Predigt MCC Köln, 1. November 2020
Stefan Bauer
Genesis 1,28 und 2,15
Das Thema dieses Gottesdienstes ist die Bewahrung der Schöpfung. Viele Elemente dieses Gottesdienstes basieren auf der sogenannten Schöpfungsspiritualität.
(Ich werde nun 2 Minuten einen kurzen Überblick geben; wenn euch das zu viel wird, hört einfach weg – und nach 2 Minuten wieder zu. Das ist völlig OK und ihr könnt der Predigt hinterher trotzdem folgen.)
Was ist mit Schöpfungsspiritualität gemeint?
Es ist eine Spiritualität, die den Menschen nicht isoliert, sondern eingebettet in die Gesamtheit des Seins betrachtet. Schöpfungsspiritualität ist die älteste religiöse Tradition, die bei allen Naturvölkern zu finden ist. In der heutigen Predigt beziehe ich mich auf die Schöpfungsspiritualität von Leonardo Boff, einem ehemaligen brasilianischen Franziskanerpater und bedeutendem Befreiungsgeologen.
Ihm wurde von der katholischen Kirche die Lehrerlaubnis entzogen, er gab das Priesteramt und die Mitgliedschaft im Franziskanerorden auf, ist verheiratet.
Die christliche Schöpfungsspiritualität Boffs ist hervorgegangen aus der südamerikanischen Befreiungstheologie. Die Befreiungstheologie sollte eine Antwort auf die Elendsbedingungen der Armen geben. Sie stellt die die soziale Frage und verlangte eine gerechte Verteilung von Ressourcen.
Für die Schöpfungsspiritualität Boffs ist der Schrei der Armen in Verbindung zu sehen mit dem Schrei der Erde:
„Es ist dieselbe Logik des Systems der Kapitalakkumulation und gesellschaftlichen Organisation, die die Arbeiter ausbeutet, ganze Nationen ausplündert und schließlich Raubbau an der Natur betreibt.“
Zwei wichtige Aspekte der christlichen Schöpfungsspiritualität sind folgende:
1. die Betrachtung der Erde als lebendigen Organismus und
2. die völlige Übereinstimmung mit der neuesten naturwissenschaftlichen Forschung: Quantenvakuum, Urknall, Quantenverschränkung, das sich ausdehnende Universum, all das steht in keinem Widerspruch zu einer christlichen Theologie.
Im Gegenteil: Sie lässt uns staunend und ehrfürchtig zurück vor diesem für uns unvorstellbaren Schöpfungsakt.
Wen das Thema mehr interessiert, der wende sich gerne an mich oder Ines-Paul. Ich schicke euch dann den Link zu einer guten Zusammenfassung der Thematik.
Nach dieser kurzen Einleitung beginne ich aber mit der eigentlichen Predigt.
Die Zuschauer im Internet konnten schon vor dem Beginn des Gottesdienstes ein Bild der Erde, vom Weltraum aus aufgenommen, sehen. Eine wunderschöne blaue Kugel mitten im schwarzen All. Ich zitiere dazu die Worte von James Irvin, Astronaut der Apollo 15 Mission:
„Als wir uns immer weiter entfernten, nahm die Erde an Größe ab. Schließlich schrumpfte sie auf die Größe einer Murmel, der schönsten, die man sich vorstellen kann. Dieses schöne, warme, lebende Objekt sah so zerbrechlich, so zart aus, als ob es, wenn man es mit dem Finger berührte, zerbröckeln und auseinander fallen könne. Dies zu sehen, muss einen Menschen verändern. Ich spürte die Kraft Gottes, wie ich sie noch nie zuvor gespürt hatte.“
Man hört solche Worte oft von Menschen, die im All einen Blick auf die Erde werfen konnten. Der Blick auf die Erde vom Weltall aus ist eine spirituelle Erfahrung, die Menschen verändern kann.
Astronauten waren auch Christen: Buzz Aldrin, der vor über 50 Jahren, kurz nach Neil Armstrong, als zweiter Mensch den Mond betrat, feierte vor dem Ausstieg auf den Mond in der Mondlandekapsel das Abendmahl. Das Abendmahl auf dem Mond.
Doch fragen wir uns zuerst: Was ist die Schöpfung eigentlich? Viele Menschen und besonders Christen sagen dann: die Erde.
Das ist falsch und typisch für unser menschen-zentriertes Denken. Die Schöpfung ist der gesamte Kosmos. Wer sich auch nur ansatzweise mit der Entstehung des Kosmos beschäftigt, der kann nur ehrfürchtig zurücktreten vor der Schöpferkraft Gottes.
Die naturwissenschaftliche Betrachtung der Entstehung des Universums und der Glaube an einen Gott schließen sich nicht aus, im Gegenteil. Sie verstärken sich gegenseitig , wenn man den Urknall als einen schöpferischen Akt begreifen kann.
Das Geheimnis, das wir Gott nennen, gewinnt an Dimension, die mit einem Schöpfergott nur der Erde nicht zu vergleichen ist. Das wahre Ausmaß der Schöpfung wird erst bei dieser kosmologischen Betrachtung sichtbar und lässt jede wörtliche Interpretation der Schöpfungsgeschichte als Blasphemie erscheinen.
