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Auch Jesus verkroch sich unter der Bettdecke

Momentaufnahme MCC Köln, 6. März 2022
von S.

Markus 14,32-36 & 61b-62

Content Hinweis

(Ines-Paul)

Wir schauen heute auf einen Jesus, dem stellenweise so zumute war, sich unter der Bettdecke zu verkriechen. Und der darüber aber auch wieder ins eigene Handeln kam.

Auch wir müssen immer wieder irgendeinen Umgang finden mit dem, was in unserer Welt und in unserem Leben geschieht. Sich unter der Bettdecke zu verkriechen, kann da eine Option sein. Wie kommen wir wieder in unser eigenes Handeln?

Angesichts unserer aktuellen Weltlage gehören zu den inhaltlichen Beispielen, die in diesem Gottesdienst heute Erwähnung finden, der – so wie es sich uns darstellt – Angriffskrieg Putins in der Ukraine, die Klimakrise, Rassismus und rechtsextreme Gewalt.

Wenn dich das heute an einem falschen Punkt abholt und die Auseinandersetzung mit Bettdecken und aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen für dich heute eher gefährdend als gedeihlich ist, dann fühl dich bitte frei, einen anderen inneren oder äußeren Ort aufzusuchen, dich zurückzuziehen, lieber eine Runde spazieren zu gehen… wo auch immer dich die liebende Begleitung Gottes heute besser erreichen kann. Vielleicht ja auch unter der Bettdecke.

Eröffnung

(Ines-Paul)

An unterschiedlichen Orten und mit unterschiedlichen Perspektiven sind wir nun versammelt

im Angesicht und im Namen Gottes,
von deren Liebe uns weder Leben noch Tod noch trennen können,

im Namen Jesu Christi,
in dem sich die Liebe Gottes körperlich, emotional und diskursiv zeigt und ereignet,

und im Namen des Heiligen Geistes, der Ruach,
die uns in Wahrheiten führt, die befreien,
und die uns tröstet, auch wenn mit solchen Wahrheiten schmerzliche Abschiede verbunden sind.

Und wir entzünden die Gemeindekerze,
die uns verbindet über Orte und Zeiten hinweg,
in Verbundenheit auch mit allen, die jetzt im Moment NICHT mit versammelt sein können oder wollen:
inklusive derjenigen, die sich heute unter der Bettdecke verkriechen,
deren Schmerzen zu groß sind,
die in Selbstfürsorge oder Sorge um andere jetzt an anderen Orten sind,
die aus den verschiedensten Gründen leiden unter Corona, Flucht, Gewalt, Ängsten und allem, was im Namen der Normalität uns und andere kleinmacht.

Gott, wir bitten dich: erweise dich ALLEN in dieser Stunde als Segen.

Lesung

Und sie kamen zu einem Garten mit Namen Gethsemane. Und er sprach zu seinen Jüngern: Setzt euch hierher, bis ich gebetet habe. Und er nahm mit sich Petrus und Jakobus und Johannes und fing an zu zittern und zu zagen und sprach zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt hier und wachet! Und er ging ein wenig weiter, fiel nieder auf die Erde und betete, dass, wenn es möglich wäre, die Stunde an ihm vorüberginge, und sprach: Abba, Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir; doch nicht, was ich will, sondern was du willst!

Markus 14:32-26

Da fragte ihn der Hohepriester abermals und sprach zu ihm: Bist du der Christus, der Sohn des Hochgelobten? Jesus aber sprach: Ich bin’s; und ihr werdet sehen den Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen mit den Wolken des Himmels.

Markus 14:61b-62

Momentaufnahme

(von S.)

