Impuls MCC Köln, Ines-Paul Baumann
7. Mai 2023
Heute ist IFED. Der „International Family Equality Day“ feiert jeden ersten Sonntag im Mai die Vielfalt von Familienformen. Es gibt Veranstaltungen für Regenbogenfamilien, also für Familien, in denen mindestens ein Elternteil z.B. inter, trans, lesbisch, schwul oder bi ist. Rechtliche, leibliche, soziale Elternschaften fallen in diesen Konstellationen nicht immer zusammen; rechtlich sind sie oft unsicher und ungleich.
Manche christlichen Stimmen vertreten dagegen, dass es nur ein einziges „richtiges“ Familienbild gibt, und zwar in die Konstellation „Mama, Papa, Kind(er)“. Es gibt also unbedingt und genau und nur zwei Eltern, diese sind cisgeschlechtlich und heterosexuell und monogam und exklusiv dauerverliebt und bekommen Kinder durch gemeinsamen Sex. (Für manche mag das ja ein gutes und passendes Modell sein. Mir geht es heute darum, dass es so oft als EINZIG RICHTIGES und EINZIG „GOTTGEMÄSSES“ Modell dargestellt wird.)
Und während es für queere Menschen lange nicht mitgedacht wurde, dass sie Eltern werden können und dürfen, ist es in Kreisen dieser christlichen Stimmen fast umgekehrt: Es wird selbstverständlich davon ausgegangen, dass jede Person Kinder bekommen und großziehen möchte.
Ihr großes Selbstbewusstsein beim offensiven Vertreten ihrer Position begründen diese Stimmen aus diversen christlichen Spektren damit, dass ihre Ansichten den biblisch dokumentierten Willen Gottes widerspiegeln, wie er in Jesus Christus – Zentrum und Mitte des christlichen Glaubens – offenbart ist.
Ok. Dann schauen wir doch heute mal auf Familiengründung à la Jesus.
Na gut, Jesus selbst hat jetzt gar keine Familie gegründet. Zumindest nicht in dem Sinne, dass in den Evangelien davon berichtet wird, dass er eine Ehe eingegangen wäre und Kinder gezeugt und/oder großgezogen hätte.
Hat er denn wenigstens tatsächlich gesagt, dass die leibliche Elternschaft das wichtigste Kriterium für Familie sei? Nein, im Gegenteil, Jesus geht sogar so weit und stellt Wahlfamilie über Herkunftsfamilie. Der Szene-Slogan „We are family“ als Ausdruck einer gemeinsamen Zugehörigkeit bei aller internen Vielfalt knüpft sehr viel besser an diese Worte Jesu an als jede christliche Fixierung auf die Kernfamilie:
Jesu Mutter und Geschwister kamen, standen vor dem Haus und ließen ihn zu sich rufen. Um Jesus herum saß eine Volksmenge. Da sagten einige zu ihm: »Deine Mutter, deine Brüder und deine Schwestern sind draußen und suchen dich.« Er antwortete ihnen und sagte: »Wer ist meine Mutter? Wer sind meine Geschwister?« Er schaute sich um, sah sie im Kreis um ihn herum sitzen und sprach: »Ihr seid meine Mutter und meine Geschwister. Alle, die den Willen Gottes tun, sind mein Bruder, meine Schwester und Mutter.«
Markusevangelium 3,31-35
(Bibel in gerechter Sprache)
Familiengründung à la Jesus zeigt sich hier selbstbestimmt und inhaltlich statt rein biologistisch.
In Jesu eigener Herkunftsfamilie (der „heiligen Familie“!) fallen leibliche und soziale Elternschaften genauso wenig selbstverständlich zusammen wie in Regenbogenfamilien: An der Seite Marias zieht Josef mit Jesus einen Sohn groß, den er nicht gezeugt hat – genau die Konstellation z.B. jeder lesbischen Zweierelternschaft.
Und wie um gar keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, dass es ihm wirklich nicht um eine biologistisches Verständnis von Elternschaft geht, hat Jesus an seinem Lebensende doch noch sowas wie eine Familie gegründet bzw. gestiftet:
Beim Kreuz Jesu standen aber seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Tochter des Klopas, und Maria aus Magdala. Da sah Jesus seine Mutter und den °Jünger, den er liebte, dastehen und sagte zu seiner Mutter: »Frau, hier ist dein °Sohn.« Dann sagte er zum Jünger: »Hier ist deine Mutter.« Von der Zeit an nahm der Jünger sie zu sich.
Johannesevangelium 19,25-27
(Bibel in gerechter Sprache)
Ob es hier – wie so oft, wenn Ehe und Familie gesellschaftlich als Absicherungssysteme fungieren – um wirtschaftliche Absicherung geht oder nicht: Mit den Bezeichnungen „dein Sohn“ und „deine Mutter“ verwendet Jesus hier eindeutig Begriffe einer Eltern-Kind-Verwandtschaft, ohne sie an leibliche Abstammung zu binden.
Wie bei allem finde ich immer die Frage spannend, was solche Perspektiven denn für unseren Glauben bedeuten. Wenn leibliche Verwandtschaft für Jesus nicht das entscheidende Kriterium für familiäres Zusammenleben und Zugehörigkeit ist, was bedeutet das in Glaubenskontexten für die Frage, was an der leiblichen Elternschaft meist hängt, nämlich: Was prägt uns, wie sind wir eingebunden in die Geschichte der Vergangenheit, wovon ist unsere Gegenwart beeinflusst?
