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Als sie ihren Glauben zu Grabe trugen, kam der Wandel. (Eine streitlustige Predigt zu Auferstehung & Aufstand.)

Predigt MCC Köln, 5. April 2015
Ines-Paul Baumann

Ostersonntag

1) Von nicht mehr Glaubenden…

Ihren Glauben hatten sie zu Grabe getragen. Eben waren sie noch glühende Mitstreiter an der Seite Jesu gewesen und sahen eine neue Zukunft für die gesamte Welt heranbrechen. Nun wandten sie sich ab, trauerten ihrer alten Gemeinschaft hinterher und nahmen Abschied. Ihre Hoffnung war dahin. Statt Liebe hatte sich Resignation unter ihnen breit gemacht und sie waren dabei, sich in alle Winde zu zerstreuen.

Immer wieder, wenn ich junge Leute heute in Gemeinden gehen sehe, muss ich an die Erzählungen in den Evangelien denken. Genau wie die damaligen Anhänger und Anhängerinnen Jesu wird sich ein Großteil von ihnen irgendwann wieder vom Glauben verabschieden. Sie werden die Kirchen verlassen und ihren Glauben zu Grabe tragen.

Ein paar wenige von ihnen werden vielleicht Jahre später zur MCC kommen. Sie werden die Scherben zusammenkehren und gucken, ob sie darin vielleicht doch noch einen Sinn finden können.

Die Gründe dafür, dass sie sich vom Glauben abgewandt haben, sind vielfältig – und meistens haben die Gründe weniger mit Jesus zu tun als mit dem, was aus Jesus gemacht wurde. Was Menschen aus Eigeninteressen mit Jesus angestellt haben. Wie Jesus entweder zum Spielball gemacht wurde, der den Interessen zu gehorchen hat – oder Jesus zum Verstummen gebracht werden muss, wo er zu viel widerspricht.

Ich werfe dem Christentum auch unserer Zeit vor, dass wir Jesus zu oft vor den Karren moralisch-konservativer-neoliberaler Werte gespannt haben. Jesus ist dann plötzlich ein Vertreter von Kleinfamilienidealen, Arbeitsethos, Kondomverboten, Lustfeindlichkeit (Körperfeindlichkeit überhaupt), Fremdenfeindlichkeit, Judenhass, Herabsetzung von Frauen, Leugnung wissenschaftlicher Erkenntnisse, Gegner der Postmoderne und aller Veränderungen überhaupt, Geschlechterrollen und Beziehungsformen inbegriffen.

Heute ist es nicht mehr das Römische Reich, an dessen System sich Jesus hätte anpassen sollen. Heute sind es festgesetzte Glaubenssysteme, Kirchenstrukturen und bürgerlich-neoliberale Ideale, an die Jesus angepasst werden soll.

Und wo Jesus nicht ins System passt, wird Jesus auch heute zum Schweigen gebracht, unsichtbar gemacht, aus dem Weg geschafft – gekreuzigt eben und zu Grabe getragen.

Diejenigen, die auf Veränderungen hoffen, sollen in Jesus keinen mehr finden, der ihren Weg mitgeht. Gerechte Verteilung von Ressourcen, Gleichberechtigung vielerlei Geschlechter, offener Zugang zu Sicherheit, Existenzminimum für Kranke und Leidende, Selbstermächtigung und Sichtbarkeit unterschiedlicher Körperlichkeiten – wer auf eine solche „bessere“ Welt hofft, soll genau wie Jesus als Träumer/in degradiert werden. Und wer zu weit geht und es wagt, andere Möglichkeiten auszuprobieren und sich den Vorgaben zu entziehen, muss zu spüren bekommen, dass es so nicht geht. Entzug von Hilfeleistungen, mentale Krankschreibungen, Ausschluss aus Gemeinschaften, Abwertung auf dem Beziehungsmarkt, mangelnder Selbstwert bei mangelndem Konsum, all das zeigt Wirkung. Viele haben nicht nur den Glauben an einen Gott verloren, sondern auch den Glauben an sich selbst (und an ihr Recht auf „So-Sein“, wie sie sind).