Ich wollte heute richtig viel sagen. Ich habe letzten Montag Ines-Paul angerufen und gefragt, ob ich eine Predigt halten kann, weil ich so wütend und rastlos in Bezug auf den Ukraine-Krieg war. Ich habe dann Dienstag eine Predigt geschrieben, in der ich genau diesen Gefühlen Luft gemacht habe. Ich wollte dazu auffordern, sich solidarisch zu zeigen, mit denen, die fliehen, mit denen, die bleiben müssen und mit denen, die in Russland verhaftet werden, weil sie gegen den Krieg auf die Straße gehen. Ich wollte auf die himmelsschreienden Ungerechtigkeiten eingehen – auf die rassistischen Praktiken der Grenzpolizei, die Schwarzen afrikanischen Menschen die Flucht aus der Ukraine verwehrt hat, und auf die Ungeheuerlichkeit, dass der Bundeswehr 100 Milliarden Euro bewilligt wurden für eine nahezu grenzenlose Aufrüstung. 100 Milliarden, die für Bildung, Gesundheitsversorgung, ein bedingungsloses Grundeinkommen, für die Aufnahme, würdevolle Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten aus dem Syrienkrieg und Afghanistan, für erneuerbare Energien oder für die Bekämpfung der Klimakrise angeblich immer gefehlt haben. Wie wütend es mich macht, dass die Antwort auf Krieg und Gewalt, die der Bundesregierung einfällt, die Androhung von noch mehr Krieg und Gewalt ist. Ich wollte darüber sprechen, wie rassistisch die Art ist, mit der vom Ukraine-Krieg gesprochen wird. Wie anders über Menschen gesprochen wird, die aus der Ukraine fliehen müssen, verglichen mit denen, die z.B. aus Syrien geflohen sind. Es ertrinken nach wie vor Menschen im Mittelmeer, weil Europa die Grenzen dicht macht. Die Lager auf den griechischen Inseln wurden während Corona nie evakuiert. Die Menschen, die jetzt fliehen, sind überwiegend weiße Europäer*innen, und plötzlich besinnen sich Politiker*innen wie Orban ihrer christlichen Nächstenliebe. (Natürlich bin ich für eine bedingungslose Aufnahme und Unterstützung aller Menschen, die vor dem Ukraine-Krieg fliehen.)

Und ich wollte darauf eingehen, dass ich all das nicht mehr hören kann, weil das alles in der letzten Woche schon gesagt wurde. Ich wollte darüber sprechen, dass ich diese Phrasen nicht mehr aushalte, dieses elendige Wiederkäuen von Solidarität, Spendenaufrufen und Betroffenheit, dieses endlose Verstricken erschütternden Elends in Worthülsen, bis ein Charity-Event daraus geworden ist. Weil es ein sich ständig wiederholender Kreislauf ist: Diese Woche ist es die Ukraine, die Woche davor war es das Gedenken an Hanau, davor der Gedenktag an die Shoah, die Erinnerung an die Opfer der Flutkatastrophe letzten Sommer, die Menschen in Afghanistan, die Corona-Toten…allein für die letzten zwei Jahre ist diese Liste absolut unvollständig. Und jedes Mal läuft es gleich ab – ein paar gehen auf Demos, Konzerne teilen Share-Pics auf Insta, es gibt Spendenaufrufe und Forderungen nach Solidarität, Christ*innen nehmen an der nächsten „Pray for XYZ“-Aktion teil und wichtige Politiker*innen halten ernste Reden in Kameras. Nach ein paar Wochen spätestens endet dann das mediale Interesse und die Kameras verschwinden. Was bleibt, ist das gute Gefühl, sich interessiert zu haben, und traumatisierte Menschen, deren Leben zerstört wurden.

