Predigt MCC Köln, 21. Jan. 2018
Daniel Großer
Offenbarung 1,9-18
Dem verstorbenen ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt verdanken wir den flotten Spruch: “Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.”
Er hat dabei nicht an die Offenbarung des Johannes gedacht, so viel ist gewiss, aber die Skepsis sehr vieler (vor allem lutherisch-protestantisch geprägter) Christinnen und Christen gegenüber dem letzten Buch der Bibel ließe sich nicht trefflicher in Worte fassen.
So ist es denn auch auch eine Zumutung, wenn nicht sogar ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet ich als “Vernunft-Christ” heute über ein solch hoch-spekulatives, mythisch-überladenes und uneindeutiges Buch der Bibel sprechen soll.
An die prophetischen Bücher der Bibel gehe ich gerne so heran, wie ein Naturforscher an ein noch unbekanntes Krabbeltier:
Mit einer Frage, mit Neugier, mit Akribie, mit Vorsicht, und mit einer gesunden Portion Ekel.
Die Neugier brauche ich, weil auch in prophetischen Texten Schätze verborgen sein können, die mich ganz persönlich betreffen können. Bisweilen lohnt sich das Gedankenexperiment, einen Text im Hier und Jetzt wirken zu lassen.
Die Akribie braucht man, um die Prophetie einordnen zu können. Manche Aspekte unseres bunten Käfers kommen erst auf den zweiten oder dritten Blick zum Vorschein. Ich brauche Hintergrundwissen.
Die Vorsicht ist geboten, weil sich prophetische Texte zur Überinterpretation und Instrumentalisierung andienen. Angstmacher, Sekten und Psychopathen leiten ihre Endzeit-Horror-Fantasien und Weltuntergangs-Thesen gerne aus solchen Texten her.
Der Ekel hingegen hilft mir dabei, die unverdaulichen Aspekte solcher Texte mit einem Schütteln von mir zu weisen. Nicht alles an diesen Texten muss für mich bekömmlich sein.
Übung gefällig? Nichts lieber als das!
Die erste Frage lautet: Wer schreibt uns diesen Text?
Die Akribie sagt: “Ein Mann Namens Johannes, der offenbar auf einer griechischen Insel im Gefängnis ist. Es ist strittig, wer genau dieser Johannes ist – insbesondere der gleichnamige Apostel ist es womöglich nicht.”
Die Vorsicht sagt: “Mach deine Deutung des Textes nicht zu sehr davon fest, wer ihn geschrieben hat. Alter schützt vor Torheit nicht, und manchmal tut Kindermund Wahrheit kund.”
Die Neugier sagt: “Gefangen auf einer winzigen griechischen Insel mit Weltuntergangsgefühlen? Ein Schelm, wem da nicht die Flüchtlinge in den Lagern von Lesbos einfallen!”
Der Ekel sagt: “Mir gefällt nicht, wie der Autor seinen eigenen Text lobhudelt: ‘Gott segnet jeden, der diese prophetische Rede an die Gemeinde liest, und er segnet alle, die sie hören und befolgen.’ (Offb. 1, 3a) Eigenlob stinkt.”
Okay, bereit für unsere kleine Safari. Wie hören aus Offenbarung 1, die Verse 9 bis 18.
9 Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse an der Bedrängnis und am Reich und an der Geduld in Jesus, war auf der Insel, die Patmos heißt, um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses von Jesus.
10 Ich wurde vom Geist ergriffen am Tag des Herrn und hörte hinter mir eine große Stimme wie von einer Posaune,
11 die sprach: Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende es an die sieben Gemeinden: nach Ephesus und nach Smyrna und nach Pergamon und nach Thyatira und nach Sardes und nach Philadelphia und nach Laodizea.
12 Und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme, die mit mir redete. Und als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter
13 und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn gleich, angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel.
14 Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie der Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme
15 und seine Füße wie Golderz, das im Ofen glüht, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen;
16 und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Munde ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht.
17 Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot; und er legte seine rechte Hand auf mich und sprach zu mir: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte
18 und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.Offenbarung 1,9-18
Die Frage an diesen Text lautet:
“Wie begegnet Jesus Christus in diesem Text dem Johannes?”
