Predigt MCC Köln, 20. Juni 2021
Stefan Bauer
Epheser 4,7-16 & Markus 10,43-45
Das Thema meiner heutigen Predigt lautet: Anarchie und Monarchie. Und zwar in Bezug auf die Kirchen.
In dieser Predigt geht es um die These, dass die monarchischen Strukturen innerhalb der Kirchen einen guten Teil dazu beitragen, Gewalt zu ermöglichen. Und es geht darum, dass monarchische Strukturen die Gläubigen in ihrer spirituellen Entwicklung hemmen. In dieser Predigt geht es also nicht um sexualisierte Gewalt in der Kirche. Aber Anlass für mich, dieses Thema aufzugreifen, sind die Fälle von sexualisierter Gewalt in den Kirchen, Gemeinden und kirchlichen Trägerschaften jeglicher Konfession und der Umgang damit.
Was meine ich mit monarchischen Strukturen?
Zum Beispiel in der katholischen Kirche den Papst, der als Kaiser mithilfe seiner Könige, den Bischöfen, regiert. Also an der Spitze der Papst („Gottes Stellvertreter auf Erden“), er untersteht keinem Kontrollorgan. Darunter Bischöfe als lokale Könige, darunter die Hilfsfunktionäre, Priester etc. Und darunter dann das zu regierende Kirchenvolk.
Aber auch in den protestantischen Kirchen finden sich trotz Wahlen und Synoden monarchische oder hierarchische Strukturen. Ein gutes Beispiel ist die Auflösung des Betroffenenbeirates für sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche Deutschlands. Und wer kennt nicht mindestens eine Pastorin, die sich in ihrer Gemeinde wie eine kleine Sonnenkönigin gebärdet?
Historisch gesehen gab es in den christlichen Urgemeinden keine monarchischen Strukturen, und auch das Neue Testament spricht weder von einem Papst noch von Bischöfen oder sogar Priestern. Das Neue Testament spricht von Aposteln, nicht von Priestern:
7 Jedem Einzelnen von uns hat Christus einen Anteil an den Gaben gegeben, die er in seiner Gnade schenkt; jedem hat er seine Gnade in einem bestimmten Maß zugeteilt.
8 Darum heißt es in der Schrift: »Als er im Triumphzug zur Höhe hinaufstieg, hat er Gefangene mit sich geführt und Geschenke an die Menschen verteilt.«
9 Wenn hier steht: »Er ist hinaufgestiegen«, dann muss er doch ´zunächst einmal` hinuntergestiegen sein – hinunter bis in die tiefsten Tiefen der Erde.
10 Und er, der hinuntergestiegen ist, ist dann auch wieder hinaufgestiegen bis über den höchsten aller Himmel, um so das ganze Universum ´mit seiner Gegenwart` zu erfüllen.
11 Er ist es nun auch, der ´der Gemeinde` Gaben geschenkt hat: Er hat ihr die Apostel gegeben, die Propheten, die Evangelisten, die Hirten und Lehrer.
12 Sie haben die Aufgabe, diejenigen, die zu Gottes heiligem Volk gehören, für ihren Dienst auszurüsten, damit ´die Gemeinde`, der Leib von Christus, aufgebaut wird.
13 Das soll dazu führen, dass wir alle in unserem Glauben und in unserer Kenntnis von Gottes Sohn zur vollen Einheit gelangen und dass wir eine Reife erreichen, deren Maßstab Christus selbst ist in seiner ganzen Fülle.
14 Denn wir sollen keine unmündigen Kinder mehr sein; wir dürfen uns nicht mehr durch jede beliebige Lehre vom Kurs abbringen lassen wie ein Schiff, das von Wind und Wellen hin und her geworfen wird, und dürfen nicht mehr auf die Täuschungsmanöver betrügerischer Menschen hereinfallen, die uns mit ihrem falschen Spiel in die Irre führen wollen.
15 Stattdessen sollen wir in einem Geist der Liebe an der Wahrheit festhalten, damit wir im Glauben wachsen und in jeder Hinsicht mehr und mehr dem ähnlich werden, der das Haupt ist, Christus.