Ich wollte in der Predigt darauf hinaus, dass wir diesen Kreislauf aus Betroffenheit und Desinteresse nicht durchbrechen können, wenn wir ständig in der Situation total intensiv reagieren, dann emotional erschöpft werden und uns abwenden – denn das ist etwas, was ich zumindest beobachte. Jetzt zum Beispiel fahren gerade so viele Privatpersonen an die Grenzen, um Geflüchtete abzuholen. Es ist mega toll, dass Leute sich kurzentschlossen selbst organisieren und handeln. Auch wichtig ist aber, dass auch langfristige Strukturen aufgebaut werden, wie den Geflüchteten geholfen werden kann. Und ich mache mir Sorgen darüber, wie die Situation sein wird, wenn die Menschen sich abwenden, so wie sie es 2015 getan haben: erst wurden Geflüchtete mit Blumen und Applaus an den Bahnhöfen empfangen, wenige Monate später wurde von Obergrenzen gesprochen und der Hass auf Geflüchtete wurde salonfähig. Ich wollte in der ursprünglichen Version der Predigt darauf hinaus, dass wir uns die Zeit nehmen sollten, das Geschehen zu verarbeiten, um dann langfristige Perspektiven und Wege im Umgang damit zu finden.

Dafür fand und finde ich die Lesung, die wir gerade gehört haben, total hilfreich. Dieser Jesus, der sich kurz vor seinem Tod im Garten verschanzt, von Traurigkeit übermannt wird und mit dem, was ihm bevorsteht, hadert, und vollkommen verzweifelt ist, ist ein ziemlich gutes Vorbild. Er hat sich im Garten diesen Moment genommen, und sich vollkommen seinen Gefühlen hingegeben. Ich glaube, dass das essenziell für sein Handeln danach war. Dass dieser Moment wichtig für Jesus war, um sich den Dingen zu stellen, die ihm schreckliche Angst bereitet haben. Und das lässt sich super auf unseren Umgang mit dem Ukraine-Krieg, mit der Klimakrise, mit Corona, oder mit Themen, die nur uns persönlich beschäftigen, übertragen. Weil Jesus ist nicht im Garten geblieben, sondern er hat sich danach dem gestellt, was ihm Angst macht. Beides ist wichtig: in den Garten zu gehen, und wieder rauszukommen. Beides ist wichtig, und beides darf sein. Und beides darf sich widersprechen: noch im Garten fleht Jesus darum, bitte verschont zu bleiben, dass dieser Kelch an ihm vorbeigehen möge. Und aus dieser Emotion heraus geht er trotzdem wieder raus, und akzeptiert, dass er nicht verschont bleiben wird, gibt vor dem Hohepriester nicht klein bei, wohl wissend um die Konsequenzen, die das mit sich zieht. Er findet seinen Umgang damit.

In der Predigt, die ich Dienstag geschrieben habe, war mein Fazit aus der Stelle folgendes:
„Macht das gleiche wie Jesus: fühlt, was ihr fühlen müsst, ohne euch dafür zu schämen – und dann stellt euch dem, was euch Angst macht. Nachhaltiges Interesse und langfristiger Aktivismus benötigen einen emotionalen Bezug. Wenn wir uns in Aktionismus stürzen, ohne dabei zu fühlen, was das Geschehen mit uns macht, brennen wir aus. Wir sollten es nicht nur beim Fühlen belassen, aber wir können das Fühlen nicht überspringen. Wenn wir das tun, sind die Reden leer, die Demos nur symbolisch und die Solidarität zeitlich begrenzt.“

Da stehe ich auch nach wie vor hinter. Es war für mich am Dienstag total wichtig, eine Predigt zu schreiben, in der ich schimpfe, in der ich wütend, traurig und verzweifelt bin. Als ich aber gestern nochmal drüber gelesen habe, habe ich gemerkt, dass diese Predigt von Dienstag heute nicht mehr passt. Ich musste am Dienstag meinen Gefühlen Luft machen, um am Donnerstag konkrete Handlungsmöglichkeiten finden zu können. Genau diese Ambivalenz, die wir in den Lesungen zu Jesus gehört haben, kann uns meiner Meinung nach einiges zum Umgang mit Krisensituationen lehren: Wir haben Momente, in denen wir heulend und zähneknirschend im Garten sitzen, und es gibt Momente, in denen wir uns genau dem stellen, was uns vorher in den Garten geführt hat.

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