Predigt MCC Köln 13. Sept. 2015
Manfred Koschnick
Matthäus-Evangelium 6,25-34: Sorgt nicht um euer Leben, Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes
Die Lilien sehen nicht sehr arbeitsam aus und doch gibt es sie – einfach so, in all ihrer sinnlosen salomonischen Pracht. Und auch Dich gibt es einfach so. Und das ist, weil es einfach so ist. Es ist wie Gott, die (wenn es sie gibt oder er entsteht) einfach da ist – als derjenige im brennenden Dornbusch, als die er sich erweisen wird, wenn es ihn gibt.
Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.
Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie?
Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?
Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?
Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.
Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.
Matthäusevangelium 6,24-34
Dieser Text ist einer meiner Lieblingstexte. In ihm drücken sich das Glück und die Freude der Gotteskinder aus. Wie kommt das, dieses Glück und die Freude – wenn doch das Gras verdorrt, d.h. Menschen z.B. in Afrika verhungern, in Deutschland vergast wurden … und eben dadurch das biblische Lob auf die Vögel und Lilien vielen nur noch (wenn nicht zynisch wie Hohn, so aber doch mindestens) naiv klingt…?
Außerdem: Ist es sicher, dass die mit Gold und Edelsteinen gewirkte Kleidung Salomons nicht schöner war als die Lilien auf den Feldern…?
Die Lilien auf dem Feld aber sagen meines Erachtens viel aus über den, der sie erschaffen hat. Fragt man sich, was der Sinn des eigenen Lebens ist, dann schaut man auf eine übergeordnete Gruppe, Ideologie oder z.B. die Natur. Deren Sinn erschließt sich ebenfalls über das nächsthöhere Prinzip, usw. So kommen wir in der Sinnfindung bei Gott an, wenn es sie gibt bzw. wenn wir an sie glauben. Welchen Sinn hat Gott?
Ich glaube, dass der, der die Welt erschaffen hat, quasi wie „sinn-los“ ist, da über ihr niemand und nichts ist, der oder das ihr Sinn geben kann. Gottes Existenz ist zweckfrei wie unbekümmertes kindliches Spiel, wie die farbenprächtigen Nachtfalter, wie Homosexualität, wie Pfauenfedern (die den Pfau daran hindern, zu fliegen und seinen Freßfeinden zu entfliehen), wie die Geburt eines Jungen im Körper eines Mädchens, wie die Geburt eines Mädchens im Körper eines Mädchens, wie plötzliche Mutationen als spielerische Experimente.
Genau wie andere Kinder lernen auch Gotteskinder durch dieses zweckfreie Spiel das Spiel des Lebens. Spielend im Hier und Heute sind wir arglos und unschuldig, gerade wie die kleinen Lilien auf dem Felde – nicht aber etwa so streng gezüchtet, nützlich und zweckgebunden wie die großen teuren Zucht-Lilien im Blumengeschäft. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit!
Natürlich erfüllt uns die Propaganda der Wirtschaftsunternehmen mit Sorge um den morgigen Tag und darüber, was wohl die sogenannte Öffentlichkeit denkt, wenn wir dieses Waschmittel nicht kaufen, jenes statusträchtige Auto nicht besitzen, keine standarisierten Markenprodukte am Leibe tragen, keine Haftpflicht- und Hausratsversicherung und Rechtsschutzversicherung haben, und beim Grillen nicht die neusten Barbecuesaucenrezepte benutzen. Wir könnten unangenehm originell und individuell werden – und schwer zu regieren.
Für uns Europäer ist es keine Frage, OB wir morgen etwas essen. Unsere Frage lautet: WAS sollen wir morgen essen? Aber die biblische Geschichte weist uns darauf hin, dass diese Frage bei Christen nicht als die existentielle Sorge daherkommen sollte. Diese Sorge könnte die sogenannten Heiden und uns zu immer mehr selbstentfremdeter Arbeit, Konkurrenz und selbstentfremdeten Konsum hin umtreiben. Dies passt aber nicht recht in das Reich Gottes, in dem wir gleichberechtigt zum großen Mahl geladen sind. Wir sollen nur einem Herren dienen, unserm Gott.
