Predigt MCC Köln, 3. Juni 2018
Madeleine Eisfeld
1. Petrusbrief 1,8-12
Der Text, der, ganz nebenbei bemerkt, nicht vom heiligen Petrus stammt, beginnt zunächst sehr positiv. So könnte es weitergehen.
Doch dann, in der oberen Mitte, geschieht etwas, das mich sehr nachdenklich stimmt.
Sie haben nachgeforscht, auf welche Zeit und Umstände der in den Propheten wirkende Geist Christi hindeutet. Den Propheten wurde offenbart, dass sie damit nicht selbst, sondern euch dienen. Jetzt ist euch dies von denen verkündet.
Ihn [Jesus Christus] habt ihr nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, obwohl ihr ihn nicht seht; ihr werdet euch aber freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude,
wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlangt, nämlich der Seelen Seligkeit.
Nach dieser Seligkeit haben gesucht und geforscht die Propheten, die von der Gnade geweissagt haben, die für euch bestimmt ist,
und haben geforscht, auf welche und was für eine Zeit der Geist Christi deutete, der in ihnen war und zuvor bezeugt hat die Leiden, die über Christus kommen sollten, und die Herrlichkeit danach.
Ihnen ist offenbart worden, dass sie nicht sich selbst, sondern euch dienen sollten mit dem, was euch nun verkündigt ist durch die, die euch das Evangelium verkündigt haben durch den Heiligen Geist, der vom Himmel gesandt ist, – was auch die Engel begehren zu schauen.
Sie haben nachgeforscht auf welche Zeit und Umstände der in ihr wirkende Geist Christi hindeutet.
Den Propheten wurde offenbart, dass sie damit nicht selbst, sondern euch dienen. Jetzt ist euch dies von denen verkündet.1. Petr. 1,8-12
Also, die Propheten des alten Bundes haben Jesus Christus im Blick, wenn sie die Ankunft des Messias weissagen.
Solches Denken bestimmt die gesamten frühchristlichen Texte. Nicht in ihre eigene Zeit erfolgt sein Wirken, eine Zeit erfüllt von Hoffnung auf Befreiung aus der Knechtschaft, nach Frieden, nach Rückkehr in die geliebte Heimat. Sondern für eine Zeit, die etwa 600 Jahre später im Nebel der Zukunft verborgen liegt.
Folgenden Fragen müssen wir uns stellen:
Warum sollten die Propheten das tun?
Welchen Sinn ergäbe das?
Hatten sie nicht in ihrer eigenen Zeit mehr als genug Probleme, als dass sie sich mit einer Zukunft beschäftigen, die jenseits ihrer Vorstellungskraft liegt?
Da kann doch irgendetwas nicht stimmen, und dem wollen wir auf den Grund gehen.
Zunächst interessieren uns die genauen Umstände, die dazu beitrugen, dass diese Texte überhaupt entstanden sind, genau gesagt interessieren uns Zeitepoche, Umwelt, Geschehnisse, Personen.
Alles beginnt im Jahre 722 v.Chr. In diesem Jahr geht das Nordreich Israel unter, es wird erobert von den Truppen Sargons II, des Königs von Assyrien.
Eine Katastrophe. Ein unglaubliches Dilemma für ein Volk, das sich von Gott auserwählt sieht.
Im noch bestehenden Südreich Juda herrscht Fassungslosigkeit und damit verbunden die Angst, als Nächste an die Reihe zu kommen.
Gewaltige feindliche Heere stehen schon bereit. Dazu kommen innere Zerwürfnisse. Das Reich Juda ist nur noch ein Schattens seiner selbst, geprägt von Verfall und Dekadenz.
Im Jahre 639 v.Chr. besteigt ein Mann Namens Josia den Thron. Ein intoleranter Eiferer. Nach heutigen Maßstäben würden wir ihn als radikalen Fundamentalisten bezeichnen. Solche Leute verheißen nur Unheil.
Der König sucht Sündenböcke, und er findet sie. Es sind die vielen religiösen Kulte, die bis zu diesem Zeitpunkt friedlich nebeneinander existieren. Gott Jahwe ist keinesfalls der einzige Anbetungswürdige. Er ist Teil einer großen universellen Spiritualität. Neben ihm wird vor allem die alte Erdgöttin verehrt, fast in jedem Haushalt findet man zu jener Zeit ihre Figuren. So wie heute noch in katholischen Haushalten Marienstatuen oder -bilder.
Josia ist fest entschlossen, ein Exempel zu statuieren. Nur der Jahwekult soll fortan noch Bestand haben. Es beginnt ein beispielloser Bildersturm. Sämtliche Heiligtümer, die nicht dem Jahwekult dienen, werden vernichtet, dabei wird mit äußerster Brutalität vorgegangen.
