und diejenigen, die darin anzutreffen sind).
Ob als Einzelne, als Gemeinde oder als Verbündete (in Gewerkschaften, Verbänden, Netzwerken, …): „Wenn die Mächtigen dich anerkennen und unterstützen, dann hast du’s geschafft.“
[Zwischenbemerkung: WER jeweils die Macht hat, Anerkennung zu verteilen, hängt natürlich vom Zusammenhang ab. Es muss dabei nicht immer um „Reichtum“ und „Stärke“ gehen. Auch die Machtsymbole können unterschiedlich sein. Das fette Auto ist in manchen Kreisen eben nicht der Garant für Anerkennung, sondern für Kopfschütteln. Manchmal muss es eben der abgerissene Kapuzenpullover sein. Oder die Anzahl und Heftigkeit der Diskriminierungserfahrungen. Oder oder oder…. Hauptsache, du passt (zu) denen, die den Ton angeben.]
Mit dieser Strategie hätte Jesus an Palmsonntag schnurstracks zur Parade des Herodes gehen müssen. Wo der Römische Kaiser persönlich einmarschiert, seine Truppenstärke demonstriert und das Volk jubelt. Dort hätte Jesus die wichtigen Leute seiner Zeit angetroffen. Wäre gesehen worden, an und mit den Schaltstellen der Macht. Hätte einflussreiche Leute für seine Sache gewinnen können. Hätte mit Strippenziehern und Multiplikatoren seine Vision vorantreiben können. Hätte Lobbyarbeit bei Richtern und Finanzbeamten leisten können. Hätte lernen können, mit welchen Mitteln sich Macht sichern lässt, mit welchen Strategien sich eine erfolgreiche Zukunft aufbauen lässt.
Aber was macht Jesus? Er zieht seine eigene Parade auf. An diesem Tag hat Jesus seine Karriere vergeigt.
Jesus schnappt sich einen Esel und reitet in Jerusalem ein. (Aus Sicht der Machthabenden: „Na gut, ein verrückter Spinner. Lustige Aktion! Süß!“)
Seine Anhänger jubeln ihm zu. (Aus Sicht der Machthabenden: „Na gut, so viele sind es ja nicht. Aber das müssen wir mal im Auge behalten.“)
Und sie wedeln Palmzweige. (Aus Sicht der Machthabenden: „Oh. Das geht zu weit. Jetzt muss einer sterben.“)
Die Palmzweige machen aus dem lustigen Event eine ernste Sache. Palmzweige waren das Symbol des römischen Sieges. Victoria, die Göttin des Sieges, hatte nicht nur einen Lorbeerkranz in der Hand – sondern auch einen Palmzweig. Der militärische und gesellschaftliche Sieg um die Macht hatte dem Römischen Reich zu gehören.
Mit den Palmzweigen wird klar: Jesus zieht hier nicht nur einen Spaß durch. Das hier ist mehr als ein kleiner lustiger FlashMob, so schnell vorbei, wie er begonnen hat. Jesus lässt das Schwenken der Palmzweige zu. Er lässt sich bejubeln. Er feiert einen Einzug als König. Als derjenige, dem der Sieg gehören wird.
Jesus winkt an dieser Stelle nicht ab. Jesus sagt nicht: „Hört auf damit, Leute. Das ist doch Unsinn. Was habt ihr für übertriebene Erwartungen an mich. Ich bin auch nur ein Mensch. Hört auf, auf einen König zu warten, der alles für euch richten wird. Ein Königreich, das läuft doch wieder nur auf Macht und Unterdrückung hinaus. Lasst die Palmzweige mal stecken und geht nach Hause!“ Nein, Jesus lässt es geschehen, dass die Leute jubeln und ihn feiern – als König und als Sieger.
Jesus nimmt die Menschen ernst mit ihrer Sehnsucht. Mit ihren Hoffnungen. Mit ihren Träumen. Mit ihrem Leid. Mit ihrem Frust.
Und Jesus nimmt Gott ernst – inklusive der Verheißungen Gottes: Dass es anders zugehen kann und wird auf Erden. Dass die Armen satt werden, die Gefangenen frei werden, die Blinden sehen werden (also dass uns irgendwann die Augen aufgehen werden) und die Lahmen gehen werden (uns also nichts mehr davon abhalten kann, unseren Weg zu gehen). Wir sollen nicht verbleiben in Mitmachzwang, Beschränkung und Einschränkung. Wir sollen nicht meinen, das müsse eben so sein.