Glaubensgemeinschaften und Kirchen leisten Beihilfe – oder werden ebenso herabgesetzt und übergangen (wenn sie es z.B. wagen, sich für Flüchtingsrechte einzusetzen, die nicht nur der Partei mit dem großen christlichen „C“ im Namen längst zu weit gehen).

All das trägt mithilfe von „Sachzwängen“ und angeblichen Alternativloisgkeiten dazu bei, dass wir heute inmitten von Menschen leben, die „Glaube, Liebe und Hoffnung“ zu Grabe getragen haben.

Vielleicht hatten auch wir selber andere Erwartungen an ein Leben mit Gott. Müsste nicht alles viel schöner sein, wo Christen zusammenkommen, um Gemeinde zu sein? Müssten wir hier nicht einen Wohlfühl-Traum von Versöhnung und Wertschätzung geboten bekommen? Bestätigung unserer Meinungen und Überzeugungen? Reife, geheilte, ausgeglichene, anziehende, freundliche, geduldige Leute um uns herum? Tolle Predigten, tolle Gefühle, tolle Lieder, tolle Stimmung? Zumindest INTERESSANT muss es immer sein und es muss unserem WOHLBEFINDEN dienen?

Ich hoffe, ich predige eure Oster-Stimmung gerade nicht in Grund und Boden. Aber genau das ist der Boden, in dem Auferstehung gründet. Der Punkt, wo alles blöd, aussichtslos und gescheitert erscheint. Wo nichts mehr da ist, was Glauben tragen kann: Keine guten Gefühle. Keine Überzeugungen. Keine Gemeinschaft.

Genau das war die Situation nach Jesu Tod. Vielleicht gäbe es heute ein paar, die sich noch vornehmen würden, die Sache weiterzutragen. „Er ist zwar tot, aber in unseren Herzen lebt er weiter“? Das mag ehrenvoll sein, aber In den Evangelien werden die Jünger Jesu nicht so dargestellt. Die ehemaligen Anhänger und Anhängerinnen Jesu haben keine positiven Gedanken. Keine sicheren Überzeugungen. Keine tragende Gemeinschaft.

Ihnen fehlt eigentlich genau das, was Glaube und Gemeinden heute „sicherstellen“ sollen. „Nützliche“ Impulse. Glaubensgewissheiten. Eine Gemeinschaft von Überzeugten, die aufeinander eingeschworen ist und sich von einem tollen Gottesdienst zum nächsten tollen Gottesdienst schaukelt. Am besten noch mit einem auffrischenden Hauskreis unter der Woche. – Nichts davon war da, als Jesus als Auferstandener in Erscheinung trat.

2) … zum Glauben an die eigene Sache…

Ich betone diesen Punkt so, weil wir immer noch so oft denken, dass unsere Erfahrungen als Glaubende von uns abhängen. „Wir müssen nur die richtigen Überzeugungen haben. Wir müssen nur in die richtige Gemeinde gehen. Wir müssen nur mit den richtigen Gefühlen da ran gehen. Dann werden wir Jesus begegnen, ist doch klar! DANN werden wir auch heute erleben, dass Jesus lebt! Der Auferstandene ist da für alle, die an ihn glauben.“

Damals war es genau umgekehrt. Jesus erschien denen, die überhaupt nicht erwarteten, ihm zu begegnen:

  • Die beiden Marias waren nur zum letzten Abschiedsritual nochmal am Grab Jesu. (Mt 28,1)
  • Die Emmaus-Jünger: waren traurig, erschreckt und hatten mit allem abgeschlossen (Lk 24,17.21.22).
  • Die elf Jünger in Jerusalem, die immerhin noch beieinander waren, aber bei Jesu Erscheinen auch erschraken und sich fürchteten und meinten, sie sähen einen Geist (Lk 24,37); und selbst dann reagieren sie erst mal so, dass sie eben NICHT glaubten (Lk 24,41)
  • Maria von Magdala steht weinend am Grab und meint, Jesus sei der Gärtner (Joh 20,11.15)
  • die Jünger, die aus Furcht hinter verschlossenen Türen versammelt sind (Joh 20,19)
  • Thomas, der nichts von dem glauben kann, was die anderen vom auferstandenen Jesus erzählen (Joh 20,25) (wäre schön, wenn Zweifelnde und Ungläubige auch heute so selbstverständlich die Gemeinschaft der Glaubenden und Gewissen teilen dürften)
  • die Jünger, die mit leeren Händen dastehen, also inmitten des Gegenteils von Fülle, Sattsein, Glück und Zufriedenheit (Joh 21,3)
  • Saulus, der die Anhänger und Anhängerinnen samt ihres Jesus-Glaubens sogar vernichten will, statt danach sucht, sich ihnen anzuschließen (Apg 9)
  • Und dann gibt es noch diejenigen, die dem Auferstandenen begegnen, weil sie befolgen, was Jesus „ihnen beschieden“ hatte – aber selbst unter ihnen darf Zweifel herrschen, und sie erleben den Auferstandenen trotzdem (Mt 28,17).

