Predigt MCC Köln, 25. August 2019
Ines-Paul Baumann
Johannesevangelium 8,1-11
In mancherlei Hinsicht geht es heute um Erfahrungen, die wir lieber für uns behalten. Auch diese Bibelstelle selbst wurde lange verschwiegen. War sie nicht viel zu sehr ein Freibrief? Stand denn nicht eigentlich „in der Bibel“, dass auf so etwas die Höchststrafe stand? Wie sollten die Kirchen damit noch ihr Recht auf Kirchenzucht begründen können?
Hier ein fiktiver Austausch, wie er sich beim gemeinsamen Lesen dieser Bibelstelle entspinnen könnte:
8:1 Jesus aber ging nach dem Ölberg. 2 Frühmorgens aber kam er wieder in den Tempel, und alles Volk kam zu ihm; und er setzte sich und lehrte sie. 3 Die Schriftgelehrten und die Pharisäer aber bringen eine Frau, die beim Ehebruch ergriffen worden war, und stellen sie in die Mitte 4 und sagen zu ihm: Lehrer, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden.
A: Von wem?? Von WEM ist die Frau ergriffen worden, als die gerade Sex hatten?
B: Stimmt, woher wissen die das??
A: Waren die dabei?
B: Quatsch. Das sind Schriftgelehrte und Pharisäer.
A: Ja und, haben die keinen Sex?
B: Dussel! Darum geht es hier doch gar nicht. Die Frau damals war Eigentum ihres Ehemannes, keine Partnerin, schon gar nicht für einvernehmlichen Sex. Sein Besitz, verstehst du! „Mein Haus, mein Boot, mein Porsche, meine Frau.“
A: In der Reihenfolge?
B: Ja klar, vor allem der Porsche. Das war vor bald 2000 Jahren!
C: Jetzt spiel dich mal nicht so auf. Frauen sind auch heute oft eher Objekte statt Partnerinnen.
B: Offene Beziehung gab‘s damals zumindest nur für Männer.
A: Trotzdem gehören zum Ehebruch mindestens zwei dazu.
B: Ja, aber wie so oft hatte nur die Frau die Konsequenzen getragen. Siehste doch, nur die Frau wurde ergriffen und zum Tempel gebracht.
A: Und wer HAT sie jetzt ertappt und ergriffen?
B: Ist doch unwichtig.
A: Finde ich nicht! Irgendjemand muss es ja mitbekommen und beobachtet haben. Haben die ihr aufgelauert? Waren das Voyeure? Hatten die heimlich Kameras installiert? War das eine Falle? Man erwischt doch nicht einfach so jemandem beim Sex!
B: Och… je nachdem wo…
C: Na ins Cranacher Wäldchen werden sie nun nicht gegangen sein!
A: Also ihr findet es normal, dass religiöse Oberhäupter eine Frau vor die religiöse Gemeinde zerren, und zwar nur sie, und dass da niemand mal nachfragt? Dass es niemanden interessiert, was sie dazu zu sagen hat?
C: Damals musste es zwei Zeugen geben. Wird es wohl gegeben haben.
A: Also waren die auch noch zu zweit unterwegs, als sie sie auf frischer Tat erwischt haben? Das wird ja immer besser.
B: Jetzt warte doch erst mal ab, wie es weitergeht.
(Nochmal ab Vers 3:) 3 Die Schriftgelehrten und die Pharisäer aber bringen eine Frau, die beim Ehebruch ergriffen worden war, und stellen sie in die Mitte 4 und sagen zu ihm: Lehrer, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. 5 In dem Gesetz aber hat uns Mose geboten, solche zu steinigen.
A: WASSSS? Steinigen? Was ist das denn für ein Gesetz?
B: Altes Testament. Levitikus 20, Vers 10.
A: Und was steht da genau?
B: „Wenn ein Mann mit einer Frau Ehebruch treibt, wenn ein Mann Ehebruch treibt mit der Frau seines Nächsten, müssen der Ehebrecher und die Ehebrecherin getötet werden.“
C: Siehste: beide.
A: Das macht es doch auch nicht besser. Das soll ein religiöses Gesetz sein? Was ist das für eine Religion??
C: Naja, Eigentum ist auch heute besser geschützt als alles jeder passive Verkehrsteilnehmer. Zu schnell fahren? Kavaliersdelikt. Diebstahl? Knast!
B: Und vergiss nicht: Frauen = Eigentum.
C: Steinigung war damals normal. Haben die Männer vor Ort halt zusammen gemacht.
