Predigt MCC Köln, 17. Januar 2021
Ines-Paul Baumann
Apostelgeschichte 10
Meistens werden Glaubenszweifel als Glaubenskrise verstanden. Diese Krise wird passiv erlitten, beschreibt einen Zustand der Not, und soll möglichst überwunden werden – zurück zum starken, festen, unerschütterlichen Glauben.
Aber warum soll ein Glaube nicht erschüttert werden, wenn er auf Glaubensinhalte stößt, die ganz erschütternd SIND? Was ist das für ein Glaube, der ignoriert, WAS er glaubt? Das erinnert mich eher an diese Gottesbilder, in denen unsere Sünden zuschüttet werden müssen wie unter Schneebergen: Gott liebt uns, aber nur, wenn er (sic!) sich die Augen zuhält? Und wahre Christen lieben ihren wahren Gott, aber auch nur, solange sie sich die Augen zuhalten?
Ich glaube, Glaubenskrise kann auch ein Moment des Aufbruchs sein. Manches kann abgeschüttelt werden, dafür tauchen neue Aspekte auf, manches sortiert sich um. Vielleicht sehen wir etwas, was wir glauben, plötzlich in neuem Licht. Dass dann auch Zweifel auftauchen, ist ein Anzeichen dafür, dass Glaube lebendig ist. Manches passt nicht mehr, hier und da zwickt was, der Schuh passt nicht mehr recht. Bei meinen Kindern freue ich mich, wenn sie neue Schuhe brauchen, weil die alten zu klein geworden sind. Warum sollte es bei Glaubensfragen plötzlich ein Problem sein, dass Glaube wächst und sich dabei verändert?
Wachsen muss ja nicht immer heißen, das etwas größer wird. Die Pflanze in meinem Zimmer wächst auch dauernd, und nicht immer wird sie dabei größer. Aber ständig verändert sie sich; vor allem, wenn sie umgetopft wurde oder nach einem Umzug an einem anderen Fenster steht. Die Umstände beeinflussen das Aussehen und die Form der Pflanze – zumindest bei echten Pflanzen. Bei Plastik natürlich nicht. (Wobei Plastikpflanzen oft viel besser aussehen als meine schon mal kümmerlichen Zimmerpflänzchen. Außerdem brauchen sie keine Pflege; sie sind einfach da.) Leider verwechseln wir echten Glauben oft mit Plastikglauben. Ich finde, wenn wir in Glaubenskrisen merken, dass etwas nicht mehr passt und sich verändert, dann ist ein Schritt nach vorne, nicht nach hinten.
Die Fragen, was christlichen Glauben eigentlich ausmacht, verbinden uns nicht zufällig mit den Schriften des Neuen Testaments. Insbesondere in den Briefen wird deutlich: In den ersten Gemeinden ging es nicht darum, festgezurrte Glaubensinhalte zu übernehmen. Diese Glaubensinhalte mussten erst mal entwickelt werden. Es ging um dieselben Fragen wie bei uns in diesem Quartal: Was müssen Christen glauben? Was müssen sie tun? Und was müssen sie wissen?
Das Neue Testament ist ein Vorbild dafür, Glaubensinhalte zu überdenken statt übernehmen. Manchmal führten diese Auseinandersetzungen zu Worten und Gedanken und Einsichten, die uns bis heute berühren, korrigieren, trösten und herausfordern. Aber nicht immer kristallisierte sich ein gemeinsamer Strang heraus, manchmal endeten die Auseinandersetzungen auch unversöhnlich, und manchmal wurde dann eben nebeneinander weitergemacht statt miteinander.
Alle aber hatten das Anliegen, sich an den Worten und Taten Jesu zu orientieren: Wenn DIESE die Grundlage für den Glauben sein sollen, wie sieht Glaube dann aus?
Damals wurde das diskutiert und ausprobiert inmitten von Religionen und Philosophien, mit denen sich wenige Christinnen heute noch auskennen. Was die meisten übernommen haben, sind Aussagen aus den damaligen Auseinandersetzungen. Aber was ist mit der Auseinandersetzung an sich, mit dem Ringen, mit dem Fragen und dem Suchen: Wie sieht Glaube aus, wenn wir uns an Jesus orientieren?
Jesus selbst hat kein Glaubensbekenntnis verfasst, das wir seitdem einfach übernehmen können. Im Gegenteil, Jesus ist sehr kritisch umgegangen mit den Glaubensinhalten seiner Zeit und den Überlieferungen. Wie oft sagt er: Meine Güte, das und das müsst ihr heute echt nicht mehr glauben oder tun oder wissen. (Die ganze Bibel ist übrigens so ein Zeugnis von GlaubensENTWICKLUNGEN statt GlaubensDAUERFIXIERUNG. Deswegen steht da auch so viel drin, was wir aus heutigem Blick ganz schön unerträglich und peinlich und falsch finden. Wie in alten Tagebüchern. Manches steht da nur, um sich dankbar daran erinnern zu können, dass es eben nicht mehr so ist.)
Petrus vorher (ganz sicher, was er vom Glauben her wissen und tun muss):
14 [Petrus entgegnete:] „In meinem ganzen Leben habe ich noch nie etwas Unheiliges und Unreines gegessen!“Petrus im Umbruch (das Wissen ist noch präsent, aber er übernimmt es nicht mehr unhinterfragt):
28 Er sagte zu ihnen: „Ihr wisst, wie wenig es einer jüdischen Person erlaubt ist, mit einer nichtjüdischen engen Kontakt zu pflegen oder zu ihr zu kommen. Mir aber hat Gott gezeigt, dass man niemanden vor Gott als abscheulich oder unrein ansehen darf. (…)“Petrus dann (hat sich von seiner alten Überzeugung gänzlich verabschiedet):
„Wahrhaftig, jetzt begreife ich, dass Gott nicht parteilich ist. 35 Vielmehr sind Gott in jedem Volk diejenigen recht, die Gott achten und rechtschaffen handeln. 36 Das ist die Botschaft, die dem Volk Israel gesandt wurde, als Gott durch Jesus, den Gesalbten, der Macht hat über alle, Frieden verkünden ließ.“aus Apostelgeschichte 10
Neue Genfer Übersetzung
und Bibel in gerechter Sprache
Jesus hat vom Reich Gottes in Gleichnissen erzählt. Was Menschen glauben und tun und wissen sollen, haben sie selber mit entwickelt – im Dialog mit diesen Gleichnissen, mit Jesus und untereinander. Warum sollte er es den Menschen damals zugetraut haben, uns heute aber nicht mehr?! Bei Jesus ging es noch nie um ein passives Anhören, Bewerten und anschließendes Annehmen oder Ablehnen. Jesus hat den Menschen damals zugetraut, Glaubensinhalte aktiv mitzugestalten statt hinzunehmen, und dasselbe traut Jesus heute UNS zu.
Die Aufgabe der Prediger_innen in der MCC Köln ist es nicht, anderen diese Arbeit abzunehmen – sondern sie einzuladen, sich daran zu beteiligen. Und sie sollen Impulse dafür mitgeben, dass wir das auf fundierter Basis tun können. Damit wir (wie es ein Gemeindemitglied neulich formulierte:) eben nicht mehr „jeden Scheiß glauben“. Auch dann nicht, wenn er gepredigt wird.