Predigt MCC Köln, 16. August 2020
Ines-Paul Baumann
Matthäusevangelium 13,44-52
Wenn unsere Glaubenstradition ein Meer wäre, und wir werfen unsere Netze darin aus: wieviel Plastikmüll würden wir an Land ziehen? Müll, der einfach nicht vergeht? Müll, der bei hungrigen Fischen im Magen landet und sie elendiglich umbringt? Müll, der sich den Meeresbewohnern in Schlingen um den Hals legt und sie erstickt? Geht es nicht so manchen, die sich mit dem Glauben beschäftigen, ebenso? Sie kommen hungrig und ahnungslos, und was sie dann zu sich nehmen, vergiftet sie? Das, was ihnen da begegnet, legt sich wie Schlingen um sie und erstickt sie?
Ich glaube, diese Erfahrung machen nicht erst wir. Ich lese auch die Bibel als so ein Ringen um den Glauben. Eine Auseinandersetzung mit Gottesbildern, die vielleicht mal gut getan haben, aber nur in ganz bestimmten Situationen, und die deswegen diskutiert und überwunden werden können bzw. müssen, wenn sie NICHT MEHR passen. Hier ein Beispiel:
44 Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude geht er hin und verkauft alles, was er hat, und kauft den Acker.
45 Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte, 46 und da er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.
47 Wiederum gleicht das Himmelreich einem Netz, das ins Meer geworfen wurde und Fische aller Art fing. 48 Als es voll war, zogen sie es heraus an das Ufer, setzten sich und lasen die guten in Gefäße zusammen, aber die schlechten warfen sie weg. 49 So wird es auch am Ende der Welt gehen: Die Engel werden ausgehen und die Bösen von den Gerechten scheiden 50 und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird sein Heulen und Zähneklappern. 51 Habt ihr das alles verstanden? Sie sprachen: Ja. 52 Da sprach er: Darum gleicht jeder Schriftgelehrte, der ein Jünger des Himmelreichs geworden ist, einem Hausvater, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorholt.(Matthäusevangelium 13,44-52 / Lutherbibel)
Was für ein Durcheinander an Meinungen; und wie in einem Eintopf alle zusammengerührt! Bei dieser Stelle würde ich gerne mal die Version sehen, in der Textänderungen verfolgt werden können.
In meiner Fantasie war das so:
Stellt euch vor, A, B und C sitzen zusammen und verfassen das Matthäus-Evangelium. Als Vorlage blättern sie gerade im Markus-Evangelium herum.
A: Sagt mal, bei Markus steht ja gar nichts zum Himmelreich! Dabei fragen uns so viele genau danach! Kommt, wir ergänzen das mal. Was haltet ihr hiervon:
„44 Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude geht er hin und verkauft alles, was er hat, und kauft den Acker.
45 Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte,
46 und da er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.“
B: Naja, ganz so ist das ja nicht. Aus meiner Sicht ist das ein bisschen zu sehr Schwarz-Weiß. Viel zu sehr „Alles oder nichts“. So ist es doch gar nicht. Niemand von uns hat alles verkauft. Überhaupt, das Himmelreich können wir doch eh nicht „kaufen“. Und „Schatz“ oder „Perle“: Guck doch mal, was unsere Glaubenstraditionen alles mitbringen. Kostbar und rein ist das beileibe nicht alles! Nicht alles aus den Glaubenstraditionen und Gottesbildern ist gesund und heilsam. Ich finde, wir sollten uns da Jesus als Vorbild nehmen. Jesus hat doch gerade NICHT alles ungebrochen weitergeführt. Was uns vergiften würde, kann weg. Ich würde es eher so schreiben:
47 Wiederum gleicht das Himmelreich einem Netz, das ins Meer geworfen wurde und Fische aller Art fing.
48 Als es voll war, zogen sie es heraus an das Ufer, setzten sich und lasen die guten in Gefäße zusammen, aber die schlechten warfen sie weg.
C: Aber nein! Das ist so viel zu beliebig! Am Ende stricken sich noch alle ihren eigenen Glauben zusammen! Wie sollen wir dann überhaupt noch wissen, wer zum christlichen Glauben gehört und wer nicht? Traut ihr den Leuten wirklich zu, dass die selber denken und entscheiden können? Ich finde, da müssen wir aufpassen, sonst hören die am Ende gar nicht mehr auf uns. Ich habe eine Idee: Wir beziehen das Aussortieren der Fische nicht auf die Inhalte des Glaubens, sondern auf die Gläubigen selbst. Also so zum Beispiel:
49 So wird es auch am Ende der Welt gehen: Die Engel werden ausgehen und die Bösen von den Gerechten scheiden
50 und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird sein Heulen und Zähneklappern.
Am nächsten Tag kam die Lektorin, las diese ganzen Verse hintereinander weg und wunderte sich. Sie rief bei A, B und C an und fragte:
51 Habt ihr das alles verstanden? Sie sprachen: Ja.
Die Lektorin wunderte sich noch mehr. Aus ihrer Sicht war das ein einziges Durcheinander. Manches davon kam ihr völlig veraltet vor, anderes wiederum entsprach den neuesten Auffassungen und Diskussionen. Sie schüttelte den Kopf und ergänzte:
52 Da sprach Jesus: Darum gleicht jeder Schriftgelehrte, der ein Jünger des Himmelreichs geworden ist, einem Hausvater, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorholt.
Und so haben wir bis heute in der Bibel ein Sammelsurium von Gottesbildern und Meinungen. Wenn wir damit biblisch umgehen wollen, können wir davon eben NICHT alle übernehmen. Manche widersprechen sich. Manche sind veraltet. Manche sind „schlecht geworden“, statt noch nahrhaft zu sein, sind sie schädlich geworden. Und trotzdem müssen wir damit rechnen, dass andere Menschen auch andere Meinungen haben. Genau so können sich unsere Meinungen im Lauf des Lebens aber auch ändern. Möge die MCC weiterhin ein Ort sein, an dem genau solche Auseinandersetzungen möglich sind.