Vor allem die Muttergottheit gilt es zu vernichten. Göttlich und weiblich: das bildet in Zukunft einen diametralen Gegensatz. Jegliche Erinnerung an die weibliche Seite Gottes soll ausgelöscht werden. Die heilige Ruah aus dem Gedächtnis der Menschen getilgt.
Der König erreicht damit das genaue Gegenteil. Ohne die weibliche Entsprechung an seiner Seite ist Gott nur noch die Hälfte wert. Somit verwundert es nicht, dass Gott Jahwe keineswegs besänftigt ist, ganz im Gegenteil. Erzürnt über dieses Sakrileg entzieht er den Israeliten seine Hilfe.
Die Folgen sind katastrophal. Im Jahre 587 v. Chr. kommt es zur Niederlage. Die Babylonier erobern nun auch das Südreich Juda. Es folgt die babylonische Gefangenschaft. Die gesamte Oberschicht, der Adel, die Intellektuellen werden nach Babylon deportiert.
Die Israeliten stehen vor dem Nichts. Jerusalem zerstört, der Tempel dem Erdboden gleichgemacht. Kein König, keine Priesterschaft. Fremdes Land, fremde Sprache, fremde Sitten und Gebräuche, fremde Religion. Sie sind auf sich gestellt. Das, was ihnen bleibt, sind die heiligen Schriften – um die versammeln sie sich. Die Synagoge entsteht, Bet- und Lehrhaus, weil ein Tempel nicht zur Verfügung steht.
Es ist die Hoch-Zeit der Propheten. Ihre Prophezeiungen sollen Hoffnung spenden, Hoffnung auf eine Rückkehr in die Heimat. Die bedeutendsten sind Jesaja und Jeremia.
Viele neue Schriften entstehen gerade in dieser Zeit. Und etwas ganz altes, längst Vergessenes meldet sich ins kollektive Bewusstsein zurück: der Glaube an einen Messias, an einen Erlöser, einen Retter aus der Bedrängnis. Seit dem Auszug aus Ägypten unter Moses nahezu verschwunden, weil es keinen Bedarf dafür gab.
Ein Exil ist für die Betreffenden immer eine demütigende Last. Die Sehnsucht, endlich wieder nach Hause zu kommen, brennt wie ein loderndes Feuer in den Herzen.
„An den Strömen Babels saßen wir und weinten…“
Dieser Psalm drückt wohl wie kein anderer aus, wie schlecht sich die Israeliten gefühlt haben mussten.
Wann? Wann wird er erscheinen, der Messias, der Erlöser, und uns in die Heimat führen?
Da kommt die Erinnerung an die glorreiche Vergangenheit. So wie die Israeliten damals in Ägypten um einen Retter baten und ihn schließlich bekamen, so würden sie es wieder tun.
Damals kam Moses, ein ägyptischer Prinz, der Legende nach Sohn hebräischer Sklaven.
Er wurde zum ersten Erlöser Israels.
Der Messias-Glaube wurde in der Zeit des babylonischen Exils so stark, dass er sich zu einer tragenden Säule des Glaubens entwickelte. So wie immer dann in den folgenden Jahrhunderten, wenn Gefahr drohte. Nur dann macht ein Messias Sinn, in Krisenzeiten, dann, wenn alles den Bach hinuntergeht.
In Friedenszeiten, wenn der Handel floriert, die Grenzen sicher sind und kein feindliches Heer vor den Toren steht, braucht man keinen Messias.
Dann ist er quasi arbeitslos und kann sich zurückziehen.
Verkünden jedoch die Glocken den Beginn eines neuen Krieges, steht er wieder bereit. Immer wieder und immer wieder von Neuen.
Das hatten die Propheten im Auge mit ihren Weissagungen, ihre Zeit bzw. die unmittelbar nahe Zukunft, und nicht etwa Ereignisse, die 500 oder 600 Jahre in der Ferne lagen.
Die meisten Theologen sind sich heute einig: Die Propheten des alten Bundes haben Jesus nicht vorhergesagt. Leider besitzen sie nicht den Schneid, das öffentlich zu machen.
Es wird Zeit umzudenken. Vergesst diese Art von Theologie. Jesus hatte es nicht nötig, vorhergesagt zu werden.
Um noch einmal zu den babylonischen Exilanten zurückzukommen. Die bekamen ihren Retter, zunächst wieder einen von außen, es war der persische Großkönig Kyros II, dessen Streitmacht im Jahre 539 die Babylonier besiegte; deren Reich geht infolgedessen unter.
