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Darf der sowas in der MCC sagen?

Predigt MCC Köln, 23. Juni 2019
Ines-Paul Baumann

Johannesevangelium 5,39-47

Hätte Jesus so etwas in der MCC Köln sagen dürfen? Anderen ihren Glauben absprechen? Und auch noch so, dass alle es mitbekommen? Wo bleiben da Respekt, Inklusivität, Vielfalt, Privatsphäre? Im Ernst: Hätte Jesus in der MCC Köln so predigen dürfen?

Schauen wir doch mal in unseren Unterlagen nach:

2.5.2 Was macht eine gute Predigt / eineN guteN PredigerIn aus?

  • Gott ist Mittelpunkt
  • Authentizität
    • „Predigt sollte nicht ein bloßes Herleiern von Glaubensaussagen sein, sondern mit dem Leben des/der Vortragenden und dem der Zuhörer_innen zu tun haben.“.
    • „Zuspruch und Anspruch des zugrundeliegenden Textes auch auf sich persönlich bezieht“
  • Zuspruch und Anspruch
    „weder soll sie einen Forderungskatalog dessen darstellen, was uns in dieser Gemeinde immer schon missfiel, noch soll sie die Zuhörer ohne Herausforderung zurücklassen.“
  • Form der Predigt
    • strukturiert
    • verständlich vorgetragen
    • nicht länger als 15 min
  • Inklusivität
    „Einschließen aller Menschen in unsere Gemeinschaft“, „auch durch durchdachte Formulierungen“
  • Bereitschaft, Kritik zu hören und umzusetzen
    „Es gehört zu den unabdingbaren Fähigkeiten eines Predigers / einer Predigerin, Kritik und andere Meinungen zu hören, zu diskutieren und evtl. auch umzusetzen. Niemand von uns kann für sich in Anspruch nehmen, unfehlbar und perfekt zu sein. Es ist wünschenswert, in Zukunft eine Struktur zu entwickeln, die Prediger_innen das notwendige Feedback sichert.“

(Geschäftsordnung der MCC Köln)

Wäre dieser Text also eine gute Predigt oder nicht?

Das PROBLEM an diesem Text ist, dass wir nur einen AUSSCHNITT sehen. Wie können wir die Situation beurteilen, solange wir den Zusammenhang gar nicht kennen? Um beurteilen zu können, was hier gerade los ist, müssten wir die Vorgeschichte kennen.

Das Ganze fängt Anfang des fünften Kapitels an (und ich versuche jeweils mal direkt, einen Bezug zur MCC herzustellen):

  • Evangelium (Joh 5,1-9): Jesus heilt einen Menschen.

    MCC: Irgendwas Gutes passiert. Ein Mensch erfährt Heilung. Vielleicht befreit er sich von kranken Verhaltensweisen, von krankmachenden Mustern, aus ungesunden Strukturen.

  • Evangelium (Joh 5,10-18): Die Gesetzeshüter und Schriftgelehrten sind empört – „das kann Jesus so doch nicht machen“. Sie beschweren sich und verfolgen Jesus.

    MCC: Eine andere Person anders bekommt das mit und fühlt sich davon gestört, überrascht, vielleicht sogar bedroht. (Zum Beispiel weil sie selbst auch in solchen Mustern lebt. Oder weil sie von solchen Mustern profitiert. Oder einfach weil sich dadurch etwas ändert. Weil es nun nicht mehr so ist, wie es immer war. Wie wir es gewohnt sind. Wir wir es in der MCC seit Jahren kennen. Die Veränderung verstößt gegen ungeschriebene, liebgewonnene Gesetze.) Die Person fühlt sich also angegriffen und ihre Werte bedroht und beschwert sich.

  • Evangelium (Joh 5,19-47): Jesus holt weit aus und hält denen, die sich beschweren, eine unverblümte Rede. Statt um die Wahrheit und um Gott ginge es ihnen nur um sich selbst, wirft er den ihnen vor.

