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Glitzer-Aschermittwoch

Predigt MCC Köln, 5. März 2017
Ines-Paul Baumann

„Ich bin IMMER schuld“ kann eine genau so einseitige und problematische Aussage sein wie „Ich bin NIE schuld“.

Von manchen kirchlichen und neoliberalen Stimmen wird der Gedanke der ständigen Schuld allerdings oft gefüttert:

  • Läuft der „einzig wahre“ Gottesbezug im manchen Kirchen nicht oft genug auf Selbstgeißelung hinaus? „Ich bin ganz und gar schlecht und unwürdig. Ich muss mich hassen, um der Liebe Gottes wert zu sein.“
    (Achtung, mit dem Gebot „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ ist das nicht vereinbar. Das Gebot heißt ja gerade NICHT: „Hasse deinen Nächsten wie dich selbst.“)
  • „Ich bin immer schuld“ funktioniert aber auch prima ohne Gott: „Es liegt immer an mir. Wenn ich mich nur noch ein bisschen mehr anstrenge, dann bekomme ich auch einen besseren Job / eine bessere Beziehung / mehr Freundschafts-Anfragen / mehr Zufriedenheit und Lebensglück – ich muss nur noch ein bisschen an mir arbeiten.“
    (Achtung, bezüglich Ungerechtigkeit und Missständen rücken gesellschaftliche Zusammenhänge dann gar nicht mehr in den Blick! Dabei ist nicht jedes Leid „eigene Schuld“, manches ist auch strukturell verankert!)

Manche fallen auf der anderen Seite vom Pferd:

  • „Ich bin NIE schuld. Die anderen sind schuld daran, dass es mir nicht so gut geht, wie ich es verdient habe: meine Eltern / das Arbeitsamt / meine Gene / meine Ärzte /der Pfarrer, .. ich kann nichts dafür. Und macht mich nicht verantwortlich für das Leid anderer, ich tue nichts Schlechtes!“

Für die allermeisten von uns stimmt wohl BEIDES EIN BISSCHEN:

  • Wir machen vieles falsch und HABEN oft abgrundtiefe Gedanken und Gefühle.
  • Wir machen vieles richtig und HABEN ein gutes Herz.

In diesem Gottesdienst wollen wir BEIDEN Aspekten Raum geben.

Letzten Mittwoch war Aschermittwoch – der Beginn der Fastenzeit. Im Zeichen der Reue und der Buße soll Selbsterkenntnis geschehen. Selbsterkenntnis führt uns auch heute tatsächlich oft vor Augen, was wir vor uns und anderen manchmal lieber verbergen. Was wir lieber nicht gesagt, gedacht oder getan hätten. Aber wo das Internet gnadenlos nie vergisst, haben wir es im christlichen Glauben mit einem Gott zu tun, wo Neuanfänge möglich sind. Die Fastenzeit wird ein Ende haben – ein gutes Ende. Wir werden vereint sein mit Gott.

Mit Gott vereint und versöhnt werden nicht nur die Teile von uns sein, wo wir anderen und uns selbst Liebe schuldig geblieben sind. Gott sieht auch all die wunderbaren Anteile in uns. Was uns gelingt. Wo wir leuchtende Beispiele sind. Strahlend vor Glück. Wo Hoffnung und Lebensfreude durchschimmern. Wo Lebenslust aufscheint.

Asche trägt ebenfalls beides in sich: Asche ist entstanden, weil manches ein Ende genommen hat. Aber in der Asche enthalten sind auch wertvolle Mineralstoffe. Der Phoenix entsteigt nicht zufällig der Asche.

Ich werde euch gleich anbieten, ein Aschenkreuz zu empfangen, das BEIDES sichtbar macht – und deswegen nicht nur Asche enthält, sondern auch Glitzer.