Nun geschieht das Ungewöhnliche. Kyros befreit die Juden aus ihrer Knechtschaft und sie dürfen nach Hause zurückkehren. Der Weg ist frei für einen Neuanfang. Aufbruch! Aber ein Aufbruch ins Ungewisse. Sie gehen in ein Land, das sie nicht kennen. 70 Jahre sind seit der Deportation vergangen. All jene, die sich da zum Heimreise rüsten, sind allesamt in Babylon geboren, von den Alten ist keiner mehr da. Eine neue Generation. Sie kennen Israel nur vom Hörensagen. Sie wissen nicht, wer oder was sie dort erwartet.
Neue Vorstellungen, neue Visionen, neue Theologie. Sie bringen das gewaltige Pensum an theologischer Neuinterpretation in die alte neue Heimat mit. Hier wird sie unter neuen Voraussetzungen weiter entwickelt. Auch der Messias-Glaube, der die Juden fortan nie mehr loslassen wird. So ist es bis heute geblieben.
Doch leider setzen sie den Irrweg Josias weiter fort. Es ist ihnen nicht gelungen, aus den schlechten Erfahrungen der Jahre im Exil die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Rassistisches und sexistisches Denken bestimmt fortan den Alltag. Der Tempel wird neu errichtet und eine Priesterschaft eingesetzt. Der Glaube an die Mutteröttin unter strenge Strafe gestellt. Mischehen zwischen Israeliten und Angehörigen anderer Völker untersagt. Die heilige Ruah soll gebändigt werden. Das Strafgericht lässt nicht lange auf sich warten.
Nach einer kurzen friedlichen Zwischenepoche warten bereits die nächsten gravierenden Herausforderungen. Im 3. Jahrhundert v. Chr. kommen die Griechen. Deren Anführer Alexander der Große schafft durch Eroberungen binnen kurzer Zeit ein Riesenreich, zu dem auch Israel gehört.
Und schon steht er wieder auf dem Plan, der Messias, der Retter, der Erlöser. Wo bist du? Wir brauchen deine Hilfe. Es geht darum, unser Land, unsere Heimat, unsere Kultur, unsere Identität und unsere Religion zu schützen. Denn die Griechen besitzen ein völlig anderes Weltbild.
Diesmal kommt der Retter aus den eigenen Reihen. Judas Makkabäus ist bereit, in den Kampf zu ziehen. Es steht viel auf dem Spiel. Die Bevölkerung Israels spaltet sich. Da sind zum einen all jene, die einen Kompromiss mit den Griechen suchen. Auf eine friedliche Koexistenz hoffend. Ausgleich, Frieden, Harmonie und Verständigung. Auf der anderen Seite die Hardliner, kompromisslos wollen sie zurück zu den Wurzeln. Die Reinheit des Glaubens wird betont. Gott Jahwe ist der einzige. Zeit der Fundamentalisten, und Judas Makkabäus ist ihr Anführer. Auch im modernen Staat Israel gilt er als Nationalheld.
Es kommt zum Aufstand, eine kriegerische Auseinandersetzung folgt der anderen. Jahrelang, jahrzehntelang.
So sehr sind sie damit beschäftigt, dass ihnen entgeht, wie sich die politischen Rahmenbedingungen längst wieder gewandelt haben. Eine neue bedrohliche Großmacht ist erwachsen, die Römer. Ein nahtloses Ineinanderübergehen von Konflikten. Eine Katastrophe jagt die andere. Der Messias-Glaube hat Hochkonjunktur. Es gibt kaum noch längerfristige Friedensperioden. Immer unübersichtlicher wird die Lage. Verzweiflung, Resignation, Depression. Es ist kaum noch auszuhalten. Gott, sende uns endlich den Messias, wie und auf welche Weise ist uns vollkommen egal, aber handele, endlich. Wir sind bereit, alles hinzunehmen. Nur lass diese Dauerfehden langsam zum Ende kommen.
Auch viel Unkraut wuchert, wer soll da den Überblick behalten. Woran erkennen wir den Messias, wenn er kommt?
Jesus ist keineswegs der einzige Anwärter. Johannes den Täufer halten sie am Anfang dafür, und daneben gibt es noch mindestens zwei Dutzend weitere Kandidaten, die alle den Anspruch erheben, der Messias Israels zu sein. Jesus hat es alles andere als einfach, bis er sich durchsetzen kann.
Was ist denn so anders, so neu, so ergreifend, dass es ihm schließlich gelingt, das Vertrauen der Gläubigen zu finden?
Ganz einfach, die Art seines Auftretens. Die unterscheidet sich erheblich von jener der meisten anderen.
