Predigt MCC Köln, 23. April 2017
Ines-Paul Baumann
Ich glaube, dass wir in Jesus einem Gott begegnen, der uns mit einem uneingeschränkten JA ansieht und dadurch unser Leben verändert, wo wir (oder andere) uns so noch nicht bejahen konnten.
Und in der Auferstehung erweist sich diese Sichtweise und dieses JA als tragfähiger als alles andere, was unsere Welt sonst so ausmacht.
Ausgangspunkt meiner Predigt an diesem ersten Sonntag nach Ostern sind die Erfahrungen mit dem auferstandenen Jesus, von denen die Bibel erzählt.
Es gibt in diesen ganzen Erzählungen kein Muster, wie oder warum Menschen dem Auferstandenen begegnen. Es ist geradezu verwunderlich, dass nicht damals schon 10 verschiedene neue Glaubensrichtungen entstanden sind, oder mindestens neue Methoden, gelehrt von neuen Meistern:
- „Gott finden einfach gemacht – ein Wochenende Grillen am Strand“ (Joh 21)
- „Spirituelle Neuöffnung – Wandern mit dem Unbekannten“ (Emmaus-Jünger)
- „Gottessuche am Grab – Einführung in neue Anfänge“ (Maria und Maria und Maria)
- „Vom Überwundenen zum Überwinder“ (Paulus)
- „Gemeinsam in die Angst gehen – gemeinsam stark werden“ (der Jüngerkreis)
Ich sehe es geradezu vor mir, wie sich alle treffen, die Emmaus-Jünger und der Zwölferkreis und die Marias, und dann überlegen, wie die Zukunft aussehen soll, die sie im Namen Jesu gestalten sollen:
- „Also, UNS ist Jesus beim Laufen begegnet, einfach indem wir mit dem Fremden geredet haben. Wir müssen alle einladen, das auch zu tun: Unterwegs sein mit Fremden!“
- „Nein, Quatsch, wir müssen uns jeden Sonntag am Strand treffen, fischen gehen, und danach gemeinsam grillen. Jesus wird sicher jeden Sonntag bei uns sein.“
- „Also, ICH habe Jesus erlebt, als mir alles im Leben am Ende schien. Wir sollten in jeder Predigt darauf hinweisen, wie schlimm alles ist, dann öffnen sich die Menschen für Jesus als ihren Herrn und Erlöser: Sie werden ihn suchen und er wird sich finden lassen, wie es zugesagt ist. Am besten treffen wir uns dazu an leeren Gräbern oder anderen spirituell aufgeladenen Orten in der Natur.“
Es gibt fast nichts, was diese Erfahrungen eint:
Manche suchten Jesus, die anderen nicht.
Manche kannten ihn vorher, andere nicht.
Manche erkannten ihn sofort, andere nicht.
Manche durften ihn berühren, anderen entzog er sich.
Manche sind alleine, manche zu zweit, andere in ihrer Gruppe.
Die einzige Gemeinsamkeit ist: Niemand von ihnen rechnete damit, Jesus als dem Auferstandenen zu begegnen.
(Ich finde es zu billig, wenn Gemeinden heute so tun, als wäre das DIE Voraussetzung, um auch heute Jesus „zu begegnen“. À la: „Du musst nur genug glauben, dann spürst du Jesus auch. Lass dich auf ihn ein, dann ist er da. Bete und suche ihn aktiv, und er wird sich dir zeigen. Selbst schuld, wenn das nicht passiert.“)
Niemand in den Auferstehungserzählungen der Bibel rechnete damit, Jesus als dem Auferstandenen zu begegnen. Aber sie alle machen eine Erfahrung, die an das anknüpft, was Jesus schon vor seiner Kreuzigung in die Welt brachte: Ein JA Gottes, das Menschen ermöglicht, neue Sichtweisen von sich zu erfahren.
