Ines-Paul Baumann
Lk 15,1+2.11-32: Vom verlorenen Sohn
Es nahten sich ihm aber allerlei Muslima und Buddhisten, New Age-Anhänger und Agnostikerinnen, um ihn zu hören. Und die Fernsehprediger und Glaubenshüterinnen murrten und sprachen: „Dieser nimmt die Nichtchristen an und isst mit ihnen.“
Und Jesus sprach: 1)
Ein Mensch hatte zwei Söhne. Karl, der jüngere von ihnen, sprach zu dem Vater: „Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht.“ Und der Vater teilte Hab und Gut unter sie und gab Karl alles, was ihm für sein Leben zugedacht war: Gesundheit, Kraft, Lebenslust und Geld.
Karl war es längst zu eng geworden in seiner Familie, der Dorfkirche und all den Erwartungen, die an ihn gestellt waren. Materielle Absicherung, Altersvorsorge, die wöchentliche Routine zwischen immer denselben Arbeiten und sonntäglichen Gottesdiensten, dafür hatte er keinen Sinn. Warum sollte er warten, bis er in Rente ging, um sein Leben zu genießen. JETZT war er tatkräftig und gesund, JETZT wollte er was erleben, JETZT wollte er auf eigenen Beinen stehen, JETZT wollte er etwas sehen von der Welt. Raus aus dem Vertrauten und Langweiligen. Die Bibeltexte der Dorfkirche kannte er, die Gebete kannte er, die Verheißungen kannte er. Und wie eingefahren und dröge sein älterer Bruder damit geworden war, kannte er auch. SO wollte Karl auf gar keinen Fall werden. Was also gab es sonst noch zu entdecken? Sein Vater hatte ihm immer beigebracht, dass er selbst die Verantwortung trug für sein Leben und seine Entscheidungen. Wie sollte er das tun, wenn er gar nicht wusste, zwischen was er sich überhaupt entscheiden konnte? Karl wollte seinen Horizont erweitern, und Karl wollte selbst entscheiden, was in seinem Leben wichtig sein sollte und was nicht.
Also sammelte er bald alles zusammen und zog in ein fernes Land, und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen. Karl genoss das Leben mit allem, was es ihm zu bieten hatte – und mit allem, was er zu bieten hatte. Sein schöner Körper gepaart mit seinem fremden Akzent machte ihn attraktiv. Er war gesund, lebenslustig und spendabel. Das Leben mit ihm machte Spaß, ihm selbst und anderen. Immer gab es genug zu entdecken, zu lachen, zu trinken und zu essen. Karl mochte das Neue und Fremde, es war aufregend und befreiend.
Sein altes Dorf samt seiner Dorfkirche geriet immer mehr in Vergessenheit; die Erinnerungen wurden zunehmend eintöniger und grauer und überlagert vom Staub zweitausend Jahre kultureller Anpassungen. Wie gut, dass er davon weg war. Die neuen Eindrücke, Ideen und Lebenshaltungen waren eine Befreiung, sie eröffneten ihm neue Wahrnehmungen von sich selbst und dem Leben um ihn herum, wie er sie nie zuvor hatte. Hier, in der Fremde, konnte er neu anfangen. Niemand kannte ihn, niemand hatte Erwartungen an ihn, hier war er nicht „der Sohn von“ oder „der Bruder von“, hier war er Karl, er selbst – der Karl, der sich entdecken und entfalten konnte.
Nach einigen Jahren zeigte sein Lebenstil erste Auswirkungen. Zuerst dachte Karl nur, er hätte sich etwas übernommen und bräuchte ein bisschen Ruhe. Er zog sich etwas zurück aus dem Partyleben und gönnte sich zuhause etwas Pause. Als er eines Nachmittags im Fernsehen sah, wie ein Feuer weite Teile der Altstadt verzehrt hatte und viele ihrer üblichen Treffpunkte hatte, war er schockiert und erschrocken. Wie leicht hätte es ihn auch erwischen können. Spontan dankte er Gott (in diesem Moment dachte er nicht darüber nach, welchem), nicht unter den Toten gewesen zu sein.