Der bringt es doch tatsächlich fertig, auf einem Esel in Jerusalem einzuziehen. Ein Esel und kein edles Schlachtross. Gekleidet in eine einfache Leinentunika und mit Riemensandalen an den Füßen, die Kleidung armer Leute. Ein Handwerker, ein Zimmermann, gewohnt, mit seiner Hände Arbeit den Lebensunterhalt zu verdienen. Keiner, der sich mit einem Dutzend Sklaven umgibt, die ihn von hinten und vorn bedienen, damit er sich seinen Meditationen hingeben kann. Einer, der im Leben steht. Doch was er zu sagen hat, ist noch ungeheuerlicher. Er ruft nicht etwa zum Krieg auf, zum Aufstand gegen die Römer, wie von vielen erwartet, stattdessen redet er vom Frieden, von der Eintracht unter den Menschen, von Achtsamkeit und Nächstenliebe. Das Reich Gottes ist nahe. Es ist bereits heran gebrochen, es ist in euch, in euren Seelen, in euren Herzen, lasst es heraus, damit es reiche Frucht trage. Es liegt ganz bei euch, ob es sich noch in eurem Zeitalter verwirklicht.
Doch auch seine Anhängerschar bleibt übersichtlich. Schließlich bringen sie ihn um. So wie viele Messiasse vor und nach ihm.
Für die kleine Gemeinde, die sich um ihn scharte, ein Fanal. Wie konnte das geschehen? Sie suchen nach Antworten, die Stunde der Theologen, wie immer dann, wenn sich Gott nicht finden lassen will.
Vor allem nach dem Ausbleiben der Parusie, der prophezeiten Wiederkunft, benötigt man wieder Erklärungen und Deutungsmuster, um die Menschen bei der Stange zu halten.
Im Besonderen ist es die zweite und dritte Generation nach Jesus, also jene, die seine Geschichte schon ausschließlich vom Hörensagen kennen. Sie ziehen die alten Texte heran und suchen und suchen, und schließlich werden sie fündig. Wer sucht der findet, hatte der Meister selbst geraten.
Da gibt es eine Menge an Verwertbarem. Sie beginnen zu deuten, zu analysieren, zu konstruieren. Schließlich keimt in ihnen die Erkenntnis, dass die alten Propheten mit ihren Weissagungen nur Jesus im Blick haben konnten. Es kann gar nicht anders sein. Das ist des Rätsels Lösung. Und es geht weiter. Da ist vom Opferlamm die Rede, sie deuten es
um und projizieren es auf Jesu Sterben, es entsteht die Sühnopfertheologie und so weiter und so fort.
Nein! All jene die an den Strömen Babylons saßen und weinten, wenn sie an die Heimat dachten, hatten eben nicht Jesus in Blick, der da mal eben in 500 Jahren erscheint, um dem römischen Kaiser vors Schienbein zu treten. Sie erwarteten den Retter für ihre Zeit, um ihre konkreten nahe liegenden Probleme zu ordnen und sie in die ferne, fremd gewordene Heimat zu führen.
Die großen Propheten Jesaja und Jeremia haben Jesus nicht vorhergesagt. Es war nicht ihre Aufgabe. Die bestand vielmehr darin, dem geknechteten und gedemütigten Volk ihrer Zeit beizustehen, Hoffnung zu machen, auf dass das Exil bald ein Ende habe.
Und Jesus selbst dachte nicht anders, auch er erwartete das Hereinbrechen des Gottesreiches für seine Zeit und nicht etwa für die Zeitepoche des Propheten Mohammed, 600 Jahre später.
Die Muslime tun es. Sie verehren Jesus, aber für sie ist er nur auserkoren, um auf den viel größeren Propheten Mohammed hinzuweisen. Fällt euch die Ähnlichkeit auf? Die Christen ereifern sich darüber. Dabei handelten sie selbst nicht anders, indem sie ihrerseits Jesaja und den anderen jüdischen Propheten Worte in den Mund legten und nach ihren Vorstellungen zurechtbogen.
Es steht jedem und jeder frei, zu deuten, zu spekulieren, hineinzuinterpretieren was das Zeug hält. Die ursprüngliche Wahrheit kann damit nicht aus der Welt geschafft werden.
Jede Generation muss für sich selber sorgen und trägt die Verantwortung für das Zeitalter, das Gott ihr anvertraut.
Eine jede Generation darf sich irren, darf Fehler begehen. Doch jede Generation ist verpflichtet, aus diesen Fehlern zu lernen und nach Möglichkeit dafür zu sorgen, diese Fehler auszugleichen und sie nicht etwa der Nachfolgenden aufzubürden.