A: Und auch da regt sich niemand drüber auf?
B: Jetzt warte doch erst mal ab, wie es weitergeht.
5 In dem Gesetz aber hat uns Mose geboten, solche zu steinigen. Du nun, was sagst du? 6 Dies aber sagten sie, ihn zu versuchen, damit sie etwas hätten, um ihn anzuklagen. Jesus aber bückte sich nieder und schrieb mit dem Finger auf die Erde.
A: Also Moment. Da steht die Frau inmitten der religiösen Oberhäupter. Um sie herum lauter Männer, die bereits ihr Urteil über sie gefällt haben. Die WISSEN, dass sie im Recht sind. Die ÜBERZEUGT sind, dass die Frau im Unrecht ist, und dass ihre Religion ihnen vorschreibt, die Frau zu töten.
B: Genau. Kennste doch. So Religiöse, meine ich. Die zitieren irgendeinen Vers, bilden sich ihr Urteil über jemanden, den sie gar nicht kennen, und sind super-überzeugt davon, dass sie im Recht sind.
C: Die zeigen mit dem Finger auf dich, bevor sie mit dir geredet haben.
B: Reden nützt doch eh nix. Es INTERESSIERT sie doch überhaupt nicht. Sie wissen ja schon alles.
A: Und da regt sich Jesus nicht drüber auf?
B: Jetzt warte doch erst mal ab, wie es weitergeht.
7 Als sie aber fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie.
B: Hätte Jesus dann nicht als erster werfen müssen? Von dem sagen wir doch immer, dass er ohne Sünde gewesen sei.
A: Ich finde, dass Jesus da ganz schönes Risiko gegangen ist. Die Frau steht da im Tempel. Um sie herum lauter überzeugte Männer, die nur darauf warten, mit der Steinigung zu beginnen. Und dann sagt Jesus: „Na dann werft mal los.“?
B: Das hat er doch gar nicht gesagt. Er hat gesagt: Wer von euch OHNE SÜNDE ist, werfe als Erster einen Stein auf sie. Ursprünglich hieß es wahrscheinlich sogar: „Derjenige von Euch, der sich gewiss ist, selbst unschuldig zu sein in Bezug auf die Sünde, der sie bezichtigt ist, lasst ihn gegen sie aussagen mit dem Beweis, dass er selbst [unschuldig] ist.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Jesus_und_die_Ehebrecherin#cite_ref-PetersenSayings1997_2-0
A: Genau das meine ich! Diese selbstgerechten, religiösen, überzeugten Männer, die eh alles wissen und irgendwelche Verse zitieren – die wähnen sich doch im Recht! Stell dir das doch mal vor. Du stehst inmitten so einer Versammlung. Alle sind davon überzeugt, dass DU der Sünder bist – und sie nur für Recht und Ordnung sorgen. Im Namen Gottes. DU bist der Sünder, nicht SIE. Und dann so ein Spruch: Wer von euch in Bezug auf diese Sünde unschuldig ist, werfe als Erster einen Stein auf sie. Die werfen doch ALLE als erster los!
B: Und wenn sie NICHT werfen, geben sie vor allen anderen zu, selber Sünder zu sein… vielleicht sogar dieselbe Sünde begangen zu haben… Die MÜSSEN werfen, wenn sie ihren Ruf nicht verlieren wollen.
A: Die Frau muss auch gedacht haben, „na danke, Jesus, du bist echt eine tolle Hilfe…“
C: Jesus wird das doch nicht einfach so gesagt haben. Stell dir mal vor, die hätten tatsächlich alle losgeworfen! Ich glaube, Jesus hat den Schriftgelehrten und Pharisäern was zugetraut.
B: Ausgerechnet denen?
C: Ja. Jesus hat auch sie ernst genommen.
A: Du spinnst. So doof und naiv kann nicht mal Jesus gewesen sein.
C: Das war nicht naiv. Er hat ALLEN Menschen was zugetraut.
A: DU bist naiv.
C: Jesus hat ihnen keinen Befehl gegeben, er hat sie nicht überredet, er hat sie nicht manipuliert – er hat ihnen etwas zugetraut. Das ist nicht naiv. Das ist letztlich die einzige Möglichkeit, wirklich ein anderes Miteinander aufzubauen. Wo Leute selbst nachdenken und entscheiden, anstatt irgendwelchen Oberhäuptern zu folgen – seien die jetzt religiös oder charismatisch oder sonst was.