    MCC: …?

Der Predigttext – die paar Worte, die wir gerade betrachten – sind nur der letzte kleine Ausschnitt dieser Rede.

Ohne zu wissen, was vorher geschah, würden wir gemessen an unseren Werten (Inklusivität, respektvoller Umgang, Umgang mit Konflikten, …) vielleicht NICHT zu dem Schluss kommen, dass Jesus hier im Sinne unserer Werte handelt.

Stellt euch vor, ihr werdet Zeuge, wie eine Person A einer anderen Person B ins Gesicht sagt, dass es ihr wohl gerade mehr um sich selbst geht als um Gott. Wie dieser Person der Glaube abgesprochen wird. Und das auch noch so, dass es alle anderen mitbekommen.
Was wäre hier wohl los, wenn einer hier so reden würde? Vielleicht sowas?:

  • „Diese arme Person! Wie könnt ihr nur so gemein zu ihr sein! Wie könnt ihr so ungerecht sein!“
  • „Wir können doch nicht andere so bloßstellen! In einem seelsorgerlichen Gespräch, unter vier Augen, da kann man sowas vielleicht mal sagen. Und auch nur, wenn die andere Person dafür bereit ist. Aber selbst dann: In anderer Form, bitte! Erst mal zuhören! Fragen, was die andere Person bewegt! Sie wird Gründe haben für ihre Meinung! Also, Zurückhaltung mit solchen Äußerungen. Und nochmal: Einzelne vor anderen so bloßstellen, das geht gar nicht!“
  • „Ich beobachte eh schon seit längerem, dass Jesus ganz schön viel Zeit mit denen verbringt. Warum haben die so viel Aufmerksamkeit verdient? Er sollte sich lieber mal um seine Jünger kümmern! Wir sind schließlich auch noch da!“
  • „Wie kann Jesus so gemein zu den Schriftgelehrten sein! So kann er doch nicht mit ihnen reden! Er kann die doch nicht einfach so angreifen! Ihnen vorwerfen, es geht ihnen nicht um Gott, das geht echt zu weit! Ich habe eh schon länger den Eindruck, dass er sich die Schriftgelehrten irgendwie herausgepickt hat. Irgendwas pieksen die in Jesus wohl an, dass er da immer direkt aus der Haut fährt. Vielleicht ist er überfordert. Oder ein Problem aus seiner Kindheit. Vielleicht sollte er erst mal an sich selbst arbeiten, bevor er andere so zurechtweist. Echt.“

Es weiß zwar niemand, was vorher passiert ist. Aber das Urteil ist ganz klar. Da war jemand nicht nett, und wer nicht nett ist, ist der Böse.

Ob Jesus so etwas in der MCC Köln also hätte sagen dürfen?
Hat der Jesus, der solche Dinge sagt, Platz unter uns?

Den Reflex, sich auf die Seite von Menschen zu stellen, die angegriffen werden, kann ich bestens verstehen. Den Reflex, diejenigen in Machtpositionen dabei kritisch zu beäugen, kann ich auch gut verstehen.

Meine einzige Sorge ist:
Wie können wir lernen, auch unbequeme Dinge an- und auszusprechen? Wie gehen WIR damit um, wenn es uns manchmal vor allem um die eigene Ehre geht? (DASS das vorkommt, ist ja nicht das Problem.) Wie können wir vermeiden, dass bei uns Gewohnheiten das Sagen haben? „Das haben wir doch immer so gemacht“: das darf doch nicht ewiger sein als das Wort Gottes! Wie gehen wir als Gemeinde damit um, wenn Einzelne sich angegriffen fühlen von Veränderungen, von Aufbrüchen, von Befreiungen, oder eben auch, wenn wir Grenzen setzen, oder wenn wir „wunde Punkte“ ansprechen?

Wie kann der Jesus aus dem Markus-Evangelium hier wirken? Unter uns lebendig und wirksam sein? UNS verändern, UNS ansprechen, unter UNS die Wahrheit sagen, unter UNS heilen?