Gotteskinder, die sich auf Jesus berufen, glauben, dass es sehr viel mehr gibt als die Sorge um den Leib. Hinter den äußeren Erscheinungen der Welt liegt unsichtbar das Eigentliche. Es wird von der Welt umfangen, so wie von einer schillernden Seifenblase… einer Seifenblase, die die Luft (wie ein unsichtbares Nichts) umfängt: das „Nichts“, also das Eigentliche, den Heiligen Geist, ein Reich Gottes, eine Wirklichkeit, über die wir kaum etwas sagen können – nicht einmal, dass es sie gibt. Menschen, die für Sekunden die Seifenblase platzen sahen und wie vom Heiligen Geist erfüllt waren, fürchteten sich zuweilen sehr. Engel sprachen „Fürchtet Euch nicht!“. Menschen, die diese Ahnung vom Nichts inmitten der Seifenblase hatten (also von dem Göttlichen, was in der Seifenblase ist), schwiegen meistens – demütig beseelt oder erschüttert… zumal man solche Erkenntnis sprachlich kaum in Dogmen und kirchlichen Traditionen vermitteln kann (= eben in dieser großen Seifenblase, zu der auch die Kirche und dieser Gottesdienst zählen).
Aber eines sagt uns Jesu Botschaft ganz klar: Bei Gott gibt es keine Sorge um den morgigen Tag, sondern ein bescheidenes unschuldiges Einverstanden-Sein mit der (relativen) Bedeutungslosigkeit von allem, was uns freut und bedrückt. Was ist jetzt mit den furchtbaren Zahnschmerzen vor 10 Jahren? Was ist mit dem Schnee vom vergangenen Jahr?…. Geh‘ spielen! Du darfst spielen. Hör auf mit Deiner Angst! Tanze auf der Seifenblase! Du musst keinen Zweck erfüllen, um berechtigt zu sein. Und die Last der Vergangenheit darfst Du hinter Dir lassen – wie die Vögel am Himmel, die weder gesät noch geerntet haben.
Wir Menschen haben keinen Gott. Eher schon hat Gott uns. Jedoch wird Gott, wie er sich in den Feldlilien offenbart, viel eher durch das „Sein“ beschrieben als durch das Wort „Haben“. Wir haben auch keine Seele. Die Seele hat uns, umfängt uns, ist quasi wie das, was wir ein- und ausatmen. Gleich einer ihren starken Duft verströmenden Lilie strömt das Bewusstsein aus dem physischen Körper in den ihn umgebenden Raum. So ein „Aus-sich-heraustreten“ ist auch bei christlichen Mystikern der spirituelle Weg der Erkenntnis. „Wer da sucht, seine Seele zu erhalten, der wird sie verlieren; und wer sie verlieren wird, der wird ihr zum Leben helfen“, schreibt Lukas. Eigentlich haben wir nichts, sind aber alles. Wir finden die Lebenskraft nicht im Gold, sondern in Gott.
Diese Erkenntnis erwächst uns zuweilen im „kindlichen“ Staunen über die lebenspendende Bedingungslosigkeit und Sinnlosigkeit Gottes und der ständigen, evolutionären, spielerisch lebendigen Schöpfung des lebendigen lebensspenden Gottes.
Auch die Evolutionsbiologen haben inzwischen erkannt, dass nicht alles, was die Natur hervorgebracht hat, sinnvoll ist und der Fortpflanzung dient. Wir haben nicht die Natur, sie hat uns. Wir sind die Natur. Homosexualität mag vielleicht dazugehören (?). sexuelle Fruchtbarkeit ist nicht alles. Sei wie eine prachtvolle Lilie, Du bist es sowieso. Sei Teil des Göttlichen! Geh spielen – wenigstens jetzt, denn der morgige Tag wird für sich selber sorgen! So im Hier und Jetzt bist Du dem Höchsten ganz nah.
Amen.
Halte deine Nase vor eine Blume, deren Duft du magst. Atme einfach nur ein und aus (z.B. 10 Minuten lang). Rieche den wunderschönen Duft… vielleicht vermischt mit ebenso angenehmen oder weniger angenehmen Düften unserer Menschlichkeit… (immerhin wurde Gott in Jesus ganz Mensch, um sich uns zu offenbaren…) Wie verbinden dein Atem und das, was die Blume und das Menschsein verströmen, dich mit dem Hier und Jetzt? Und mit der Nähe Gottes im Hier und Jetzt?