Wie können wir heute ernsthaft behaupten, dass Jesus genau denen erscheint, die mit dem richtigen Glauben darum bitten und Jesus per Gebet in ihr Leben einladen? In den Erscheinungserzählungen ist Jesus ist Menschen erschienen, wo sie gar nicht darum gebeten oder gar damit gerechnet haben. Mit der Auferstehungserfahrung kehrte etwas in ihr Leben ein, was viel stärker wirkt als Glaubensgewissheiten oder Überzeugungen oder positives Denken: Sie wurden mit hineingenommen in ein Leben, das keine Angst mehr haben muss vor Todesmächten.

Auferstehung ist das Bekenntnis Gottes zu dem Jesus, den das System weggeschafft haben wollte. Gerade diejenigen, die sich nicht zu ihren Vorstellungen bekennen durften, sind diejenigen, denen diese Kraft Gottes erscheint. Ihnen zeigt Gott sich selbst, Nähe, Liebe, Offenbarung, Zuspruch, Trost und Kraft. Ihnen vertraut Gott wichtige Aufgaben an. Ihnen vertraut Gott sich selbst an. Und aus Menschen, die nicht an sich glauben sollten, werden Menschen, die an die eigene Sache glauben. Aus Menschen, die angepasst werden sollten, werden Überwinder. „Schwul“, „Kampflesbe“, „behindert“, „Transe“, „queer“, all das waren und sind Schimpfwörter – und stehen heute doch auch für Erfahrungen von Selbstermächtigung, Solidarität, Sichtbarkeit und Repräsentation. Für Lebensformen nach eigenen Vorstellungen.

Auferstehung ruft auch heute noch genau die Menschen, die abgeschrieben und unsichtbar gemacht und zurechtgestutzt werden sollen. Auferstehung ruft uns als diese Menschen, und sie ruft uns zu diesen Menschen.

3) … zu nicht-mehr-alles-Glaubenden.

Damit können und müssen wir nicht mehr alles glauben, was uns erzählt wird (weder von Glaubens-Repräsentanten noch von Wirtschaftssystemen). Hier nur zwei Beispiele:

1) Wer soll mir nach den Erscheinungserzählungen noch ernsthaft weismachen dürfen, wo wir Jesus erleben und wo nicht? Die Hälfte der Erscheinungserzählungen beschreibt Menschen, die Jesus erst mal für einen ganz normalen Zeitgenossen halten. Wer würde heute in dem Gärtner oder dem Spaziergänger am See oder dem Mitreisenden Jesus erkennen?

=> Auferstehung heißt: In allen Menschen kann uns Jesus begegnen. Halte die Augen dafür offen, Jesus auch in dir selbst zu begegnen. Und halten wir die Augen dafür offen, auch „im weltlichen Umfeld“ Menschen zu begegnen, in deren Gegenwart und Handeln uns Jesus begegnet! Gerade an Orten und in Menschen, wo wir es vielleicht nicht erwarten. Gerade in denen, die von Glaubenssystemen nicht als Teil der Liebe Gottes behandelt werden. Was ist mit den Zweifelnden, Resignierten, Enttäuschten? Mit den Geschiedenen und Wiederverheirateten, die woanders nicht zum Abendmahl zugelassen sind? Was ist mit den Marginalisierten, den Hungernden, Dürstenden, Kranken und Gefangenen? Jesus selbst identifiziert sich mit ihnen! (s. Mt 25,31-46) Und gerade unter ihnen ist ein hoher Anteil Frauen und LGBTIQ-Menschen…!
Hören wir also auf damit, die Nähe Gottes zu suchen durch Nähe zu  herrschenden Meinungen und Gepflogenheiten, wo sie dazu führen, dass Armut und Krankheit gerechtfertig werden. Gerade hier bedeutet Auferstehung auch Aufstand.