Dass es auch anders geht, zeigt eine andere Geschichte aus den Evangelien. Es waren ja nicht nur die Schriftgelehrten, die ihre eigene Ehre suchten. Und die von Jesus zurechtgewiesen wurden. Auch unter den Jüngern kam das vor. Zum Beispiel die beiden, die sich mit der folgenden Bitte an Jesus wenden: Wenn er seinen Platz zur Rechten Gottes einnimmt, mögen sie doch bitte rechts und links neben ihm sitzen dürfen. (Auch hier geht‘s wieder los: Andere von den Jüngern bekommen das mit und beschweren sich prompt…)

Dass das auch unter Jüngern vorkommt, ist WICHTIG. Denn:

Erstens: Sowohl Schriftgelehrten als auch Jüngern passiert es, dass sie sich vorrangig um sich selbst drehen. Ob jemand zu sehr die eigene Ehre sucht, hat NICHTS MIT DEM EIGENEN GLAUBEN zu tun. Wer sich in ungesundem Maße um sich selbst dreht, kann trotzdem tief gläubig und ganz nahe bei Jesus sein. (Sich zu wenig um sich selbst zu drehen, kann übrigens genau so ungesund sein.) Wenn wir hier also mitbekommen, dass sich Einzelne zu viel oder zu wenig um sich selbst drehen, dann steht es uns NICHT zu, daraus irgendwelche Schlüsse über ihren Glauben zu ziehen.

Zweitens: Wenn wir nicht einfach sagen können, dass das unter Gläubigen nicht vorkommt, dann müssen wir einen Umgang damit finden. Was tun wir, wenn bei uns nicht Jesus im Mittelpunkt steht, sondern unsere Egos, unsere Verletzungen, unsere Gewohnheiten, unser Mangel an Anerkennung (oder unsere Angst vor Anerkennung)?

Der große Unterschied in den Evangelien liegt darin, wie Einzelne damit umgehen, wenn sie mit der Wahrheit über sich selbst konfrontiert werden.

Die einen fühlen sich angegriffen. Sie beschweren sich, zeigen auf Jesus, stellen sich selbst gegen ihn und hetzen andere gegen ihn auf. Am Ende sorgen sie dafür, dass Jesus hingerichtet wird. Weg mit dem, der ihnen die Wahrheit sagt! Der Heilung und Befreiung anbietet, Veränderungen anstößt, Gewohnheiten durchbricht! Er oder sie!

Die anderen bleiben bei Jesus, auch wenn (oder weil) er ihnen die Wahrheit sagt. Ich glaube nicht, dass die beiden Jünger, die neben Jesus Platz nehmen wollten, glücklich waren mit seiner Antwort. Aber das war für sie kein Grund, sich ab nun von ihm abzuwenden. Oder Petrus. Der muss sich von Jesus anhören: „Weiche von mir, Satan“. Das könnte man durchaus mal persönlich nehmen. Petrus hätte allen Grund, sich missverstanden zu fühlen. Beleidigt zu sein. „Wer so von mir redet, mit dem will ich nichts mehr zu tun haben.“ Aber was macht Petrus? Er bleibt an Jesu Seite – und wird ein wichtiger Mitstreiter für Jesu Anliegen. Hochs UND Tiefs haben ihn geprägt. Lob UND Kritik haben ihn zu dem wertvollen Mitarbeiter Jesu gemacht.

Ich wünsche mir, dass unter uns auch beides seinen Platz hat:
– Dass es unsere Gemeindekultur erlaubt, Fehler zu machen. Ohne dafür verurteilt zu werden.
– Und dass es unsere Gemeindekultur erlaubt, Fehler zu benennen. Ohne dafür verurteilt zu werden.

In der Gegenwart Jesu, in seiner Gemeinschaft, HAT beides seinen Platz.
Möge diese Gegenwart Jesu in unserer Gemeinde und in unseren Herzen weiter wachsen.

 

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