Die Akribie sieht sofort: “Der Tag des Herrn, das muss der Sonntag sein. Johannes betet gerade im Geist, er hat also wahrscheinlich so etwas wie eine sehr intensive Gebetszeit.”
Die Neugier stellt fest: “Na sowas! Da redet man mit Gott, und dann antwortet der auch noch! Also ist es doch hilfreich, sich intensiver mit Jesus zu beschäftigen, wenn man Jesus begegnen will.”
Die Vorsicht sagt: “Einerseits ist Gott zwar eine, die sich finden lassen wird, wenn man sie sucht (Jer. 29, 13). Andererseits spricht er aber auch oft ungefragt. Wir wissen nicht genau, warum Jesus sich in diesem Text so spontan zeigen will.”
Die Akribie stellt klar: “Streng genommen beginnt ja alles erstmal mit einer Stimme aus dem Off. Es ist zunächst auch gar nicht klar, ob das Jesu Stimme ist, oder eine Gottesstimme, oder die eines Engels. Es ist einfach eine Stimme, die Johannes mit einer Posaune vergleicht.”
Die Neugier ist begeistert: “Cool! Posaunen finde toll. Die sind so schön laut und klar. Jesus spricht also sehr deutlich.”
Der Ekel ist entsetzt: “Ausgerechnet mit einer Stimme wie von einer Posaune! Denkt denn hier keiner an die Geschichte von Josua, wo unter dem Klang von Posaunen die Mauern von Jericho einstürzten? Und dann fing das Morden und Brandschatzen an, fürchterlich. (Jos. 6)”
Die Vorsicht nickt nachdenklich: “Klar kann die Posaune für Krieg stehen – aber eben auch für Aufbruch und Umwälzung. Vielleicht sollten wir die Posaune nicht zu wichtig nehmen hier.”
Die Akribie fährt fort: “Kann ja sein, dass die Stimme am Anfang nur eine Stimme ist. Aber dann dreht sich Johannes ja um und sieht Jesus, den Menschensohn, inmitten von 7 Leuchtern. Ich finde es zumindest naheliegend, dass hier Jesus spricht. Die Leuchter stehen evtl. für die christlichen Gemeinden und die 7 könnte sogar verdeutlichen, dass es um alle Christen dreht.”
Die Neugier ist hin und weg: “Ist ja sensationell! Dann offenbart sich Jesus also inmitten seiner Kirche? Dann wären die Gemeinden ja praktisch ein Teil der Offenbarung Jesu in dieser Welt! Wie krass ist das denn?! Stell dir vor, die poplige MCC Gemeinde in diesem Kölner Hinterhof könnte eine Offenbarung sein.”
Die Vorsicht ist skeptisch. “Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass Jesus inmitten der Gemeinden steht, damit er sie unterrichten und lehren kann. Vielleicht haben sich die Jünger bei seinen Lehrstunden ähnlich um ihn versammelt, wie die Leuchten in diesem Gleichnis.”
Der Ekel tut sich schwer. “Wieso kann Jesus nicht einfach mal Weltuntergang machen, einfach so? Ich meine, warum sollte sich Jesus von seinem unfähigen Bodenpersonal abhängig machen?”
Die Akribie wirft ein: “Naja, Bodenpersonal ist nicht ganz richtig. Zumindest hat Jesus noch was weiteres wichtiges dabei. Der Text sagt, dass Jesus in der rechten Hand 7 Sterne hält, und dass diese Sterne für die Engel der Gemeinden stehen.”
Die Vorsicht ist hellwach: “Engel? Hm… da versteht aber auch jeder irgendwie was anderes drunter. Manche nennen einen hilfreichen Menschen einen ‘Engel’, manche denken an vielköpfige Monster, manche denken an fette Babies mit Flügeln, manche übersetzen stattdessen lieber das Wort ‘Boten’. Ich tue mich mit dem Wort schon etwas schwer.”
Die Neugier ist unbedarfter. “Also ich finde den Vergleich mit den Sternen und den Engeln toll. Dann gäbe es im Himmel ja eine Entsprechung der Gemeinde hier auf der Erde. Vielleicht so ähnlich, wie mein irdisches Dasein ein Abbild im Himmel hat, das eben den Namen ‘Seele’ trägt. Ich finde es tröstlich, dass etwas von mir, ja sogar etwas von uns ein Abbild im Himmel bei Gott hat. Da ist es in guten Händen.”