Einige Zeit später fühlte sich Karl wieder besser und ging wieder vor die Tür. Da musste er feststellen, dass mit dem Feuer das gesamte brodelnde Leben in der Altstadt vernichtet worden war. Die Treffpunkte existieren nicht mehr. Der Reihe nach rief Karl seine Freunde an. Manche erreichte er nicht mehr – sie waren in dem Feuer ums Leben gekommen. Andere legten auf, als sie seinen Namen hörten: Gerüchte über seinen Zustand hatten die Runde gemacht, und nun wollten sie nichts mehr mit ihm zu tun haben. Und die Brüder seines spirituellen Zentrums sahen ihn nicht mehr als gleichwertig an: Dass er krank geworden war und nicht mehr regelmäßig an den Sitzungen teilgenommen hatte, hatte ihn in ihren Augen zu einem Ungläubigen gemacht.
Karl war am Ende. Er hatte keine Freunde mehr, kein Geld mehr, keine Kraft mehr, und von dem spirituellen Weg, der so aufregend und befreiend begonnen hatte, war er auf einmal ausgeschlossen.
Verzweifelt, hungrig und einsam saß Karl in dem stadtbekannten Park vor den Resten der vom Feuer zerstörten Altstadt und wusste nicht mehr weiter. Als ein etwas älterer Herr neben ihm auftauchte und ihn nach einer kurzen Musterung mit offensichtlich interessierter Stimme ansprach, war Karl so weit, all seinen Stolz über Bord zu werfen. Klar würde er mitgehen. Sein geschwächter, aber immer noch ansehnlicher Körper gab ihm die Chance, sich wenigstens auf diese Weise etwas zu essen zu verdienen. Der ältere Mann erzählte von seinen Besitztümern und seinem Bedarf nicht nur an einem sexuellen Diener, sondern auch an einer Arbeitskraft auf seinem Gut, und sofort hängte sich Karl an ihn.
Karl zog bei dem älteren Herrn ein. Er wusste genug von den Sklavenspielchen, um die Bedürfnisse seines neuen Herren zu erfüllen. Schon bald wurde aber klar, dass der Mann sich seinerseits nicht an die Spielregeln hielt. Statt Karl gleichberechtigt, respektvoll und fair zu behandeln, spannte er den Bogen zu weit: Er gab ihm nur wenig und zudem sehr schlechte Kost, selbst als Arbeitskraft auf dem Acker zum Hüten der Säue wurde Karl nicht angemessen entlohnt. Karl war so ausgezehrt und hungrig, dass er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Säue fraßen; aber nicht mal die wurden ihm zugestanden.
Da ging er in sich. Auf dem Acker hatte er Zeit nachzudenken. Erinnerungen an sein altes Zuhause wurden in ihm wach. Er dachte an seinen Vater. „Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die genau so arbeiten wie ich, aber dafür wenigstens Brot in Fülle haben, während ich hier vor Hunger fast umkomme!“, sagte sich Karl. Was war schon der Hunger nach Leben, der ihn damals hatte aufbrechen lassen, gegenüber dem Hunger, der ihn nun leibhaftig aufzehrte!
Plötzlich sehnte sich Karl nach der Sicherheit und Geborgenheit, die ein Leben in dem alten Dorf versprach. Von Abenteuern hatte er genug. Er sehnte sich nach der Regelmäßigkeit und dem Vertrauten. Selbst die Bibelstellen und Gebete versprachen auf einmal einen Halt, wie ihn die spirituellen Übungen nie zu geben vermochten, die er immer selbst zu leisten hatte und die ihn nicht auffangen konnten, als es ihm schlecht ging.