2) Wer soll mir nach der Passionswoche Jesu verbieten, auch Momente und Stimmen in unserem Glauben zuzulassen, die auch mal denken: „Gott ist tot“? Wenn Jesus wirklich Gott war, dann war Gott nach der Kreuzigung tot. Nehmen wir das zur Kenntnis als Teil unseres Glaubenskontextes. Nicht wir müssen Jesus aus dem Grabe rufen. Jesus ist eben nicht davon abhängig, dass wir ihn mit unserem Überzeugtsein herbei-glauben. Dass er „in unseren Herzen weiterlebt“. Dass unser Gefühl ein Maßstab dafür ist, ob Jesus lebt oder nicht.

=> Auferstehung heißt: Jesus ist nicht nur dann lebendig, wenn unser Glaubensgefühl lebendig ist. Nicht wir machen Gott lebendig, sondern Gott macht uns lebendig.
Halten wir Gott alles hin, was in unserem Glauben, unseren Überzeugungen, unseren Gefühlen und unserem Leben abgestorben ist. Halten wir Gott alles in uns hin, was uns geprägt hat, was verwundet ist, was zum Schweigen gebracht wurde. Halten wir Gott unser ganzes Selbst hin. Gott wird es wandeln, verbinden mit der Quelle der Auferstehungskraft, mit einer neuen Schöpfung.
Dieses Glaubens-Leben ist dann nicht mehr abhängig von meinen Überzeugungen, Gefühlen und Gemeinschaftserlebnissen. Dadurch bin auch ich selbst nicht mehr abhängig von meinen Überzeugungen, Gefühlen und Gemeinschaftserlebnissen. Und schon gar nicht von denen anderer. Die Auferstehung Jesu befreit mich davon, die Gegenwart Gottes in meinem Leben auf Überzeugungen und Gefühle gründen zu müssen. Gott ist immer da, ob ich das nun gerade fühle oder nicht.
Hören wir also auf damit, die Nähe Gottes zu suchen durch Nähe zu Überzeugungen und Gefühlen, in denen ich – ganz Leistungsmensch – auch noch meinen eigenen Glauben leisten muss. Gerade hier bedeutet Auferstehung auch Aufstand.

Als MCC haben wir hier eine besondere Verantwortung. In einer Zeit, in der viele Menschen ihren Glauben zu Grabe tragen (sowohl den an Gott als auch den an sich selbst und den an menschengerechtere Lebensmöglichkeiten), sind wir lebendige Zeugnisse der Auferstehung. Einer Auferstehung, in der sich Gott bekennt gerade zu denen, denen die Liebe Gottes entzogen werden sollte. Damit können wir einander dienen als Überwinder, nicht als Überzeugte. Überzeugte leben aus der Kraft von Glaubenssystemen, in die sie sich selbst, alle anderen und deren Glaubensleben hineinformen wollen. Diese System können tatsächich sehr stark sein, aber sie sind auch starr. Sie grenzen ein und sie grenzen aus. Überwinder hingegen leben aus der Kraft der Auferstehung, der Überraschung, der Begegnung, der Entgrenzung.

Ich wünsche dir heute, dass alle Anteile und Einstellungen, in denen auch du Glaube, Liebe und Hoffnung zu Grabe getragen hast, neu erfasst werden vom Segenswirken Gottes in der Auferstehung. Vom Segenswirken Gottes, das ins Leben ruft. Das Begegnung ermöglicht. Das uns neu in Gemeinschaft ruft – in eine neue Gemeinschaft mit Gott, miteinander und mit uns selbst. Eine Gemeinschaft, in der wir Menschen begegnen, Christus erleben und Community gestalten.

Jesus lebt. Und wir sollen auch leben. Auch da, wo andere das nicht gerne sehen. Gerade hier bedeutet Auferstehung auch Aufstand.

Frohe Ostern allen in und außerhalb der MCC!

 

 

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