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„Hab keine Angst“? Nein, es geht um viel mehr: „Fürchte dich nicht“!

Predigt MCC Köln, 18. November 2018
Daniel Großer

Offenbarung 2,8-11

Es wäre gut möglich, dass du schon mal in Smyrna gewesen bist! Heute hört diese Stadt auf den Namen Izmir. Sie befindet sich in schöner und vorteilhafter Lage an der Westküste der heutigen Türkei.
In der Antike ist Izmir eine wohlhabende Handelsstadt, begünstigt durch ihren Hafen und ihre Anbindung ans kleinasische Hinterland. Sie muss eine der schönsten Städte ihrer Zeit gewesen sein, und noch heute lohnt sich ein Besuch.
Für die christliche Gemeinde ist Smyrna zum Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus jedoch keine unbeschwerte Heimat.
Die römische Provinz Judäa gilt bereits zur Wirkzeit Jesu Christi als unruhig; immer wieder kommt es zu Scharmützeln, an selbsternannten Anführern und Heilsbringern mangelt es nicht. Das römische Imperium setzt bewusst auf Insignien der Macht, was neben Münzen und öffentlichen Symbolen auch die Gründung von neuen Städten und Garnisonsstandorten umfasst.
Ab dem Jahr 66 kommt es in der Provinz Judäa zu einem gewalttätigen Aufstand der Juden, zu jener Zeit herrscht der für seine Brutalität bekannte Nero in Rom. Der sog. Jüdische Krieg bricht aus. Die Kämpfe dauern über Jahre (!) an und reichen bis in die Amtszeit von Neros Nachfolgern hinein. Es starben weit über eine Millionen Juden und zigtausende Söldner des römischen Reiches – eine für heutige Verhältnisse gigantische Zahl, die damals geradezu apokalyptisch gewirkt haben muss.
Es geschieht das, was noch heute in solchen Situationen geschieht: Menschen fliehen und lassen sich an sichereren Orten nieder. Viele fliehen nach Persien, nicht wenige nach Kleinasien. Für Kaufleute und reiche Menschen ist die Flucht nach Smyrna über die damaligen Handelsrouten naheliegend, womöglich haben sie dorthin ohnehin Beziehungen. So muss sich in Smyrna eine beträchtliche jüdischen Exilgemeinde gebildet haben, die erheblichen Einfluss auf das Leben der Stadt gewann. Was geschieht dort mit ihnen?
In unserem heutigen Deutschland kennen wir das: von Fremden wird teils unverhohlen erwartet, dass sie sich allen Gesetzen des Landes, allen Bräuchen und allen Denk- und Lebensweisen anzupassen hätten.
Noch schlimmer muss es für die Juden in Smyrna gewesen sein. Die Beziehung zwischen Rom und Judäa waren eisig, und Juden standen unter Generalverdacht, wurden beobachtet. Wer sich hier eine neue Existenz aufbauen wollte, musste sich anpassen und besonders beweisen, wie freundlich er dem römischen Reich gesinnt war. So wurden die Juden von Smyrna römischer als die Römer selbst! Unser Bibeltext spricht von den Juden in Smyrna als einer “Versammlung des Satans”. Im Neuen Testament ist mit Satan oft das römische Reich gemeint, und der römische Kaiser als der Teufel. Die Autorschaft des Bibeltextes beschuldigt also die jüdische Gemeinschaft von Smyrna, sich dem römischen Reich angebiedert und opportun gemacht zu haben zum eigenen Vorteil.
Um ihren Einfluss und ihre Position zu sichern, machten sich die Juden in Smyrna die Feinde Roms zu ihren eigenen Feinden: die Veränderer, die Revoluzzer, die Unbeugsamen. Die Christen!

Deswegen geht es der christlichen Gemeinde von Smyrna schlecht: Sie werden gebrandmarkt zu Feinden Roms, man bezichtigt sie der Blasphemie, also der Leugnung der Autorität des römischen Kaisers. Die Nicht-Anerkennung des römischen Kaisers als Gottheit ist im römischen Reich strafbar, man spricht vom Kaiserkult. Wer sich ihm verweigert, gilt nicht nur als Straftäter, sondern als Unmensch, als Menschenfeind. Allein für das Judentum gilt eine Ausnahmeregel vom Kaiserkult – und so grenzen sich die Juden bewusst ab von den Christen, wohl-wissend dass die Römer anfangs noch kaum zwischen Christen und Juden zu unterscheiden vermögen. Die Juden Smyrnas machen klar: Christen sind keine Juden! Wir dürfen davon ausgehen, dass sich bald kein Jude mehr in die christliche Gemeinde von Smyrna getrauten haben dürfte.
Ab Kaiser Trajan (98) gilt die Ausnahmeregel vom Kaiserkult für Christen schließlich nicht mehr. Wer jetzt denunziert wird, muss um sein Leben fürchten. Es kommt zu Schauprozessen, Progrogromen. Unser Bibeltext ist keine Prophetie – er ist ein schauriger Gegenwartsbericht seiner Zeit.