Sein Vater würde sich sicher wundern. Die ganze Dorfgemeinde hatte sicher mitbekommen, auf welche sexuellen und spirituellen Wege sich Karl in der Zwischenzeit eingelassen hatte. Einfach so würde er nicht zurückkehren können. Wichtig war, dass sie ihm seine Rückkehr abnahmen. Er kannte ihre Engstirnigkeit in solchen Dingen. Einfach zu sagen: „Mir ging es schlecht und hier wird es mir besser gehen, also bin ich wieder da!“, das würde ihnen nicht reichen. Irgendwie müssten sie ihm glauben, dass er wirklich wieder zu ihnen dazugehören wollte. Aus seiner Kindheit wusste er genau, was sie hören wollten: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner!“
Es widerstrebte ihm unendlich. Gerade hatte er sich befreit, gerade hatte er gelernt, sich selbst wertzuschätzen, gerade hatte er gelernt, dass er ein Leben in Hunger eben nicht als Teil einer gottgewollten Strafe würde ertragen müssen. Er hörte schon die Stimme seines älteren Bruders: „Siehst du, Karl, dein Dasein unter den Schweinen auf dem Acker ist die gerechte Strafe für deine sexuellen und spirituellen Irrwege!“ Wie froh war Karl, solche Stimmen endlich nicht mehr in sich zu tragen. Vor allem, wo doch sein Bruder bei seinem eigenen Vater auch auf dem Acker schuftete – betrachtete er das etwa auch als Strafe? Wofür, wo er doch in seinen eigenen Augen nie ein Gebot gebrochen hatte? Karl nahm es förmlich die Luft in der Enge solcher Gedanken.
Wie lange hatte es gedauert bis zum dem Durchbruch, dass es gerade nicht um Gebote und Strafe ging, sondern um Gemeinschaft. Dahinter wollte er nicht zurückgehen, waren seine Erfahrungen mit den Menschen seiner alten spirituellen Gruppe auch noch so enttäuschend gewesen. Das nahm er trotzdem mit: Er war ein wertvoller und wunderbarer Mensch!
Nur deswegen traute sich Karl ja überhaupt, nach Hause zurückzukehren.
NEIN das hier war keine Strafe.
JA, er durfte sich für ein Leben ohne Leiden einsetzen.
Er nahm sich fest vor, sich das auch zu bewahren, egal was sein Bruder und die anderen wieder alles predigen würden. Karl musste ja nicht direkt alles mitmachen. Es würde einfach Teil dessen sein, was die anderen machten, würde ihre Sprache und ihre Rituale und ihre Sitten wieder mitmachen, das würde sicher reichen, und dazu war er auch bereit. Hauptsache, er hatte wieder ein zuhause, jemanden um sich, der sich um ihn kümmerte, wenn es ihm mal schlecht ging, und genug zu essen! Hauptsache, er würde nicht mehr so hungrig sein müssen!
Also machte er sich auf und kam zu seinem Vater. Karl atmete tief durch und machte sich auf die Gardinenpredigt gefasst. Er hatte sich lange vorbereitet auf das, was ihn nun erwarten würde. Würde ihn sein Vater nach all den Jahren überhaupt erkennen? Um so erstaunter war Karl über das, was nun passierte: Sein Vater sah ihn schon von weitem und kam ihm entgegengelaufen. Und als er bei Karl angekommen war, fiel er ihm um den Hals und küsste ihn. Mit allem hatte Karl gerechnet, aber das hätte ihn beinah aus dem Konzept gebracht. Schnell spulte er die Worte runter, die er sich so sorgfältig zurechtgelegt hatte: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße.“
Seinen Vater schien das gar nicht zu interessieren. Stattdessen rief er ein paar Angestellte zu sich und gab ihnen Anweisungen: „Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße und bringt das gemästete Kalb und schlachtet’s; lasst uns essen und fröhlich sein! Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden.“ Und sie fingen an, fröhlich zu sein.
Nach einiger Zeit kam Karls älterer Bruder von der Arbeit auf dem Feld zurück. Und als er nahe zum Hause kam, hörte er Singen und Tanzen und rief zu sich einen der Angestellten und fragte, was das wäre. Der aber sagte ihm: „Dein Bruder ist gekommen und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wiederhat.“ Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Da ging sein Vater heraus und bat ihn.
Aber der ältere Sohn antwortete und sprach zu seinem Vater: „Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten, und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre. Nun aber, da dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet.“
1) Nicht der Schluss: „Die Sündigen“ müssen sich erst ändern, schließlich ist Gott ein eifersüchtiger Gott.