Manche denken jetzt vielleicht, beim Fasten und bei der Selbsterkenntnis ginge es NUR um Demut, und darin sei kein Platz dafür, sich selbst auch gut zu finden. Hierzu möchte ich euch folgende Zeilen weitergeben, die ich im Internet gefunden habe und sehr passend finde:

„Demut wird häufig falsch verstanden.
Demut hat nichts mit Kriecherei zu tun.
Demut ist theologisch die Anerkennung des eigenen kreatürlichen Rangs in der Schöpfung, gegenüber der Unendlichkeit Gottes.
Es ist eine Haltung der Wahrheit und Aufrichtigkeit.
Richtige Demut kann durchaus mit der Anerkennung der eigenen Vorzüge einhergehen. Der Demütige ist sich nur bewusst, dass er sie erhalten hat.
Wahre Demut sollte gesunder Ausdruck von Selbstbewusstsein sein. Eine Haltung der Wahrhaftigkeit.“

https://de.answers.yahoo.com/question/index?qid=20080403053825AAzRb4G

Nehmen wir uns nun also etwas Zeit, wahrhaftig und aufrichtig zu versuchen, uns selbst wahrzunehmen, so wie Gott uns sieht.

Konkret erinnert das Aschenkreuz an ZWEI Aspekte in Bezug auf uns selbst.
1) „Ich bin schuldig, unzulänglich und habe Fehler“ vs. „Ich bin schön und wunderbar gemacht“
2) „Ich bin vergänglich“ vs. „Ich bin unvergänglich“

Beginnen wir mit dem ersten Aspekt und lassen ein paar Minuten lang immer wieder diese beiden Bibelstellen abwechselnd auf uns wirken:

Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte, und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit.
Wasche mich rein von meiner Missetat, und reinige mich von meiner Sünde.

Psalm 51,3+4

Du, Gott, hast meinen Körper und meine Seele erschaffen, kunstvoll hast du mich gebildet im Leib meiner Mutter. Ich danke dir dafür, dass ich so wunderbar erschaffen bin, es erfüllt mich mit Ehrfurcht.

Psalm 139,13+14

Kommen wir nun zum zweiten Aspekt und lassen ein paar Minuten lang nur diese beiden Bibelstellen abwechselnd auf uns wirken:

Staub bist du, und zum Staub kehrst du zurück.

Gen 3,19

Jesus Christus hat dem Tod die Macht genommen
und das unvergängliche Leben ans Licht gebracht.

2. Tim 1,10

In früheren Zeiten war das Aschenkreuz auf der Stirn auch ein Zeichen von Solidarität: Als nur wenige Sünder von der Kirche damit gezeichnet wurden, haben sich andere aus Solidarität ebenfalls mit diesem Zeichen gezeigt. (Erst später wurde das Aschenkreuz zu einem Zeichen für alle Gläubigen.) Dieser Akt der Solidarität vereitelte alle Versuche, die „Sünder“ aussortieren zu können – vielleicht war diejenige mit dem Aschenkreuz auf der Stirn ja eine, die wie Jesus den Sündern zur Seite gesprungen war?

Auch heute gibt es also durchaus mehrere Gründe, sich das Aschenkreuz auf die Stirn zeichnen zu lassen.

WECHSELLESUNG:

Mit dem Kreuz aus Asche UND Glitzer halten wir unsere Körper sichtbar der Liebe Gottes hin –
in einem Akt der Selbsterkenntnis mit ALL unseren Seiten.
Wir bekennen, dass wir sowohl zerbrochen als auch wunderschön sind.

Mit dieser Asche und diesem Glitzer empfangen und verkünden wir Gottes Vergebung
für alles, wo wir uns besser machen, als wir sind.

Mit dieser Asche und diesem Glitzer empfangen und verkünden wir Gottes Vergebung
für alles, wo wir uns schlechter machen, als wir sind.

Lasst uns beten:

Allgegenwärtiger Gott, du hast uns erschaffen aus dem Staub der Erde und hast Sternenstaub in jeden unserer Atemzüge gelegt.
In der Asche sind wir Sterbliche, die Fehler machen und unter den Fehlern anderer leiden.
In dem Glitzer sind wir Unsterbliche, beschenkt und berufen zum Leben in Fülle.
Gewähre uns mit diesem Aschenkreuz ein Zeichen unserer Vergänglichkeit und Reue – UND unserer Unvergänglichkeit und Schönheit.

Alle, die mit der Asche der Vergänglichkeit und Demut und dem Glitzer der Unvergänglichkeit und Lebensfülle gezeichnet werden wollen, sind jetzt eingeladen, nach vorne zu kommen.

Halte aus,
dass du sowohl gebrochen
als auch wunderschön bist.

Halte inne
in deiner Vergänglichkeit
und in deiner Unvergänglichkeit.

Glitzer-Asche

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