Die Theologin Susannah Cornwall weist in ihrem Buch „Un/Familiar Theology – Reconceiving Sex, Reproduction and Generativity“ (S. 14ff) darauf hin, dass auch Theologie als solche Kind ihrer Geschichte ist, als eine Art „Familiengeschichte“ hat, einen „Stammbaum“ an Kirchengeschichte. Ihr Punkt ist, dass Stammbäume allerdings weder festgelegt noch festlegend sind: Wer genannt wird als Vorgänger_innen aus der Ahnengalerie ist immer eine Auswahl, sowohl in den eigenen persönlichen Familiengeschichten als auch in der Theologiegeschichte.
Und in beiden Fällen (Familiengeschichten und christliche Theologiegeschichte) sind es oft die queeren, postkolonialen und feministischen Stimmen, die eher verschwiegen, vergessen und als etwas peinlich empfunden werden (S. 14).
In meiner persönlichen Familiengeschichte war es der jüngere Bruder meines Vaters. Den gab es eigentlich gar nicht, und wenn, dann immer eher als „da reden wir nicht drüber“. 19 Jahre nach dem Tod meines Vaters, als mit der Schwester auch die letzte von den drei Geschwistern starb, erfuhr ich auf der Trauerfeier, dass mein totgeschwiegener Onkel bisexuell war und sich in den 1990er Jahren erhängt hatte.
Der Umgang der Bibel mit Stammbäumen gibt S.C. recht. Auch die Bibel ist kein Vorbild für die Eindeutigkeit „leiblicher Abstammungen“ und dafür, dass diese immer unzweifelhaft und klar (und damit zwangsläufig das bestimmende Kriterium) sind. Wenn wir allein wieder in die Evangelien gucken: Die Stammbäume für die Herkunft Jesu sind in den Evangelien unterschiedlich. Die Stammbäume im Matthäus- und im Lukasevangelium stimmen nicht überein. Herkunft ist deutbar und lässt sich je nach Perspektive mal so und mal so her- und darstellen. Wo ich herkomme und was mich prägt, ist weit mehr als ein rein leiblicher Aspekt von Elternschaften.
Hinzu kommt, dass die Auffassungen vom richtigen Modell für Zusammenleben sich immer wieder ändern (auch innerhalb der Bibel): Wie viele Menschen, mit welchen Geschlechtern und mit welchen Rollen, all das ist immer auch Teil von gesellschaftlichen Erwartungen und wirtschaftlichen Voraussetzungen.
In der Bibel kommt so ziemlich alles vor – außer dem „christlich“ favorisierten Modell der Kernfamilie mit monogam exklusiv dauerverliebten männlichem Vater und weiblicher Mutter mit leiblichem Kind. (Das hat in der heutigen Form erst vor zwei Jahrhunderten seinen Lauf genommen.)
Wir können bezüglich der Vielfalt an Familienformen und anderen Formen des Zusammenlebens also gerne zuversichtlicher und selbstbewusster auftreten, als es uns gerade von „christlicher“ Seite oft zugestanden wird!
Und wer weiß, was wir entdecken, wenn wir in unserer persönlichen Geschichte und in unserer Glaubensgeschichte auf Suche nach den Stimmen gehen, die sonst wenig Anerkennung erfahren haben – oder uns gar selber als solch eine Stimme zeigen und unabhängig von mehrheitlich anerkannten Zustimmungskriterien unseren Mund aufmachen.
queering psalm 23
Queer Love is my Divine Companion.
In Their company, I unfurl with delight.
They teach me to question the assumed and the rigid.
They lure me with eros, creative and promiscuous.
They fill me with the spirit of Stonewall
and lead me in the ways of “no pride for some of us
without liberation for all of us.”*
Even as systems threaten and forces oppress,
I will forever Act Up; For Silence is Death
and in our holy provocation you are always with us.
You embrace us as chosen family – a comfort in our grief.
You celebrate all that nurtures our aliveness
in the presence of doctrines and policies that deaden.
You bless every trans body.
You declare sacred every sexuality.
Life overflows with possibilities for becoming.
Surely, the glory of the peculiar, the outcast, the righteous freaks and the weirdos
will inspire me all the days of my life,
and I shall dwell among the thresholds
where the Sacred Strange subverts every normalized terror
and the queers of all ilks fight for the right to grow old.– Rev. M Jade Kaiser, enfleshed
*This is a quote from Micah Bazant’s artpiece of Marsha P. Johnson.
https://www.micahbazant.com/marsha-p-johnson
Auf deutsch in etwa:
Queere Liebe ist meine göttliche Gefährtin.
In ihrer Gesellschaft entfalte ich mich mit Freude.
They lehrt mich, das Angenommene und Starre zu hinterfragen.
They lockt mich mit Eros, kreativ und promiskuitiv.
They erfüllt mich mit dem Geist von Stonewall
und führt mich auf den Weg des „kein Pride für einige von uns
ohne Befreiung für uns alle.“
Auch wenn Systeme uns bedrohen und Streitkräfte uns unterdrücken,
werde ich immer aufstehen und „Act Up“; denn Schweigen ist Tod,
und in unserem heiligen Provozieren bist du immer bei uns.
Du umarmst uns als Wahlfamilie – ein Trost in unserer Trauer.
Du feierst alles, was unsere Lebendigkeit nährt
inmitten von Doktrinen und Politiken, die abstumpfend wirken.
Du segnest jeden trans Körper.
Du erklärst jede Sexualität für heilig.
Das Leben quillt über vor Möglichkeiten des Werdens.
Der Ruhm der Eigenartigen, der Ausgestoßenen, der gerechten Freaks und der Sonderlinge
wird mich alle Tage meines Lebens inspirieren,
und ich werde wohnen an den Schwellen immerdar,
wo das Heilige Seltsame jeden normalisierten Terror untergräbt
und die Queers jeglicher Couleur um das Recht kämpfen, alt zu werden.