Der Vater hörte seinem älteren Sohn zu und dachte nach. Da er Gott war, wusste er, was Karl in seinem Herzen bewegt hatte. Er wusste genau, dass Karl nur aufgrund seines Hungers zurüchgekommen war. Er wusste genau, dass die ganzen Worte von wegen Sünde und Vergebung und „Ich-bin-nichts-wert“ nur so dahergesagt waren, um ihn gütig zu stimmen und wieder Teil zu haben an den Fleischtöpfen. Er wusste genau, dass es Karl mal wieder nur um sein eigenes Wohl gegangen war. Er hätte das nicht durchgehen lassen dürfen. Alle seine Anweisungen und Regeln für die Aufnahme in sein Reich waren nicht eingehalten worden. Der ältere Sohn hatte Recht: Mit den sexuellen und spirituellen Erfahrungen, die Karl gemacht hatte, war ohne eine gründliche vorherige Reue und Reinigung kein Platz für Karl in der Gemeinschaft der Kinder Gottes. Da könnte ja jeder kommen und egal welche Haltungen mitbringen. Nein, so ging das nicht.
Gott ging also hinaus und wies die Band an, mit dem Spielen aufzuhören. Der Tanz und das Geplauder endeten, und der Vater hielt eine wichtige Grundsatzrede:
„Lieber Karl, wir freuen uns wirklich, dass du wieder bei uns aufgetaucht bist. Schön, dass du weißt, wo du hingehörst. Schön, dass du eingesehen hast, dass es dir hier besser gehen wird. Aber du weißt, dass es hier nicht einfach nur um das leibliche Wohl geht. Wenn du einen Platz haben möchtest am Tisch meiner Kinder, also am Tisch der Kinder Gottes, musst du erst mal bekennen, was du falsch gemacht hast. Du musst einsehen, dass sogar deine Motivation von Grund auf falsch ist, mit der du hier aufgetaucht bist. Du denkst nur an dich und an dein Wohl. Siehst du, wie verdorben du von Grund auf bist? Wir hatten gehofft, das Elend, das du erleben musst, würde dir die Augen dafür öffnen und dich demütig machen. Stattdessen nimmst du es als Anlass, darauf zu bestehen, dass es dir gutgehen darf. Das ist nicht christlich. Diese Haltung ist ein deutlicher Beweis für den schlechten Einfluss, den deine religiösen Irrwege bei dir hinterlassen haben. Sage dich von ihnen los und passe dich deinem älteren Bruder an. Der ist erfahren im Leben mit mir und kann dir zeigen, wie ein Leben als mein Kind auszusehen hat. Du wirst viel arbeiten müssen, darfst nie ein Gebot übertreten, wirst nie etwas davon haben und nie mit deinen Freunden einfach mal fröhlich sein z.B. bei einem guten, üppigen, ausschweifendem Essen. Dass ihr hier so feiert, bevor du das nicht gelernt hast, ist mir ein Greuel. Stoppt das Fest und bringt Karl erst mal das wahre Christsein bei.“
– Nein, das entspricht nicht dem Schluss, den Jesus erzählte…
2) auch nicht der Schluss: „Die Fundamentalisten“ müssen sich erst ändern, denn Gott wacht eifersüchtig über alle Verlorenen.
Der Vater hörte seinem älteren Sohn zu und dachte nach. Da er Gott war, konnte er diese Widerrede so nicht stehenlassen. Was für ein Bild dieser ältere Sohn da von ihm zum Ausdruck brachte! Was sollten Menschen wie Karl denken, wenn sie das hörten? Immerhin waren die beiden doch Brüder! Hatte sein älterer Sohn das vergessen? Er konnte von Karl ja nicht mal mehr als von seinem Bruder reden, „dein Sohn“ nannte er ihn nur noch. Wieso nahm er ihn nicht mehr als seinen Bruder wahr? Nur weil er anders gelebt und anders geglaubt hatte als er selber?
Gott brach es das Haerz. Beide waren doch seine Kinder, egal welche Wege sie in ihrem Leben genommen hatten. Bereitwillig hatte er auch Karl ermöglicht, seinen eigenen Weg zu gehen – ohne seine Unterstützung als freigiebig gebender Vater wäre das gar nicht möglich gewesen! Wollte der ältere Sohn ihm daraus etwa auch noch einen Vorwurf machen? Nach dem Motto „Vater, wie kannst du ihm Geld und Gesundheit und Kraft dafür zur Verfügung stellen, ein anderes Leben zu führen, als wir es kennen und lehren?“ Dann wäre also Gott noch schuld daran, dass Leute falsche Wege einschlagen? Gott schmunzelte, ja, das war er, und zwar gerne! Alle Menschen sollten aus ihrem Leben machen können, was sie wollten! Das hieß doch nicht, dass sie nicht mehr seine Kinder waren! Meine Güte, wie konnte sein älterer Sohn nur so engstirnig sein! Gerade Leute wie er standen den Leuten doch dabei im Wege, sich noch als Kinder Gottes zu sehen. Gerade Leute wie er standen Menschen wie Karl dabei im Wege, das Fest der Kinder Gottes mitzufeiern! Nein, so ging das nicht.