A: Also, Jesus hat den Menschen – sogar den Schriftgelehrten und Pharisäern – etwas zugetraut…?
C: Er hat ihnen zugetraut, sich selbst zu kennen und einschätzen zu können.
A: Und das hat funktioniert?
8 Und wieder bückte Jesus sich nieder und schrieb auf die Erde. 9 Als sie aber dies hörten, gingen sie, einer nach dem anderen, hinaus, angefangen von den Älteren; und er wurde allein gelassen mit der Frau, die in der Mitte stand.
C: HAT funktioniert.
A: Das ist aber ganz schön riskant. Jesus muss ja gleichzeitig darauf vertraut haben, dass die alle Dreck am Stecken haben…
B: *prust* Wo ist denn DA das Risiko!
A: … und dass sie bereit sind, das voreinander zuzugeben.
B: Sonst ist es doch oft umgekehrt: Wer am ehesten selber betroffen ist, tut nach außen hin am lautesten kund, dagegen zu sein. „Ich hasse alle Schwulen und bin auch nicht schwul!“ ist für schwule Priester doch ein Standardspruch in manchen Kreisen.
C: Nur dass Schwulsein keine Sünde ist.
A: Also Jesus war sich einerseits sicher, dass alle von diesen selbstgerechten Männern eigentlich auch das getan haben, was sie der Frau vorwerfen? Und hat ihnen andererseits zugetraut, das sich und anderen einzugestehen?
B: SEHR hohes Risiko.
C: Jesus kennt uns. Für Jesus sind wir nicht nur gut ODER böse. Entweder Sünder ODER nicht. Jesus hat da eine realistische Einschätzung. Und wo er uns etwas zutraut, verändert das unser Selbstbild. Jesus verurteilt uns nicht – in seiner Gegenwart lernen auch wir, uns nicht zu verurteilen. Jesus durchbricht Rollen und Traditionen – in seiner Gegenwart lernen auch wir, Rollen und Traditionen zu durchbrechen. Jesus überlässt uns Verantwortung – in seiner Gegenwart lernen wir, Verantwortung zu übernehmen.
A: Na na na, normalerweise sind Religionen für das Gegenteil davon bekannt: Die Verantwortung wird an Gott abgegeben, Rollen und Traditionen sind wichtiger als alles andere, Gläubige verurteilen sich und andere ständig.
C: Genau. Aber hier haben die Schriftgelehrten so gehandelt, wie Jesus es gemeint hat – nicht, weil er sie dazu gezwungen oder überredet hat, sondern weil er ihnen das zugetraut hat.
B: Ausgerechnet DIE. Ich fass es immer noch nicht.
A: Tia. Manchmal handeln die vermeintlich Falschen richtig, und die vermeintlich Richtigen falsch. Und dann hast du plötzlich eine Art Gotteserfahrung mit Leuten, von denen du es am wenigsten erwartet hast.
10 Jesus aber richtete sich auf und sprach zu ihr: Frau, wo sind sie? Hat niemand dich verurteilt? 11 Sie aber sprach: Niemand, Herr. Jesus aber sprach zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh hin und sündige von jetzt an nicht mehr!
B: Hä? Was ist denn das für ein Fazit?
A: Jesus verurteilt die Frau nicht, also hat sie keinen Ehebruch begangen.
C: Jesus verurteilt die Frau nicht, also ist Ehebruch keine Sünde.
A: Jesus sagt, sie soll hinfort NICHT mehr sündigen, also HAT sie vorher gesündigt.
C: Mit einem Ehebruch, der ihr vielleicht nur untergejubelt wurde?
B: Aber wenn sie gesündigt hat, dann MUSS sie doch verurteilt werden.
A: Also wir können sündigen, und Gott macht es gar nichts aus?
B: Kein Wunder hat sich die Kirche so schwer damit getan, diese Stelle überhaupt in die Bibel mit aufzunehmen…
Literaturtipps:
- Ruth Habermann: „Das Evangelium nach Johannes – Orte der Frauen“ in: Luise Schrottroff, Marie-Theres Wacker (Hrsg.): „Kompendium Feministische Bibelauslegung“ (Güterloher Verlagshaus, Sonderausgabe 2007, S. 533-535)
- Gert Hellerich, Daniel White: „Postmoderner Jesus“ (lit Verlag 2012, S. 66)
- Robert E. Goss: „John“ in: Deryn Guest, Robert E. Goss, Mona West, Thomas Bohache (Hrsg.): „The Queer Bible Commentary“ (SCM Press 2006, S. 556-557)