Predigtimpuls MCC Köln, 19. September 2021
Ines-Paul Baumann
Markusevangelium 14,3-9
Diese Predigt ist ein Dankeschön an sporadische Gottesdienst-Teilnehmer_innen und einmalige Gäste,
- die irgendwann auftauchen und dann auch wieder weg sind,
- die dabei etwas Wertvolles mitbringen und einbringen,
- die manchmal vielleicht etwas daneben liegen im Vergleich dazu, wie Kirchenexperten handeln würden,
- aber genau damit Gott auf wunderbare Weise dienen.
- Und viel zu oft nicht angemessen mitgedacht werden.
Aus meiner Sicht seid ihr die heutige Version der Frau von der Salbung in Betanien (Mk 14,3-9).
Gehen wir es mal im Einzelnen durch.
1
Im Markusevangelium ist die Frau auf einmal da. Nennen wir sie einfach mal Lisa. (Ich weiß, das ist eurozentrisch und ahistorisch, aber es übersetzt vielleicht ganz gut die Perspektive auf eine weibliche Person in einer Gesellschaft, die für Frauen oft nicht mal einen Namen übrig hat. In der MCC ist es kaum möglich, um die „Wie-heißt-du?“-Frage herumzukommen; deswegen rückt die Situation MIT Namen etwas besser heran an unsere Gemeinde.) Lisa taucht also auf einmal bei dem Essen auf, das Simon (DER sehr wohl mit Namen genannt wird) gerade für Jesus und andere Gäste gibt. Alle reden nur von ihr als „die Frau“; als Person scheint sie den Anwesenden bis hierher nicht bekannt zu sein. Lisa ist auf einmal da. Und anschließend genau so wieder weg. Nichts spricht dafür, dass sie sich ab diesem Erstbesuch der Gemeinschaft um Jesus herum angeschlossen hat.
Mensch muss nicht Gemeindemitglied sein oder werden, um in der Geschichte und im Wirken Gottes einen Platz zu haben.
2
Lisa kommt nicht mit leeren Händen. Lisa bringt Salböl mit (nicht irgendein Salböl – für Normalverdienende steckte das Einkommen eines ganzen Jahres Arbeit in diesem Öl). Und Lisa sitzt auch nicht tatenlos herum, sondern sie gießt es über Jesu Kopf und salbt ihn. Auch die Gottesdienst-Besucher_innen und Gäste der MCC bringen oft Wertvolles mit und mit ein. Sie schenken uns Laptops oder bauen ehrenamtlich eine Klimaanlage ein. Beim CSD-Gottesdienst brachten sie Regenbogenfahnen und Feierlust mit. Manche stellen uns ihr Wissen zu Verfügung – als Kassenprüferin und als WordPress-Experte. Viele teilen mit uns ihr Allerwertvollstes – Einblicke in ihr Leben, ihre Anliegen, ihre Fragen, ihre Begeisterung. (An so manchem, was da mit uns geteilt wird, habe sie auch ein Jahr oder länger schon gearbeitet….)
Mensch muss nicht jahrelang und wöchentlich am Gottesdienst teilnehmen, um in der Geschichte und im Wirken Gottes etwas Wertvolles einzubringen.
3
Trotzdem fühlten sich manche von Lisas Anwesenheit und Tun eher gestört. Lisa ungeplantes Erscheinen störte den Ablauf und die gute Stimmung. Bei dem Essen war die Salbung nicht vorgesehen, und eine Salbung führte doch etwas zu deutlich vor Augen, dass sich die Situation für Jesus und den Zwölferkreis zuspitzte. Wer will bei einem schönen Essen schon an die sich zuspitzende Situation draußen vor der Tür denken. Als Jesus bereits tot war, wollten ihn drei andere Frauen (aus dem engen Kreis um Jesus herum) ebenfalls salben. Es klappte nicht. Ohne Lisas falsches Timing wäre Jesus also GAR NICHT gesalbt worden. Offenbar hatte Lisa mit ihrem falschen Timing genau das richtige Timing. Auch in der MCC handeln nicht immer alle so, wie es im üblichen Sinne angemessen wäre. Manche tauchen hier auf, weil sie sich zur falschen Zeit in die falsche Person verliebt haben. Wirklich?
Wer weiß, was damit schon alles an „Gottes-Dienst“ ermöglicht wurde, wenn wir aus Sicht vieler Glaubender daneben gelegen haben!
