Predigt MCC Köln, 22. Okt. 2017
Daniel Großer
“Lass mich deine Herrlichkeit sehen.”
2. Mose 33,18
Mit diesem Wunsch des Mose gipfelt eine Erzählung davon, wie sich Israel und Gott einander wieder annähern. Sie nähern sich einander an nach einem Seitensprung, den jede Kinderbibel dramatisch-farbvoll als “Tanz um das Goldene Kalb” illustriert.
In gewisser Weise hat die ganze Vorgeschichte ein paar Gemeinsamkeiten mit der Versöhnung eines Paares, nachdem einer dem anderen untreu geworden ist. Bei diesem Bild möchte ich ein wenig bleiben.
Untreue bei Paaren hat in der Regel eine Geschichte, einen Werdegang. Nur ganz zuletzt entlädt sich im Akt des Seitensprungs dann eine Spannung, die aus schleichender Trennung und langsamer Entfremdung hervorgegangen ist. Die Beziehung hatte vielleicht schon sehr lange eine wachsende Schieflage, an denen beide Partner ihre Anteile haben.
Der Beginn der Probleme liegt vielleicht sogar so lange zurück, dass man sich gar nicht mehr einig darüber werden kann, wie alles angefangen hat. Jedes Paar beginnt glücklich – aber wann schlug der Trend um? Wer hat wann ein hartes Wort gesprochen, war vielleicht unumsichtig mit den Gefühlen des anderen? Wer hat wann seine Einsamkeit und seinen Schmerz für sich behalten, statt Worte zu finden? Wer zog sich zuerst zurück, und wer traute sich nicht, den anderen darauf anzusprechen?
Zahlreich sind die kleinen Pflastersteine auf dem Weg der langsamen Trennung, und unzählbar viele sind sie. Wie alles angefangen hat, das lässt sich im Nachhinein dann gar nicht mehr mit Gewissheit sagen.
Für Gott und Israel beginnt im 2. Mose 19 eine Einschnitt, dort lesen wir von einer scheinbar harmlosem Trennung auf Zeit. Das wandernde Volk Israel erreicht den Berg Sinai in der Wüste. Dort erscheint Gott dem ganzen Volk in Rauch, Donner, Blitz und Feuer vom Berg her, nachdem Gott zuvor durch Mose zu Israel gesprochen hat. Das Volk Israel erlebt also eine verängstigende, aber intensive Gottes-Erfahrung.
Ist die Beziehung zwischen Gott und Israel da noch intakt, oder finden sich schon kleine Pflastersteine der Trennung davor? Ich will es nicht beurteilen, aber bis zu diesem Punkt sprechen sie jedenfalls noch miteinander.
Doch nun zieht Gott sich mit Mose von ihnen zurück (u.a. in 2. Mose 19, 24.25; 2. Mose 24, 2.12) und macht die Türe hinter sich zu: Das Volk darf nicht auf den Berg, nur Mose. Eine Erklärung dafür bekommt das Volk übrigens nicht.
Für das Volk Israel bleibt nur das unverständliche Grollen Gottes. Sie verstehen Gott nicht. Mose muss dem Volk an einer Stelle erklären, dass Rauch und Feuer auf dem Berg nicht Sinnbild des Zornes Gottes sind (2. Mose 20, 29), sondern Zeichen ihrer Herrlichkeit.
Um beim Sinnbild eines menschlichen Paares zu bleiben: Ich finde, unser Paar hat ernste Kommunikationsprobleme. Israel und Gott sprechen auf verschiedene Weise und sind schlecht darin, einander zu verstehen. So rätselt nun das Volk darüber, was Gott im Schilde führt, wo Mose bleibt, und warum Gott nicht mehr spricht. Gott hingegen scheint diese Verunsicherung der Israeliten nicht sonderlich ernst zu nehmen, sondern nimmt sich viel Zeit, mit Mose über Zeltbau, Sozialgesetze und religiöse Riten zu sprechen.
Unser Paar ignoriert damit gewissermaßen die Bedürfnisse des anderen: Israel sehnt sich vergebens nach dem Reden Gottes durch Mose, Gott hingegen wird sich ihrer eigenen Wünsche bewusst und verbringt Zeit mit sich.