„Mein lieber verbohrter, engstirniger Sohn“, sagte Gott also zu Karls Bruder, „es tut mir leid, dass du so dogmatisch daherredest. Mir wird ganz schlecht, wenn ich dich nur von Dienen und Geboten reden höre. Ich ertrage nicht, was das bei Menschen wie Karl auslöst. Ich möchte, dass wir alle zusammen friedlich und fröhlich feiern. Bitte verlasse diesen Hof und komm zur Besinnung. Sobald du alle Menschen, egal wie sie sind und was sie gemacht haben, hier willkommen heißen kannst, kannst du auch gerne wieder Teil unserer Gemeinschaft werden.“
… Nein, das entspricht auch nicht dem Schluss, den Jesus erzählte…
3) Schluss laut Jesus: Gott handelt in Liebe statt in Eifersucht.
Der Vater hörte seinem älteren Sohn zu und dachte nach. Da er Gott war, verstand er, was ihm daran so wichtig war. Er wusste, wovor er Angst hatte und dass seine ganzen Grundsätze ins Wanken geraten waren durch die Feier für Karl. Gott war sehr daran gelegen, auch Karls älteren Bruder seiner Liebe zu versichern und ihm zu zeigen, wie sehr ihn dessen Treue und Hingabe erfreuten. Also sprach er zu ihm: „Mein Sohn, du bist allezeit bei mir und alles, was mein ist, das ist dein.“
Trotzdem wollte er ihm auch vermitteln, wie schön es war, dass auch Karl nun Teil der Gemeinschaft war. Wie viele hatten Karl schon abgeschrieben und als verloren betrachtet. Gott wusste, dass er immer damit rechnen musste, dass Menschen ihre Wege auch ohne ihn gehen wollten – das war OK. Um so schöner war es doch, wenn sie mit allem, was sie unterwegs gelernt hatten, wieder zurück kamen. Also fügte er hinzu: „Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden.“
Wahrscheinlich, dachte sich Gott, war der ältere Sohn so mit Dienen und Arbeiten beschäftigt gewesen, dass er gar nicht mitbekommen hatte, wie er auf Karl zugelaufen war, einfach nur voller Freude und um ihn in den Arm zu nehmen und zu küssen – und ganz ohne vorher nach den richtigen Bekenntnissen und nach Reue zu fragen. Sobald Karl erst mal verinnerlicht hatte, wie sehr er sich über ihn freute, würden sie das alles immer noch in aller Ruhe angehen können, wenn es Karl denn wirklich ein Anliegen war. Gott selbst urteilte nicht danach, mit welcher Motivation, Vergangenheit und Erwartungshaltung seine Kinder zu ihm kamen. Hauptsache, sie waren erst mal wieder da.
Gott hoffte, dass er Karls älterem Bruder auch darin ein Vorbild sein könnte, dem der schon bald nacheifern würde – und sei es halt erst mal aus Sehnsucht nach Anerkennung. Auch das war OK. Gott selbst urteilte nicht danach, mit welcher Motivation, Vergangenheit und Erwartungshaltung seine Kinder es ihm nachtun wollten. Gott war guten Mutes, dass auch sein so diensterfahrener und von Grundsätzen erfüllter älterer Sohn irgendwann seine Liebe wird annehmen können. Dann wird es mit der Eifersucht endlich ein Ende haben und sie werden zusammen das nächste Freudenfest feiern – dann wirklich alle zusammen an einem Tisch.
Gott freute sich so sehr darauf, dass er bis dahin nicht müde werden würde, an der Seite seiner Kinder zu bleiben, mögen sie selber sich gerade lieber draußen oder drinnen aufhalten.
1) Brian D. McLaren: Why Did Jesus, Moses, the Buddha and Mohammed Cross the Road? Jericho Books 2012