Doch genau das geschah immer wieder.
Die Exilanten in Babylon konnten nichts für die Torheit ihres Königs Josia. Als die Babylonier Jerusalem eroberten und in Schutt und Asche legten, war der schon über 20 Jahre tot. Die Folgen für sein unverzeihliches Sakrileg an der Muttergottheit mussten seine Söhne, Töchter und Enkel ausbaden.
Auch Jesu Zeitgenossen hatten die Folgen für das Versagen jener zu tragen, die vor ihnen waren. Jesus versucht, sie zu trösten, blickt nicht rückwärts, sondern nach vorn.
Es gibt kein zurück. Das Alte ist vergangen. Neues steht bereit, seid wachsam und öffnet eure Herzen. König David ist tot, wir können ihn nicht zum Leben erwecken und wieder auf seinen Thron setzen. Er handelte für seine Zeit, und er handelte gerecht und großmütig.
Handelt ihr jetzt ebenso, aber tut es auf eure Weise. Die Zeit der großen Könige ist vorbei, damals, zu Davids oder Salomons Zeiten hatte sie ihre Berechtigung. Heute nicht mehr. Die Erneuerung des Glaubens kann nur aus der Einfachheit erwachsen. Das Königtum, das ich euch bringe, ist von ganz anderer Art, es ist symbolischer Natur. Vor allem ein dienendes Königtum. Der erwartete König wird Gleicher unter Gleichen sein. Er wird euch die Füße waschen und trocknen und euch Speise und Trank geben, wann auch immer ihr danach verlangt. Es ist genug für alle da. Niemand braucht mehr zu hungern, wenn alles in rechter Weise verteilt wird. Dort, wohin dieser König euch führen wird, gibt es kein Herrschen mehr und demzufolge auch kein beherrscht werden. Das Reich Gottes kennt keine Standesunterschiede.
Leider blieb die Parusie aus, gekommen ist statt ihrer die Kirche.
Daneben setzte sich der Messiasglaube fort. Im jüdischen wie im christlichen Denken.
So kommt es hundert Jahre nach Jesu Tod erneut zu einem großen Aufstand im heiligen Land.
Simon Bar-Kochba ruft sich zum Messias aus. Bar-Kochba, das heißt „der Sternensohn“. Der führt sein Volk, ganz in der traditionellen Messias-Vorstellung, wieder in eine kriegerische Auseinandersetzung mit den Römern. Und erleidet eine schwere Niederlage. Die letzte für lange Zeit.
Jahrhunderte ist es Juden verwehrt, das heilige Land überhaupt nur zu betreten. Es folgt die Diaspora, die Zerstreuung. Die Juden nehmen ihre Schriften mit, es ist das einzige, was ihnen geblieben ist, und den Messias-Glauben, den sie in der Fremde weiterentwickeln, dort ist der nun wichtiger denn je.
Und immer dann, wenn Pogrome die kleinen jüdischen Gemeinden treffen, die Synagogen brennen und das Blut in Strömen fließt, dann keimt sie auf, die Hoffnung auf ein besseres Leben, in der alten Heimat. Führen wird sie der Messias, wer sonst?
Die christliche Gemeinde wartet ebenfalls, auch vor allem in Krisenzeiten, dort spricht man von der Wiederkunft Christi.
Und schlussendlich warten auch die Muslime, der Messias heißt bei ihnen Al-Mahdi, der Erwartete.
Welchen wird er sich zuerst offenbaren? Oder möglicherweise allen dreien auf einmal?
Warum warten sie nicht gemeinsam und lassen dabei ihre hasserfüllte Feindschaft den anderen gegenüber einfach beiseite?
Unsere problemgeladene Zeit hätte mehr als nur einen Messias nötig.
Und überhaupt könnte es nach all den vielen männlichen Rettern nicht ausnahmsweise einmal eine Frau sein, oder gar ein Non-Binary-Wesen als Messias, als neuer Christus, als Madhi?
Gebt Acht, dass ihr den Messias nicht überseht, wenn er oder sie an eurer Haustür klingelt. Womöglich seid ihr mit ihm/ihr in der Fußgängerzone zusammengestoßen und habt es gar nicht bemerkt, weil ihr so sehr mit eurem Smartphone beschäftigt wart. Vielleicht hat er/sie in der U-Bahn neben euch gesessen. Oder hat der Messias gar unsere Gemeinde besucht und wird haben ihn nicht bemerkt?
Seid wachsam! Der Messias ist unter uns. Wenn er/sie kommt, soll er/sie uns nicht schlafend vorfinden.
AMEN