Die scheinbar harmlose Trennung auf Zeit mündet im Seitensprung. Das Volk Israel stiftet Aaron an, aus Gold ein Kalb zu gießen. Sie schaffen sich damit einen sichtbaren, glanzvollen, sanften Gott in ihrer Mitte, ganz anders als der ferne, unverständliche und gewaltige Gott, der sich mit Mose seit weit über einem Monat nicht blicken lässt.
Das Goldene Kalb ist Ausdruck unerfüllter Bedürfnisse des Volkes. Wie bei einem echten Seitensprung hat es eine Geschichte, und wie bei einem echten Seitensprung hat alles auch irgendwie mit beiden Partnern zu tun. Anders wäre die Geschichte verlaufen, wenn Gott sich baldiger wieder ihrem Volk gewidmet hätte. Anders wäre die Geschichte verlaufen, wenn das Volk Israel Gott seine Zeit-für-sich gestattet und ausgehalten hätte.
Beide Partner scheitern aber darin, auf den anderen zuzugehen.
Was danach geschieht, ist in wenigen Worten erzählt: Rosenkrieg. Gott ist fürchterlich entsetzt über den Seitensprung und will die Scheidung! Das Volk Israel gewinnt seinen Blick auf Gott wieder und erkennt dadurch, was es mit dem Seitensprung ausgelöst hat. Der Streit zwischen beiden Partnern geht heiß her – tausende Israeliten kommen dabei zu Tode (2. Mose 32, 27.28). Einer zieht schließlich aus der gemeinsamen Wohnung aus: Gott.
Dies hätte das Ende des alten Testaments sein können.
Wäre da nicht Mose gewesen. Mose tritt als Vermittler auf und gibt beiden Partnern eine Stimme. Er respektiert den Auszug Gottes aus der gemeinsamen Wohnung, indem er sein Zelt aus dem Lager der Israeliten herausholt und draußen aufschlägt. Er gibt Gott damit Zeit-für-sich in seinem Zelt, nicht unter den Israeliten. Mose stellt sich auf die Seite Gottes.
Aber Mose respektiert auch das Bedürfnis des Volkes Israel nach dem Reden Gottes. Sie dürfen ihre Anliegen ihm mitgeben, dass er sie mit Gott bespricht. Er vertritt ihre Sehnsucht bei Gott. Mose stellt sich auf die Seite der Israeliten.
Durch dieses mutige und sanfte Auftreten des Mose beginnt der Prozess der Annäherung.
Mose stellt sich auf die Seite Gottes, und endlich stellt sich Gott auf die Seite des Mose (2. Mose 33, 13.14).
Mose stellt sich auf die Seite des Volkes, und endlich stellt sich Gott wieder auf die Seite Israels (2. Mose 33, 15-17).
Das alte Testament erzählt in wunderschönen Worten, wie behutsam und klug Mose mit Gott spricht. Unser Paar hat sich nach einer schmerzhaften Trennung wiedergefunden.
Zuletzt bitte Mose nun dieses: “Lass mich deine Herrlichkeit sehen!”
Diese Worte dürften nur selten gesprochen werden, wenn sich zwei Menschen nach einem Seitensprung versöhnen. Wir können diese Bitte verstehen, wenn wir auch die Antwort Gottes hören: “Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will dir kundtun den Namen des HERRN.”
Mose wusste, dass Gottes Herrlichkeit in dieser Welt sich am Volk Israel zeigen wird. Wenn er nach der Herrlichkeit Gottes fragt, dann bittet er um einen Neuanfang.
Wenn Gott all ihre Güte vor Moses Angesicht vorübergehen lässt, dann bedeutet das, dass sie des vergangenen nicht mehr gedenken wird. Und wenn Gott seinen Namen kundtun will, dann bedeutet das, dass er sich zeigen und vorstellen will, damit das Paar sich wieder neu kennen lernen kann.
Können wir aus dieser Geschichte etwas für uns ziehen, wo es doch Mose nicht mehr gibt? Ich denke schon.
Denn so wie das Volk Israel haben wir einen, der sich auf unsere Seite stellt: Jesus Christus.
Jesus, dem Himmel ein Mensch, den Menschen der Himmel.
Unser Zweifeln, unser Nicht-Glauben-Können, unser Fremdgehen mit den Götzen unserer Zeit, unsere Ungeduld und unser Versagen, auf alles das lässt sich Jesus ein und versöhnt es mit Gott. Wenn wir im Gespräch mit Gott die Worte und die Ehrlichkeit nicht finden, Jesus kann es für uns. Jesus steht auf unserer Seite.
