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Und was ist mit WENIG und WENIGEN? #CSD2020

Predigt MCC Köln, 27. September 2020
Ines-Paul Baumann

Genesis 18,23-33

Das CSD-Motto „FÜR MENSCHENRECHTE. VIELE. GEMEINSAM. STARK!“ aus der Perspektive der MCC als „Kirche für/mit Vielfalt“. Eine halbe Stunde Gemeinschaft mit Gott, einander und uns selbst mit Raum für wenige(s) UND viele(s).

Warum ist es wichtig, „viele“zu sein?

Ist der CSD in Köln mit knapp einer Million Teilnehmer_innen wichtiger als der CSD in Bochum mit ein paar hundert Teilnehmer_innen?

Geht es darum, WEM die Menschenrechte zuteil werden sollen? (Gelten Menschenrechte nur für die Menschen, die zusammen eine große Gruppe von „vielen“ ergeben?)
Oder geht es darum, WER die Forderung auf Menschenrechte geltend macht? (Gelten Menschenrechte nur dann, wenn eine große Gruppe von „vielen“ sie einfordert?)

Das sind keine abstrakten Fragen.
Vor ein paar Monaten stellte eine deutsche Wochenzeitung die Frage, warum das Thema von genderneutralen Toiletten denn so wichtig sei – wo doch nur so wenige davon betroffen seien. („Du gehörst nur zu einem kleinen Bruchteil der Bevölkerung? Tia, dann hast du leider kein Recht auf ungehinderte Klonutzung!“)
In den Niederlanden bekam eine Frau einen Strafzettel, nachdem sie zwischen zwei Autos gepinkelt hatte. Sie wehrte sich mit dem Hinweis darauf, dass eine öffentliche Toiletten für Frauen nicht zur Verfügung gestanden hatte. Die Antwort der Richter: Die Mehrheit derjenigen, die nachts auf dem Nachhauseweg pinkeln müssten, wären nun mal Männer. (Und wenn es da wirklich ein Problem gäbe, warum würden sich dann nicht viel mehr Frauen beschweren?)

In beiden Fällen werden Menschen fundamentale Rechte verwehrt, weil sie „nicht genug“ sind.
Die Menschenrechte gelten aber allen Menschen, nicht nur denen einer bestimmten Masse.
Und unsere Demokratie heißt eben nicht, dass es eine „Diktatur der Mehrheit“ gibt, sondern verankert bewusst einen Minderheitenschutz.

Der Verweis auf „viele“ im CSD-Motto ist sicherlich nicht so gemeint, als ob Menschenrechte nur dann gelten, wenn viele von ihnen betroffen sind oder wenn viele sie einfordern.

Aber warum taucht das Wort dann überhaupt darin auf? Warum ist es nötig, die „vielen“ zu erwähnen? Würde das Motto ohne „viele“ seinen Sinn verlieren? Ich fürchte, mit dem Aufgreifen der „vielen“ wird irgendwie zugestanden, dass es „viele“ sein müssen, um Menschenrechte geltend zu machen.

Abraham erinnert Gott daran, doch bitte an Gottes Gerechtigkeit zu denken. Gerechtigkeit meint hier, dass die Masse der vielen nicht den Blick auf die wenigen verstellen darf. Gott möge nicht nur die vielen zur Grundlage ihrer Entscheidungen machen, die andere ungerecht behandeln. Auch die wenigen, die für Gerechtigkeit einstehen, würden doch zählen.

Manche Parteien in Deutschland halten es umgekehrt: weil EINE Person aus dem Flüchtlingsheim gewalttätig wurde, sollen GAR KEINE Geflüchteten hier leben dürfen. Nach diesem Motto dürften GAR KEINE Männer in Deutschland leben (die überwältigende Mehrheit der Tatverdächtigen bei Straßenkriminalität sind Männer); Frauen freilich auch nicht (ein paar wenige Frauen sind auch unter den Tatverdächtigen). (https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik/PKS2019/PKSTabellen/BundTV/bundTV.html?nn=131006)

Abraham würde andersherum argumentieren: Solange es nur eine winzige Gruppe unter ihnen gibt, die friedlich und gerecht ist, dürfen die anderen nicht pauschal mit verurteilt werden. Gott scheint Abraham geradezu dazu herauszufordern, sich dafür einzusetzen, dass es eben nicht „viele“ Friedliebende sein müssen, damit sie zählen.

(Das heißt nicht, dass „die wenigen“ grundsätzlich im Recht sind und „die vielen“ immer falsch liegen. Diese Einschätzung findet sich zwar auch in der Bibel, aber es ist eine Beobachtung, keine Bewertung. In der Erfahrung sieht es oft so aus, aber es ist kein ethisch-moralischer Grundsatz. Das befreit uns in beiderlei Hinsicht. Ich muss nicht zur Mehrheit gehören, aber auch nicht grundsätzlich gegen sie sein. Das heißt auch: Was die Mehrheit über mich und meinen Körper und meine Lebensweise denkt, ist nicht der Maßstab. Ich brauche weder die Ablehnung noch die Zustimmung einer Mehrheit, um meinen Glauben oder meinen Körper oder meine Lebensweise anzunehmen und anzuerkennen.)

Wie wichtig ist es, „viele“ zu sein? Jesus startete mit 12 Jüngern. Jesus sah den einzelnen Zachäus, der sich im Baum versteckte. Jesus versteht sich als einen Hirten, der um ein einzelnes verlorenes Schaf besorgt ist. Wo wir einer einzigen Person geholfen haben, haben wir Gott geholfen. Ganz wenig Salz kann den Unterschied machen. Jesus vergleicht das Himmelreich mit einem Klumpen Sauerteig, der einen ganzen halben Zentner Mehl zu durchsäuern vermag.

Wichtiger als die Frage, mit wie vielen zusammen wir etwas tun, ist die Frage, WAS wir tun. „Selig die Sanftmütigen; denn sie werden das Land erben.“ (Mt 5,1-12) Kaum zu glauben inmitten der aktuellen Entwicklungen, wo doch so viele – oh, halt, jetzt fange ich auch schon so an!

 

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