4
Lisa hat im entscheidenden Moment getan, was für sie dran war. Auch wenn es die, die doch so nahe mit Jesus zu Tisch saßen, nicht kapiert haben. Aber Lisa tut mit dem Salböl „ein gutes Werk an Jesus“ (Mk 14,6). So sieht es Jesus zumindest. Die ganze Szene ist so aufgebaut, dass sie im Kontext von Prophetie-Erzählungen gelesen werden kann.*) Lisa, die einfach auftaucht und wieder verschwindet und sich nicht ganz an den Plan hält, ist kein Nebenprodukt der wahren Geschichte Jesu, die eigentlich zählt. Das Tun Lisas zählt auch. Manche der Gäste im Markusevangelium zählen mit einem anderen Maß: Sie rechnen den Wert des Salböls um in die damalige Währung des römischen Kaisers.**) Und denken vor lauter moralisch-ethischer Überlegenheit, dass Lisas Tun bei Gott nicht zählt. Tia. Was zählt?
In der MCC zählen nicht nur Menschen, die nach ihrem Auftauchen wiederkommen und sich innerhalb der religiösen Moralethik stilsicher bewegen.
5
Damit sind wir schon beim letzten Punkt. Das Tun Lisas wurde nicht nur von den Anwesenden unterschiedlich verstanden. Auch in der Erinnerungskultur der Evangelien tauchen die unterschiedlichsten Versionen dieser Szene auf. Sie wird inhaltlich unterschiedlich erzählt, und sie wird unterschiedlich bewertet, gedeutet, eingeordnet. So ist das mit Erinnerungen. Jesus selbst war nur wichtig, DASS Lisa einen Platz hat in den Erinnerungen. Heute über die Frau in Betanien zu sprechen, möge im Sinne Jesu dazu beitragen. Es geht nicht immer nur um den Zwölferkreis. Oder um die 5000. Oder um die Geheilten. Um die großen Namen der großen Gemeindegründer und Apostelinnen. Manchmal geht es auch um Menschen, die einfach mal auftauchen und dann wieder weg sind.
Ich frage mich ja die ganze Zeit, woher Lisa wusste, dass Jesus da gerade mit Simon zu Tische saß. Und wie Lisa mitbekommen hat, dass es Zeit ist, Jesus zu salben – jetzt oder nie. Das war doch kein Zufall. Sie muss mitverfolgt haben, was da los ist. Wo Jesus hingeht, was Jesus macht, mit wem er redet, und wie andere über Jesus reden. Auch heute gibt es Lisas, die mitverfolgen, was passiert. Zum Beispiel, was in der MCC passiert. Die mitbekommen, was WIR heute reden. Die beobachten, wie WIR heute mit Jesus zu Tisch sitzen.
Und wenn es für Lisa dran ist, wird Lisa auftauchen. Vielleicht um zu bleiben. Vielleicht aber auch, um wieder zu gehen.
Die Tür in der MCC ist in beide Richtungen offen. Ich danke allen Lisas, die in diesem Gemeindezentrum schon an Gottes Geschichte mitgewirkt haben.
*) s. „Kompendium Feministische Bibelauslegung“
**) Was Jesus mit kritischer Distanz betrachtet; s. „Frohe Botschaft am Abgrund“
Gebet
Gott, du weißt, bei wie vielen oder wie wenigen Gottesdiensten wir in letzter Zeit dabei waren. Du weißt, seit wie langer oder wie kurzer Zeit wir deine Wege mitverfolgt haben – mal aus der Ferne, mal aus der Nähe… und wie oft sich vermeintliche Gemeindenähe auch mal als ganz schöne Gottesferne herausstellte. Und wie oft du uns in vermeintlicher Gottesferne plötzlich ganz nahe warst.
Hab Dank, dass du Pläne durchkreuzt hast.
Hab Dank für Menschen, die in unserem Leben plötzlich aufgetaucht sind und zum Geschenk wurden.
Hab Dank für Situationen, in denen wir anderen und dir zum Geschenk wurden.
Hab Dank für alle Menschen und Situationen, die uns herausgeführt haben aus Gewissheiten, in denen wir anfingen, auf etwas anders zu zählen als auf deine Liebe. Hilf uns, weiter zu entdecken und zu entfalten, was es heißt, liebend und wertschätzend miteinander und mit uns selbst und mit unserem Glauben umzugehen. Ein paar Aspekte davon finden sich auch in dem Gebet, das Jesus uns zu beten gelehrt hat: (…)
Sendung & Segen
Gott segne dich
mit Menschen, die dir zum Geschenk werden und dir Gutes tun.
Gott segne dich
mit Menschen, mit denen du entfalten kannst, was du für ein tolles Geschenk sein kannst.
Gott segne dich
mit einem Glauben, der dir zuflüstert, wann es Zeit für DICH ist, irgendwo aufzutauchen – und wann es Zeit ist, irgendwo wegzubleiben.