Lassen wir uns umgekehrt darauf ein, dass Jesus auch auf Gottes Seite steht. Lassen wir uns auf die Neuanfänge ein, die Jesus für uns bedeuten kann. Schenken wir der Güte Gottes Glauben, die in Jesus vor unserem Angesicht vorübergeht, damit wir selbst gütig werden.
AMEN.
Fürbitten
Gott, wir wollen unsere Fürbitten in dein Zelt tragen und alles, was deiner ganzen Güte bedarf. Wir sind nicht Mose, aber wir wollen uns auf die Seite derer stellen, die deiner Hilfe bedürfen. Lass all deine Güte an ihrem Angesicht vorübergehen.
Wir bitten dich für diejenigen unter uns, die unter Krankheit leiden, die sich vergebens nach Gesundheit sehnen. Manchmal müssen wir bitter erkennen, dass Menschen nicht helfen können. Bitte hilf unseren Kranken auf und schenke ihnen Gesundheit oder doch zumindest die Kraft, die sie Tag für Tag benötigen. Lass all deine Güte an ihrem Angesicht vorübergehen.
Christus, erhöre uns.
Wir bitten dich für die Menschen, die zum Opfer der modernen Götzen werden. Für die, die nicht dem Schönheitsideal unserer Zeit genügen können und die, die es angestrengt tun. Für die, die arm sind und die, die nicht genug Geld haben können. Für die, die geringgeschätzt und klein sind und die, die immer cool und angesehen sein müssen. Gib ihnen neue Maßstäbe. Lass all deine Güte an ihrem Angesicht vorübergehen.
Christus, erhöre uns.
Wir bitten dich für die Politiker dieser Welt. Machtstreben gefährdet überall den Frieden, in Spanien, in den USA, in Nordkorea, Südostasien, der Türkei, in China und vielen anderen Ländern. Hilf den Politikern, dass sie verantwortungsvoll regieren können, statt sich von Macht und Geld treiben zu lassen. Lass all deine Güte an ihrem Angesicht vorübergehen.
Christus, erhöre uns.
Wir bitten dich für die Menschen, die unter Vertreibung, Ausgrenzung und Verfolgung leiden, sowie für die, die daran Anteil haben. Lass sie Platz finden in deinem Zelt, sprich ihnen Neuanfänge zu und gehe ihnen voran. Ermuntere die, denen wegen ihres Weltbildes, ihrer Sexualität, ihrer Identität, ihrer Religion, ihrer Rasse oder ihrer Herkunft die Würde abgesprochen wurde. Lass all deine Güte an ihrem Angesicht vorübergehen.
Christus, erhöre uns.
Wir bitten dich für dich für unsere Welt, denn es gelingt uns nicht, verantwortungsvoll mit ihr umzugehen. Pflanzen und Tiere sterben, weil Lebensräume verschwinden, oft durch unser Zutun. Die Auswirkungen unseres Lebens erreichen oft nur die Ärmsten. Hilf uns und allen Menschen, die Schöpfung zu verstehen und sie wertzuschätzen. Lass all deine Güte am Angesicht dieser Welt vorübergehen.
Christus, erhöre uns.
Wir bitten dich für die, die nicht mehr glauben können oder wollen. Für die, denen zu oft gesagt wurde, was sie zu glauben haben. Für die, die an der Starre der Kirchen und ihren Schattenseiten kaputt gehen. Wir bitten dich für die Menschen, die zwischen Macht und Religion verstrickt sind. Der Name, der von dir in dieser Welt ausgesprochen wird, ist oft nicht der Name, den du Mose gezeigt hast. Lass uns Botschafterinnen des Friedens und Zeugen der Gnade sein. Sei bei den Opfern religiöser Gewalt. Lass all deine Güte an ihrem Angesicht vorübergehen.
Christus, erhöre uns.
In der Stille wollen wir uns und dir nun derer bewusst machen, für die wir deine Gnade erhoffen. Auch unser eigenes Leben ist dabei wertvoll genug, dass wir es vor dich bringen.
[Stille]
Der Herr spricht: “Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.” Seine Gnade währt ewiglich, und Ihre Güte hat kein Ende.
Gott, wir danken dir und staunen immer wieder neu, dass du der Freund der Menschen bist. Wir loben und preisen dich mit Jesus Christus und dem Heiligen Geist und allen deinen Namen.
AMEN.