16 Ihm verdankt der Leib sein gesamtes Wachstum. Mit Hilfe all der verschiedenen Gelenke ist er zusammengefügt, durch sie wird er zusammengehalten und gestützt, und jeder einzelne Körperteil leistet seinen Beitrag entsprechend der ihm zugewiesenen Aufgabe. So wächst der Leib heran und wird durch die Liebe aufgebaut.Epheser 4, 7-16 (Neue Genfer Übersetzung)
Der Epheserbrief spricht von Aposteln, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrern. Das sind alles einzelne Personen gewesen. Heute findet man all diese Funktionen und Dienste vereint im Amt des Pfarrers. Die Gemeinde, das sind die Laien, und die Priester wissen, wo’s langgeht.
Kein Wunder, dass solche Strukturen sexualisierte Gewalt und auch spirituelle Gewalt ermöglichen. Spirituelle Gewalt ist für mich zum Beispiel, Menschen dazu zu bringen, sich vor Gott aufgrund ihrer sexuellen Präferenz oder ihrer Geschlechtsidentität zu fürchten.
Opfer spiritueller Gewalt finden wir einige in unserer Gemeinde. Gottestraumatisierte, deren Wunden so tief gehen, dass sie vielleicht niemals heilen werden.
Die monarchische Struktur der Kirche geht zurück auf Papst Leo den Großen im 5. Jahrhundert. Er verstand sich als Stellvertreter Christi und mit der gesamten Machtfülle Christi ausgestattet und über die übrigen Bischöfe erhoben. Schon allein das Wort „Machtfülle“ in Zusammenhang mit Jesus Christus zu benutzen, ist absurd.
Aber ich möchte nicht nur auf den Kirchen herumhacken. Viele Gläubige sehnen sich nach Struktur. Sie sehnen sich nach einer starken, charismatischen Person an der Spitze, die ihnen sagt, wo’s langgeht und was sie zu glauben haben. Sie sehnen sich nach jemanden, der ihnen ihren Glauben einfach macht.
Dies kann große Probleme verursachen:
Der Pastor kann als einzige Anlaufstelle für geistliche, seelsorgerische und organisatorische Fragen gesehen und somit überlastet werden.
Es können sich einseitige Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Pastor und Besucher oder Gemeindemitglied entwickeln.
Auch wir in der MCC sind mit der Problematik der Sehnsucht nach einer Führungsperson konfrontiert. Kein Wunder, wurde es uns und unseren Besuchern doch von Kindheit an so vermittelt, dass der Pastor das Sagen und die theologische Weisheit mit Löffeln gefressen hat.
Menschen kommen in unsere Gottesdienste und erleben plötzlich ungewohnte und für sie neue Situationen: Der Pastor steht nicht immer im Mittelpunkt. Er trägt Springerstiefel. Das kann keine „richtige“ Kirche sein.
Manche Besucher kommen nur ein einziges Mal zu uns, weil deren Erwartungen an einen „richtigen“ Gottesdienst nicht erfüllt werden.
Wie sollen wir als MCC damit umgehen? Darauf gibt Epheser 4,14 die Antwort:
„Denn wir sollen keine unmündigen Kinder mehr sein.“
Wir Gläubigen haben einen guten Teil Mitverantwortung an der Situation in den Kirchen. Wir sollten endlich erwachsen werden. Und zum Erwachsenwerden gehört es auch, Unsicherheiten bewältigen zu können.
Unsicherheit im Glauben ist für viele schwer zu ertragen. Obwohl sie doch ein fruchtbarer Bestandteil des Glaubens ist, der einfach zum Glauben dazugehört. An meiner Unsicherheit kann mein Glauben wachsen, wenn ich sie akzeptiere.
Zum Erwachsenwerden gehört es auch, nicht immer am Rockzipfel von „Mutter Kirche“ zu hängen, sondern selbst Apostelin, Prophet, Evangelistin, Hirte oder Lehrerin zu sein. Hierfür braucht es kein Studium der Theologie. Petrus war Fischer und kein Theologe oder Priester.