Und genau deswegen, weil Jesus sowohl die Menschen ernst nimmt als auch Gott, deswegen kann Jesus diejenigen Mächte nicht ernst nehmen, die genau das nicht tun. Und ihre Machtsymbole genau so wenig. Und ihre Machtmittel, Machtspiele und Strategien ebenso wenig.
DAS ist der Grund, warum sie Jesus loswerden wollen. Mit dem Jesus, der auf einem Esel nach Jerusalem einzieht, macht das Markus-Evangelium deutlich: Jesus wird geopfert auf dem Tisch der Macht – und nicht auf dem Altar Gottes.
Nicht Gott ist es, die einen toten Jesus braucht, um Frieden mit der Menschheit schließen zu können. Die einzigen, die einen toten Jesus brauchen als Mittel für Frieden, sind die Mächtigen des Römischen Reiches. Der PAX ROMANA erlaubt keine Palmzweige für jemanden, der Menschen und Gott ernster nimmt als die Vorgaben derjenigen, die vom System profitieren.
Wir mögen sagen: „Mir ist das egal. Ich will diesen PAX ROMANA. Mir geht es gut damit. Allen, die willens sind, dabei mitzumachen, geht es doch auch gut. Wo ist das Problem? Wenn alle mitmachen, leben doch auch alle in Frieden! Warum sollten wir uns dagegen auflehnen – genau wie bei Jesus bringt das nur Ärger. Es macht den Leuten sogar falsche Hoffnung! Selber schuld, wer da ausschert und für Unruhe sorgt! Ist doch klar, dass dann mit Gewalt durchgegriffen werden muss! Was hat Jesu Ritt auf dem Esel denn am Ende gebracht? Nichts! Es hat Jesus ans Kreuz gebracht. Aber es hat nichts verändert in der Welt. “
Ja, das können wir denken. Wir können zu den Prozessionen gehen, wo auch heute gesellschaftiche Anerkennung verteilt wird. Wir können die Anerkennung derer suchen, die auch heute über Einfluss und Finanzen und Gesetze und Privilegien entscheiden. Wir sollten aber so ehrlich sein, das dann nicht „im Namen Jesu“ zu tun. Auch nicht dann, wenn wir damit den Einfluss von Kirche sichern wollen. Mit dem Einzug auf dem Esel weigert sich Jesus, die Macht Gottes mit Machtmitteln zu vermitteln.
Wir wissen nicht, ob und inwiefern Jesus ein Königreich mitgestaltet hätte, in dem er selbst der König sein würde. Aber mit dem, was wir bei Jesu Einzug in Jerusalem sehen, haben die Machtsymbole der Mächtigen ausgedient. Jesus interpretiert die Ausübung von Macht hier gänzlich anders. Jesus „queert“ hier sozusagen die bekannte Auffassung von Macht, Königreich und Herrschaft.
Im Blick AUF Jesus dürfen wir weiter jubeln, hoffen, singen, alles geben und uns sogar niederwerfen. Aber wir tun das vor jemandem, dessen Blick AUF UNS nicht von oben herab kommt. Sobald wir wieder aufstehen, sind wir auf Augenhöhe. Und sehen jemanden lächeln, voller Weisheit und in aller Unerschrockenheit, der keine Angst mehr kennt vor allem und allen, was uns noch Angst machen will.
Wenn mir ab heute „Könige“ und andere Mächtige mit aller Macht einreden wollen, dass meine Anerkennung in ihrer Macht liegen soll, dann denke ich an den König auf dem Esel, der mich ernst nimmt. Und dann lächle ich zurück und weiß, für wen ich alles tun werde – und für wen nicht. Mit allen Konsequenzen, die ich dafür vielleicht auf mich nehmen muss.
PS: Von der schwedischen Fotografin Elisabeth Ohlson gibt es ein Bild, das Jesus auf einem Fahrrad inmítten einer Art CSD-Parade zeigt (z.B. hier zu sehen: http://sugarbox.at/2012/12/23/elisabeth-ohlson-provokative-queere-fotokunst/#jp-carousel-1308). Ab sofort möchte ich neben alle Kirchenlieder und Gebete und Glaubensbekenntnisse, die von Königtum und Herrschaft reden, einen Drahtesel malen!