Jetzt verstehen wir auch, warum unser Text die Armut der Gemeinde im sonst so reichen Smyrna anspricht. Kein Geschäftsmann, der bei Trost ist, wird sich in dieser Gemeinde sehen lassen. Wenn seine Kunden und Lieferanten das mitbekämen, wäre das wirtschaftlicher Selbstmord in diesem Klima. Ein Déjà-vue erlebten wir im Dritten Reich, als jüdische Geschäfte öffentlich diskriminiert und boykottiert wurden.

Die christliche Gemeinde in Smyrna ist eine arme Gemeinde, weil kein Reicher einen Fuß in ihre Tür setzen kann, wenn er reich bleiben will. Wer sich unter diesen Bedingungen noch zur Gemeinde hält, ist entweder arm, oder ein Überzeugungstäter – und daher bald arm.

Es sind nur ein paar Sätze, mit denen sich der Offenbarungstext den Problemen widmet, mit denen die Christen in Smyrna kämpfen:

Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut – du bist aber reich – und die Lästerung von denen, die sagen, sie seien Juden, und sind’s nicht, sondern sind die Versammlung des Satans. Fürchte dich nicht vor dem, was du leiden wirst! Siehe, der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr versucht werdet, und ihr werdet in Bedrängnis sein zehn Tage.

Offenbarung 2, 9-10a

Aber diese Sätze haben es in sich. Hier weiß jemand genau, wovon er oder sie spricht. Und trotzdem, trotz des Wissens um Drangsalien, Inhaftierung, Folter, Unterdrückung, trotzdem heißt es hier (wie über 200 weitere Mal in der Bibel)l: “Fürchte dich nicht!”

Das “Fürchte dich nicht” der Bibel hat eine andere Macht als das “Hab keine Angst”, das eine Mutter ihren Kindern zum Beispiel beim Zahnarztbesuch zuflüstert. Die Christen in Smyrna haben viele gute Gründe, sich zu fürchten! Der Trost im “Fürchte dich nicht” der Bibel liegt nicht darin, dass er diese Gründe klein redet oder ab tut.
Das “Fürchte dich nicht” der Bibel kennt die Furcht und durchdringt sie, es geht in die Tiefe der Not. Es nimmt die Opfer übrigens viel ernster, als es unsere fürchterlichen “Ehrenmale” in Deutschland es mit den Kriegsopfern tun – soviel sei am Rande zum Volkstrauertag gefrotzelt.

Das “Fürchte dich nicht” überlässt die Christen von Smyrna nicht der ohnmächtigen Würdelosigkeit. Es fordert sie nicht dazu auf, sich mit ihrer Not einzurichten oder sich geschlagen zu geben. Es stigmatisiert sie nicht zu Opfern, es stempelt sie nicht als Verlierer ab. Das “Fürchte dich nicht” der Bibel ist nicht mitleidig (“Du armer schwarzer Kater”) oder tränenrürig. Vielmehr ruft es sie auf, aktiv zu werden!
“Seid getreu” und “überwindet” – wenn es sein muss, bis an den Tod. So etwas sagt man nicht zu Weicheiern und Angsthasen, so etwas sagt man Leuten, in denen man tapfere Heldinnen und Kämpfer sieht! So etwas sagt man, um sie zur ganzen Größe ihrer Fähigkeiten zu motivieren.
Die Christen in Smyrna sollen sich weiter treffen, Gott dienen, von ihr erzählen, dem treu bleiben, was Gottes Geist in ihre Sinne und ihre Herzen geschrieben hat. Und warum?