Und genau das versuchen wir hier in der MCC Köln. Wir versuchen, erwachsene Gläubige zu werden. Hier sagt keiner, was ihr zu glauben habt. Wir versuchen, basisdemokratisch zu sein und versuchen, wie im Epheserbrief beschrieben, eine Gemeinde zu bilden, in der verschiedene Personen die Gemeindespiritualität und das Gemeindeleben prägen. Wir haben Apostel, Prophetinnen, Evangelisten, Hirtinnen und Lehrer. Wir ermutigen Gemeindemitglieder, diese Funktionen wahrzunehmen.
Okay, wir haben noch einen Pastor, aber dessen Machtfülle ist extrem eingeschränkt. Das, was wir hier versuchen zu praktizieren, würde ich, um auf das Thema der Predigt Bezug zu nehmen, als anarchisch beschreiben.
Und weil die Stelle des Markusevangeliums in der Volxbibel so herrlich plakativ darstellt, wie das Selbstverständnis von kirchlichen Strukturieren sein soll, lese ich es zum Abschluss noch einmal vor.
„auf dem Weg nach Jerusalem“
42 Jesus setzte sofort ein Meeting an: „Ihr habt mitgekriegt, wie das hier auf der Erde so läuft. Regierungen behandeln ihre Bürger oft wie Dreck, und die Leute, die was zu sagen haben, beuten ihre Untergebenen nur aus.
43 Das ist bei euch aber anders, klar?! Wer bei euch der Boss sein will, der muss bereit sein, sich ganz hinten anzustellen.
44 Wer bei euch der Chef sein will, soll die anderen wie ein kleiner Angestellter bedienen.
45 Der Auserwählte, der Menschensohn, kam auch nicht zu euch, um den Lauten zu machen. Er wollte keine Macht, sondern er kam, um jedem zu dienen. Er ist gekommen, um mit seinem Leben viele Menschen freizukaufen.“Markus 10,43-45 (Volxbibel)
Gebet zum Abendmahl
Gott, du lädst uns ein an deinen Tisch, in ein heilsames, heilendes und heiligendes Miteinander mit dir, miteinander und mit uns selbst.
Du weißt bei allen von uns, welcher dieser Bezüge gerade am meisten davon geprägt ist, dass wir uns selbst oder andere zu groß oder zu klein machen. Wo wir Verantwortung abgegeben haben, oder zu viel Verantwortung übernommen haben. Du weißt, was wir schon hinter uns gelassen haben; wo wir uns Strukturen und System, die krank machen, entziehen und verweigern, und stattdessen nun Gutes mitgestalten. Heile, was an Gift und offenen Wunden noch in uns steckt. Du weißt, wo wir Hilfe brauchen. Danke, dass du uns stärkst. Mit Narben lässt es sich leben.
Segen
Gottes Kraft stärke deinen Rücken – so, dass du aufrecht stehen kannst, wo man dich beugen will.
Gottes Zärtlichkeit streichle deine Schultern – so, dass dich die Lasten, die du trägst, nicht niederdrücken.
Gottes Weisheit mögen deinen Nacken beweglich machen – so, dass du deinen Kopf dorthin neigen kannst, wo deine geschwisterliche „Zu- Neigung“ von Nöten ist.
Gottes Zuversicht erfülle deine Stimme – so, dass du sie erheben kannst, bejahend, laut und klar.
Gottes Ausdauer stärke deine Füße – so, dass du auftreten kannst, fest und sicher – wo es „not- wendend“ ist.
Gottes Entschiedenheit lenke deine Hände – so, dass du berühren kannst, gefühlvoll, sanft und bestimmt, wo dein geschwisterliches Handeln gebraucht wird.
Dazu sei Gottes Segen mit dir. Amen!
(nach Dr. Paul Weitzer, 2011)
Lesetipps (von Ines-Paul)
- „Heilige Anarchie“ von Dietrich Koller, München 1999
- „Postmoderner Jesus“ von Gert Hellerich und Daniel White, Berlin 2012