Gleichwohl ist die Erde unser Lebensraum, den Gott erschaffen hat. Warum nur richten wir diesen Lebensraum zugrunde durch unser Verhalten?
Wir haben die beiden Sätze aus Genesis gehört. Ist euch der Widerspruch aufgefallen?
Im ersten Satz hieß es „macht euch die Erde untertan“.
Im zweiten Satz hieß es „ Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte…“
Die Übersetzung des ersten Satzes ist heute umstritten. Aber genau so wie in diesem Satz der Genesis verhalten wir uns.
Wir behandeln die Erde wie ein Ding, das wir nach Belieben ausbeuten können.
Ich frage mich, ob es Zufall ist, dass im sogenannten Bible Belt der USA, also dort, wo evangelikale Christen in großer Zahl vorkommen, die Natur durch Fracking dauerhaft ruiniert wird. Die Landschaften dort gleichen Wüsten. Dort wird die Schöpfungsgeschichte gern wörtlich genommen, wie wir wissen.
Aber auch wir hier in Deutschland brauchen wir nur auf den Hambacher Forst zu schauen in einem Land, das von einer Partei regiert wird, die das C im Namen trägt.
Wie kann man Christ sein und die Erde gleichzeitig ruinieren?
Gottes Schöpfung mit Füßen treten?
Nun gut, wir alle tun das. Ich eingeschlossen.
Viele Kulturen außerhalb der westlichen Welt, darunter indigene Völker, haben einen andersartigen Umgang mit der Schöpfung: geprägt von Respekt und Ehrfurcht. Nicht von Zerstörung und Ausbeutung.
Wir müssen uns als Christen fragen lassen, ob wir uns nicht an Gottes Schöpfung versündigen und zwar massiv.
Christen müssten an vorderster Stelle stehen, wenn es um die Bewahrung der Schöpfung geht.
Den Weg dazu weist die Schöpfungsspiritualität, die auch Eingang in die Erdcharta der Vereinten Nationen im Jahr 2000 gefunden hat. Leider ist diese nie ratifiziert worden. Was nicht anders zu erwarten war. Die einzelnen Länder konnten keine Einigkeit erzielen. Die Erdcharta dient allerdings der UNESCO als Leitlinie.
In ihrer Präambel heißt es:
„Wir stehen an einem kritischen Punkt der Erdgeschichte. Wir haben die Wahl: Entweder bilden wir eine globale Partnerschaft, um für die Erde und füreinander zu sorgen, oder wir riskieren, uns selbst und die Vielfalt des Lebens zugrunde zu richten.“
Der abschließende Aufruf der Erdcharta, der viel franziskanische Spiritualität enthält, lautet:
„Lasst uns unsere Zeit so gestalten, dass man sich an sie erinnern wird als eine Zeit, in der eine neue Ehrfurcht vor dem Leben erwachte, als eine Zeit, in der nachhaltige Entwicklung entschlossen auf den Weg gebracht wurde, als eine Zeit, als eine Zeit in der das Streben nach Gerechtigkeit und Frieden neuen Auftrieb bekam, und als eine Zeit der freudigen Feier des Lebens.“
Amen
Fürbitten
Jesus Christus, hilf uns, unsere Haltung der Ignoranz und unser Unwissenheit über die Schäden, die die Menschheit der Erde zufügt, abzulegen.
Christus erhöre uns
Hilf uns, uns selbst nicht mehr als Maß aller Dinge zu betrachten und zu meinen, wir könnten über die Welt nach eigenem Belieben verfügen.
Christus erhöre uns
Hilf uns, einen Rationalismus abzulegen, dem es an Sensibilität, Herz und Mitgefühl fehlt.
Christus erhöre uns
Hilf uns, unser Bewusstsein für das Beziehungsnetz, in dem wir uns befinden, zu stärken und der wechselnden Abhängigkeiten voneinander gewahr zu werden.
Christus erhöre uns
Hilf uns, das Wettbewerbs- und Konkurrenzdenken einer vom Kapitalismus geprägten Ökonomie zu überwinden.
Christus erhöre uns
Hilf uns, unseren weit über unsere Bedürfnisse hinausgehenden ressourcenverbrauchenden Konsumismus aufzugeben.
Christus erhöre uns
Vaterunser
Unsere Schöpferin des Universums
heilig sind deine vielen Namen.
Dein Reich komme für uns,
obwohl es schon da ist, seit dem Anbeginn der Zeit.
Dein Wille geschieht, im Kosmos zu dem die Erde gehört.
Hilf uns, unsere Äcker nicht zu verwüsten,
damit wir weiterhin unser tägliches Brot haben können.
Vergib uns, dass wir uns an deiner Schöpfung schuldig machen,
wie auch wir uns selbst vergeben.
Führe uns aus dem Konkurrenz- und Leistungsdenken einer vom Kapitalismus geprägten Ökonomie,
und hilf uns, erneut Respekt und Ehrfurcht vor deiner Schöpfung zu erlangen.
Denn dein ist die Schöpfung, nicht unser.
Dein ist die Kraft, in Ewigkeit
Amen.