- Ganz normale Männer werden von Jesus aus ihren Jobs und Familien herausgerufen, weil er mehr in ihnen sieht, als dass sie in ihren klassischen Männerrollen verbleiben sollen: Sie sollen Jesus dienen, und Teil davon wird sein, so manches Mal auch mit den Geschlechterrollen der damaligen Zeit zu brechen. Jesus will mit ihnen nicht am Reich der Männer arbeiten, sondern das Reich Gottes aufbauen. Was Jesus in ihnen sieht, eröffnet neue Aufgaben, neue Rollen und insgesamt ein neues Leben.
- Frauen wurden von Jesus nicht als schwach oder als Besitz oder als Küchengehilfinnen abgetan, sondern er hat sie als Menschen geachtet und behandelt. Er hat mit ihnen geredet, er hat sie eingebunden, er hat ihnen vertraut, er hat ihnen Verantwortung gegeben. Sein Blick auf sie hat ihr Leben verändert. Was Jesus in ihnen sieht, eröffnet neue Aufgaben, neue Rollen und insgesamt ein neues Leben.
- Aussätzige und Besessene werden von Jesus nicht verachtet oder gemieden, sondern wahrgenommen und geheilt. (Nicht alle. Aber:) Jesus hat gezeigt: Ich sehe euch, und niemand darf in meinem Namen mehr so tun, als wärt ihr „zurecht“ erkrankt oder „zurecht“ ausgestoßen. Ihr sollt Teil der Gesellschaft sein. Was Jesus in ihnen sieht, eröffnet neue Aufgaben, neue Rollen und insgesamt ein neues Leben.
- In den Reichen und Angesehenen sieht Jesus nicht die gottgegebenen Machthaber der Welt, sondern er fordert sie heraus und hinterfragt ihren Umgang mit den damaligen Strukturen. Er lädt sie ein, einen anderen Umgang mit sich und anderen einzuüben, der nicht zu Schuld und Schulden führt. Was Jesus in ihnen sieht, eröffnet neue Aufgaben, neue Rollen und insgesamt ein neues Leben.
Männer und Frauen, Schwache und Starke, Geachtete und Verachtete, Arme und Reiche, Juden und Heiden, Religionsvertreter und Soldaten:
Jesus hat mehr in ihnen gesehen als ihre gesellschaftlichen Rollen.
Jesus hat anderes von ihnen erwartet als die „Normalität“ in der „Mitte“ der Mehrheitsgesellschaft.
Jesus hat MENSCHEN gesehen, und er hat ihnen gezeigt, was es heißt, wenn Gott JA zu ihnen sagt.
Auch und gerade da, wo sich Religiöse schwer tun, JA zu Menschen zu sagen.
Auch und gerade da, wo es Menschen selbst schwer fällt, JA zu sich zu sagen.
Auch und gerade da, wo es Menschen schwer fällt, JA zu sagen zu anderen, die anders leben als sie selbst.
Jesus HAT zu ihnen JA gesagt und sie alle aufgerufen, dieses JA zur Grundlage ihres Miteinanders zu machen.
Dieses JA stellt so manches auf den Kopf an Gewohnheiten und Erwartungen.
Wer sich damit eingerichtet hatte, dass die Welt eben so ist, wie sie ist, stand damit entweder vor großer Freude („wow, es geht auch anders, hurra!“) – oder vor großen Problemen („oh Gott, jetzt soll sich etwa alles ändern? Bloß nicht!“).
Jesus hat Menschen eine Sichtweise angeboten, die ihren Blick auf sich und andere verändert hat. Was Gott in ihnen sah und was damit möglich wurde, hat nicht allen gefallen. Für manche hat es das Ende ihrer liebgewonnenen Situation bedeutet. Frauen unterdrücken, Arme ignorieren, Menschen wegen ihrer Herkunft ausschließen, Leistungsschwache an den Rand drängen – wie sollte das noch gehen, wenn Gott uneingeschränkt JA zu ihnen allen sagt? Und wenn die Frauen und Armen und Zugereisten und Leistungsschwachen das JA, das Gott zu ihnen sagt, auch noch für sich selbst übernehmen – und sich NICHT mehr zufrieden geben mit den ihnen zugewiesenen Plätzen am Rand? Nicht auszudenken!
