Predigt MCC Köln, 12. Nov. 2017
Daniel Großer
Lukas 11,14-23: „Jesus und die bösen Geister“
Das neue Testament erzählt uns von vielen Begegnungen, die Jesus mit Gruppen und einzelnen Menschen hat. Keine dieser Erzählungen beginnt mit: “Und als Jesus in den Ort kam, ließen ihn die Leute einfach mal machen und kümmerten sich nicht großartig drum. Keiner begeisterte sich für ihn, es störte sich aber auch niemand an seinen Worten und Taten.”
Dass sowas nicht vorkommt kann zum einen daran liegen, dass es die Autorschaft der Evangelien nicht für zielführend hielt, solche Geschehnisse für die Nachwelt aufzuheben. Die Zielgruppe der Evangelien sind schließlich Menschen, die sich für den Christus interessieren – diese Zielgruppe wollte man gewiss nicht langweilen.
Andererseits könnte es aber auch sein, dass es schlichtweg nie passierte, dass Jesus einfach mal in der Menge aufging. Vielleicht hatte Jesus tatsächlich immer etwas polarisierendes an sich.
In Lukas 11, 14-23 erfahren wir zunächst von der Heilung eines Stummen. Im Lukasevangelium wird diese Heilung so dargestellt, wie sie die Menschen der damaligen Zeit wohl wahrgenommen haben: Als Austreibung eines bösen Geistes.
Es ist naheliegend, dass dieses Ereignis in aller Öffentlichkeit vonstatten ging, denn als stummer (und im Matthäusevangelium auch als blind bezeichneter) Mensch blieb dem Mann wohl nichts anders, als durch Betteln um Almosen seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Und da die Dörfer der damaligen Zeit für unser Verständnis sehr klein waren, dürfte ihn auch jeder im Ort seit Jahren sehr gut gekannt haben, so dass kein Zweifel daran bestanden haben dürfte, dass der Mann vorher krank (“besessen”) und nun geheilt war.
Wie reagieren die Menschen, die nun direkt oder indirekt diese Heilung wahrnehmen? Offenbar gemischt. Die stärkste Reaktion beschreibt das Lukasevangelium so:
“Einige aber unter ihnen sprachen: Er treibt die bösen Geister aus durch Beelzebul, ihren Obersten.”
Wer die Parallelstelle im Matthäusevangelium kennt, oder wer weiß, mit wem Jesus sich zuvor bereits mehrfach angelegt hat, den dürfte nicht überraschen, wer diese “Einige” sind: Es sind die Schriftgelehrten, die Pharisäer.
Nun hätte Jesus das Gefrotzel der gedemütigten Pharisäer einfach ignorieren oder darüber stehen können. Denn natürlich hat er sie mit der Heilung deklassiert. Mit Jesus kommt einer daher, der nicht nur heilig scheint, sondern auch heilig tut. Das ist den Pharisäern offenbar nicht gelungen, ihr Dasein oder Nicht-Dasein hatte überhaupt keinen Effekt auf den geheilten Mann oder seine vormaligen Leiden gehabt. Von nun an würden sie in den Augen ihrer kleinen Dorfgemeinschaft immer verglichen werden mit dem Mann aus Galiläa, der wirklich etwas bewegte – und sie würden bei diesem Vergleich immer schlecht abschneiden. Wen wundert es also, dass sie getroffen sind. Da sie nun aber die Heilung nicht ungeschehen machen können, machen sie sie schlecht.
Es dürfte selbst den einfacher gestrickten Zeitgenossen klar gewesen sein, wie armselig das ist.
Ich vermute daher, dass Jesus ganz entspannt und aus der sicheren Position der Überlegenheit auf den Vorwurf reagieren konnte, mit Beelzebul im Bunde zu stehen.
Beelzebul, damit ist nicht etwa der Teufel gemeint – an den glaubte man zur Zeit Jesu ohnehin nicht in der Form, wie die Christen späterer Zeit. Beelzebul, das war eine Gottheit der Philister, einem mit Israel befeindeten Volk. Bereits im alten Testament wurden die Philister und deren Gottheiten gezielt dämonisiert. So ist Beelzebul ein Sinnbild für den irrigen Götzenglauben.