Der Ekel wackelt auf seinem Stuhl hin und her. “Bist du da sicher mit den guten Händen? Da steht immerhin, dass Jesus leuchtende Augen wie Feuerflammen hat, und aus seinem Mund ein zweischneidiges Schwert kommt. Das ist doch super-gruslig. Wer will denn in so jemandes Hand sein?”
Die Akribie wirft ein: “Aber da stehen auch noch andere Vergleiche. Zum Beispiel, dass sein Kopf und seine Haare schneeweiß wie Wolle sind. Das könnte man ja auch als ‘rein’ und ‘sauber’ und ‘weise’ auffassen.”
Die Vorsicht nickt: “Ja, mit einem einzigen Bild aus dieser Geschichte werden wir Jesus wohl nicht gerecht. Vielleicht dürfen wir uns nicht so sehr an den einzelnen Worten festhalten.”
Die Akribie guckt süß-sauer. “Manchmal muss man das aber. Zum Beispiel in Vers 13. Da beschreibt Johannes die Füße Jesu. Sie würden glänzen wie im Feuer gereinigtes Erz. Über diese Worte kann man gar nicht genug nachdenken. Mir fällt da die Prophezeiung des Propheten Daniel ein (Daniel 2), wo Daniel den babylonischen König Nebukadnezer als Koloss auf tönernen Füßen beschreibt, der stürzen und zerbrechen wird.”
Die Neugier bekommt große Augen. “Wow! Das ist so tiefsinnig! Jesus ist ja auch ein König, aber eben ganz anders, als Nebukadnezar. Jesus ist so herrlich, so goldig im doppelten Sinne, so unfassbar gut, und Jesus ist gekommen um zu bleiben. Klaro, dass er da keine tönernen Füße hat, sondern stahl-glänzende Treter für die Ewigkeit.”
Der Ekel lacht bitter. “Also Soldaten und Nazis ziehen auch gerne Stahlkappenschuhe an. Und dann der Vergleich von Jesu Stimme mit einer tosenden Meereswelle. Mir sind hier viel zu viele Symbole von Zerstörung und Vernichtung drin.”
Die Akribie wirft ein: “Aber an dem Vergleich von Neugier ist trotzdem was dran. Bei Daniel und Nebukadnezar wird der Kopf des Koloss so beschrieben, als sei er aus Gold. Johannes aber beschreibt das Antlitz Jesu als so strahlend hell wie die Sonne in ihrer ganzen Pracht. Das glänzt also milliardenfach heller als alle Pracht aus Gold.”
Neugier nickt verklärt. “Es deutet einfach alles darauf hin, dass Jesus der König der ganzen Welt ist.”
Vorsicht hebt beide Hände hoch. “Kommt mal wieder runter, Jungs und Mädels. Wir wissen alle, wie schwierig diese Vergleiche sind. Letztlich kann alles mal so und mal so gesehen werden, oder? Denkt doch nur an das zweischneidige Schwert, von dem hier die Rede ist, wie es aus Jesu Mund kommt. Ein Schwert kann die Schutzlosen verteidigen, aber es kann sie eben auch unterjochen. Das persönliche Gottesbild, mit dem man diesen Text liest, kann die Wirkung des Textes in jede beliebige Richtung drehen.”
Die Neugier sagt: “Also mir würde das Gottesbild aus Vers 17 und 18 reichen.”
Die Akribie legt Neugier die Hand auf die Schulter: “Da hast du Recht, den Teil finde ich auch zentral.”
Ekel schweigt betroffen.
Vorsicht sagt: “Nun gut, da konnte Johannes nix falsch machen. Einfach aus dem Evangelium abgeschrieben, würde ich sagen.”
Neugier schnieft vor Rührung: “Abgeschrieben vielleicht, aber doch immer wieder schön. Hört es euch einfach nur an: ‘Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot und bin lebendig für immer und ewig!’”
Unsere vier Stimmen schweigen.
Schließlich gesteht Ekel kleinlaut zu: “Ein ‘Fürchte dich nicht’ im Angesicht des Weltendes… Ja, an so einen Jesus kann auch ich glauben wollen.”