Also wurde Jesus gekreuzigt. So eine Sichtweise sollten die Menschen gar nicht erst für realistisch halten. Ihr seid, wie ihr seid, Punkt. Bleibt an eurem Platz. Denkt nicht anders von euch, als es die Mehrheit kennt. Wagt es gar nicht erst, etwas anderes zu denken. Die Welt bleibt, wie sie ist.
Dieses uneingeschränkte JA Gottes musste aus der Welt. Als Jesus ins Grab getragen wurde, sollte das JA Gottes zu Grabe getragen werden. Der Anblick des Kreuzes sollte allen vor Augen halten: Seht her, so endet auch ihr, wenn ihr es wagt, die Sichtweisen auf euch in Frage zu stellen.
Und dann kam die Auferstehung. In der Auferstehung sagt Gott JA zu Jesus, der sein bedingungsloses JA verkündet und gelebt hat. Wo alle nur einen Gestorbenen sahen, das Ende eines Lebens – da sah Gott den Anfang eines neuen Lebens. Gott ruft Jesus und uns in den Anfang einer neuen Schöpfung, die erfüllt und getragen ist von Gottes uneingeschränktem JA.
Seitdem mussten viele weitere Menschen aus der Welt geschafft werden, genau weil sie das uneingeschränkte JA Gottes für stärker hielten als die eingeschränkten Sichtweisen ihrer Umgebung. Diese Märtyrer und Heiligen und Ketzerinnen starben nicht, weil sie sich und das Leben so hassten – sondern umgekehrt: sie starben, weil sie JA sagten zum Leben in der Liebe Gottes.
Das Verkünden spiritueller Weisheiten hat noch niemanden ans Kreuz gebracht. Unternehmensberatung anhand geistlicher Prinzipien hat noch niemanden ans Kreuz gebracht.
Es ist das JA zur uneingeschränkten Liebe Gottes, das Menschen ans Kreuz bringt.
Bevor Troy Perry 1968 auf die Idee kam, die MCC zu gründen, waren einige seiner schwulen Freunde bei einer Razzia von der Polizei verhaftet worden. Die Stimmung war am Boden: „Niemand sorgt sich um uns. Niemand setzt sich für uns ein.“ – „Doch“, entfuhr es Troy. „Gott sorgt sich. Gott setzt sich ein.“ Das uneingeschränkte JA Gottes erfasste Troy und wurde zur wichtigsten Botschaft seines Lebens.
Das uneingeschränkte JA Gottes verändert auch heute noch Leben, eröffnet neue Sichtweisen, arbeitet an einem neuen Miteinander. Das uneingeschränkte JA Gottes durchbricht auch heute noch jede Sichtweise, in der wir oder andere abhängig sein sollen von Bedingungen und Erwartungen.
Gott sagt JA zu dir – auch da, wo du für andere zu stark oder zu schwach bist.
Gott sagt JA zu dir – auch da, wo du es nicht mehr aushältst und Trost brauchst.
Gott sagt JA zu dir – auch da, wo sich deine Gefühle und Gedanken und Körperkräfte womöglich gegen dich wenden.
Gott sagt JA zu dir – auch da, wo dir Sex, Drogen und Musik intensivere Gefühle verschaffen als Gottesdienste.
Gott sagt JA zu dir – auch da, wo du bei anderen unter Verdacht stehst, zu viel Geld, zu viel Einfluss oder zu viele Statussymbole zu haben.
Gott sagt JA zu dir – auch da, wo andere dir einreden, du seist falsch und ungenügend.
Gott sagt JA zu dir – auch da, wo du schon spürst, dass mit diesem JA etwas Neues auf dich wartet.
Gott sieht so manches dir, was andere noch nicht sehen – und sagt JA zu dir.
Und Gott sieht so manches in den Menschen um dich herum, was andere noch nicht sehen … und sagt JA zu ihnen.