Es ist geradezu bezeichnend, dass ausgerechnet die Pharisäer in dieser Geschichte dem Götzen Beelzebul die Eigenschaft zugestehen, er könne Menschen von dämonischen Mächten und Krankheiten heilen. Ein Pharisäer, der etwas auf sich hält, hätte niemals in dieser Weise Werbung für einen Götzen betrieben, denn als Macht der Befreiung vom Bösen kommt für einen Schriftgelehrten nur der Gott Israels in Betracht.
Dass die einzige Macht, der sie die Wundertat Jesu in die Schuhe schieben können, nur ein Götze ist, offenbart den ganzen Unglauben der Schriftgelehrten.
Was sollten die Pharisäer Jesus nun antworten, als er sie fragt: “Wenn aber ich die bösen Geister durch Beelzebul austreibe, durch wen treiben eure Söhne sie aus?”
“Durch die Kraft Gottes” – das konnten die Schriftgelehrten nicht antworten, denn offenbar war es ja niemandem im Ort geglückt, den kranken Mann zu heilen.
“Unser Söhne treiben nicht aus” – das hätten sie antworten können, wenn sie den Mut gehabt hätten, die Heilung des Stummen als etwas Gutes anzuerkennen, das einer vollbracht hat, der mehr Gutes in sich trägt, als sie. Aber nein, das können sie Jesus auch nicht zugestehen. Sie können es nicht haben, dass einer besser ist als sie.
Der Besessene in dieser Geschichte, das ist nicht der Stumme – es sind die Schriftgelehrten. Und der Götze und Dämon, der von ihnen Besitz ergriffen hat, ist der Glaube an sich selbst. Sie sind ihr eigener Gott, und niemand kann besser sein als sie selbst. Niemand kann so heilig sein, wie sie, niemand so rechtschaffen, niemand so klug.
Jesus bedroht diesen Götzenglauben: “Wenn ein Starker [damit sind die Pharisäer gemeint] gewappnet seinen Palast bewacht, so bleibt, was er hat, in Frieden. Wenn aber ein Stärkerer [damit ist Gott gemeint] über ihn kommt und überwindet ihn, so nimmt er ihm seine Rüstung, auf die er sich verließ, und verteilt die Beute.” (Lukas 11, 21.22)
Ich denke, dass wir als Christen permanent gefährdet sind, dem gleichen Götzen zu dienen, denn ja: wir wollen gut sein!
Welche Sprengkraft aber entfaltet dieser Jesus in einer Gesellschaft wie unserer, in der der Glaube an sich selbst und die eigenen Möglichkeiten zum Maß aller Dinge verklärt wird? Unentwegt dringt es auf uns ein: Glaube an dich selbst, mach dein Ding, ergreife deine Chancen, mach deine Wünsche wahr, lebe deine Träume statt dein Leben zu träumen, nimm dein Leben in die Hand, niemand ist wie du, und – besonders im Regenbogenmilieu beliebt – sei du selbst!
Bringen uns diese Kernaussagen des Individualismus heute wirklich weiter? Oder sprengt Jesus ihre pharisäische Deutungshoheit mit seinem Gegenentwurf: Glaub an Gott, kümmer dich um Gottes Dinge, warte geduldig ab, setze Gottes Wünsche an die erste Stelle, folge Gottes Perspektiven für dein Leben, gib dein Leben in Gottes Hand, du bist ein gleichwertiges Kind in Gottes Familie, und werde ein neuer Mensch!
In einem Lied aus unserer Liedermappe heißt es: “Unser versklavtes Ich ist ein Gefängnis, und ist gebaut aus Steinen unsrer Angst.”
In der heutigen Geschichte begegnete uns ein Jesus, der aus Ich-Gefängnissen befreien kann, damit die Angst uns nicht mehr im Griff hat. Wo dein Selbstbild zu einem Dämon geworden ist, da wünsche ich dir diesen heilenden und heilsamen Jesus.
AMEN.