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Am Ende ist der größte Fisch im Teich eben immer noch Gott. In dieser Gewissheit wurde die Offenbarung geschrieben. Den Allmachtskrümeln dieser Welt fehlt allzuoft der Blick auf den Kuchen! Der Rapper Farid Bang textet: “Chabos (Jungs) wissen, wer der Babo (Vater) ist!” Unterm Strich zählt Gott, das sollen die Christen von Smyrna auf gar keinen Fall vergessen. Das ist der Grund, warum sie sich nicht von der Furcht unterkriegen lassen müssen. Der Kaiser von Rom stirbt irgendwann, und dann prägt das Imperium alle Geldmünzen neu. Wenn ein Kanzler geht, wird das Amt umdekoriert. Auch für den fiesesten Gewaltherrscher fällt eines Tages der Vorhang. Aber das letzte Wort hat Gott. Ein Witz lautet: “Nietzsche schreibt: Gott ist tot. Einige Zeit später – Gott schreibt: Nietzsche ist tot.”

Wir sind NICHT Smyrna. Die Gesetze unseres Landes schützen uns, keiner von uns wird für seine Gottestreue vom deutschen Staat inhaftiert, gefoltert oder getötet werden. Ein “Martyrium” im eigentlichen Sinne erleben wir nicht. Und wir müssen es auch nicht, denn hier steht: “So will ich dir die Krone des Lebens geben”, nicht etwa “So wirst du dir die Krone des Lebens erarbeiten”.
Wir sind NICHT Smyrna. Und wahrscheinlich verstehen wir das Leid der Gemeinde von Smyrna auch nur in Ansätzen.

Wir sind NICHT Smyrna. Aber Gott ist immer noch Gott. Sie ist noch immer genau so treu! Er steht über der Zeit. Bis auf den heutigen Tag gibt es christliche Gemeinden in Smyrna, heute Izmir. Es lohnt sich, auf Gott zu setzen – er trägt dich sehr viel weiter, als es deine eigenen Füße tun werden.
Gott ist noch immer die einzige, auf die es wirklich ankommt, und wir? Wir sind gefragt, alles zu überwinden, was uns das vergessen lassen will. Chabos wissen, wer der Babo ist!

AMEN.

Fragen zur Stille:

  • Was ist es wert, dass wir es fürchten?
  • Wo sind wir gefragt, nicht in Furcht zu erstarren? Wie könnte “Überwinden” aussehen?
  • Fallen dir weitere Bilder und Sprichworte dazu ein, wie jemand sich vorschnell für bedeutend hält? (z.B.: “… der hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht.”)

Segen:

Dieses Eine genügt: Gott geht mit. Nachher aus diesem Raum raus, geht Gott mit. Gott geht mit dir auch auf die Toilette (also benimm dich). Gott geht mit dir in die Imbissbude. Gott geht mit dir mit in die Straßenbahn, wo du manchmal komisch angeguckt wirst. Gott geht mit dir mit nach Hause, wo du dich manchmal gar nicht so zu Hause fühlst. Gott geht mit dir mit in die Einsamkeit der Woche. Gott geht mit dir mit auf deine Arbeitsstelle. Gott geht mit dir mit in die Schwulensauna und zum AIDS-Test. Geht geht mit dir mit in die Disco. Gott geht mit dir mit in die Klinik, und Gott geht mit in den Operationssaal. Gott geht mit dir mit, wenn du dich im Karneval übernommen hast und dir alles noch mal durch den Kopf gehen lässt. Gott geht mit dir zu deinen Eltern und den ungeklärten Problemen zwischen euch. Gott geht mit dir in die Eisdiele, wenn du im Frühling alle Ratschläge deines Diabetologen in den Wind schießt. Gott geht mit dir mit zur Agentur für Arbeit. Gott geht mit dir mit ans Krankenbett deiner Freundin. Gott geht mit dir mit, wenn dieses Bett leer sein wird. Gott geht mit dir mit, wenn du deine Kinder zur Schule bringst. Gott geht mit dir mit in dein nächstes Beratungsgespräch. Gott geht mit dir mit, wenn du dir einen tollen Fummel kaufst. Gott geht mit dir mit, wenn du ins Heim ziehst und zum letzten Mal deine Wohnungstür hinter dir schließ. Gott geht mit dir mit, wenn deine schwerste Stunde gekommen ist. Und Gott wird noch mit dir sein, wenn diese Stunde vergangen ist.
Es es segne dich mit der Gewissheit ihrer Größe und Gegenwart unser vielgestaltiger Gott, Mutter wie Vater, Jesus Christus und die Geistkraft.

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