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Wenn du nicht funktionierst – und damit genau richtig liegst.

Predigt MCC Köln, 30. August 2015
Ines-Paul Baumann

Lukas 19,11-27: Das Gleichnis vom anvertrauten Geld

Zum Glück leitet Jesus dieses Gleichnis NICHT ein als ein Beispiel für das „Himmelreich“! Was wären das nur für Verhältnisse:

Die Herkunft entscheidet darüber, wer an der Macht sitzt.
Geldmittel bestimmen darüber, wer Posten bekommt.
Die Strukturen funktionieren mit Druck und Strenge.
Der Machthaber ist in der Bevölkerung verhasst. Der Willen der Bürger wird ignoriert.
Wer wenig hat, dem wird auch das noch genomen. Wer viel hat, bekommt noch mehr. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auf.

Trotzdem wird dieses Gleichnis immer wieder so gelesen, als beschreibe es das Reich Gottes:

  • Der Mann aus der vornehmen Familie, der in ein fernes Land reist, um sich dort zum König für sein eigenes Land einsetzen zu lassen und dann zurückzukehren; dieser strenge und verhasste Herrscher: Das soll Gott sein.

    Ich schließe mich lieber dieser Sichtweise an:

    – Damals war es Archelaus, Sohn von Herodes dem Großen, der nach Rom zog, um sich von Kaiser Augustus zum Herrscher über Judäa und Samaria einsetzen zu lassen. Wikipedia schreibt über ihn: „Archelaos war ein tyrannischer und launischer Regent, der Samariter und Juden gleichermaßen schlecht behandelte.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Herodes_Archelaos)

    – DIREKT NACH diesem Gleichnis erzählt das Lukasevangelium vom Einzug Jesu in Jersualem. Der Einzug ist gestaltet wie der eines Königs. Dieser König kommt aber nicht aus einer vornehmen Familie. Das Volk jubelt ihm zu statt ihn zu hassen. Und antatt Angst und Schrecken zu verbreiten, reitet er auf einem Esel. Jesus zeigt hier ein ganz anderes Verständnis von Königsein im Reiche Gottes. Gott ist eben NICHT (wie) der strenge und verhasste Herrscher in diesem Gleichnis.

  • Die Diener des Königs: Das sollen die Gläubigen sein – als Vorbild dafür, wie wir Gott dienen sollen mit allem, was wir haben.

    Ich schließe mich lieber dieser Sichtweise an:

    In dem Zinswucher, wie er in dem Gleichnis zur Vermehrung des Geldes dient, erkannten die damaligen Zuhörer ein sündiges Treiben, das die jüdischen Gebote brach. Auch beim Postengeschachere von Archelaus erregte besonderen Anstoß, dass die jüdischen Gesetze gebrochen wurden (beim Heiraten).

    DIREKT VOR diesem Gleichnis erzählt das Lukasevangelium die Geschichte vom reichen Zolleinnehmer Zachhäus (der, der auf dem Baum saß und von Jesus dort gesehen und angesprochen wurde). Jesus kehrt bei ihm ein, und Zachäus ändert sein Leben: „Herr, die Hälfte meines Besitzes will ich den Armen geben, und wenn ich von jemandem etwas erpresst habe, gebe ich ihm das Vierfache zurück.“ Im Reich Gottes geht die Schere zwischen Arm und Reich eben NICHT weiter auf. Zachhäus als Vorbild für die Gläubigen ist das Gegenteil der Diener in dem Gleichnis, die Geld und Macht schachern.

  • Das Geld, das der Herrscher den Dienern anvertraut, soll für das stehen, was Gott uns anvertraut. Das Verb für das Aushändigen des Geldes ist sogar dasselbe, was später die Auslieferung Jesu zu seinem Tod beschreibt. So wie der Herrscher gibt, so soll Gott geben: Das Beste, was er hat – großzügig und vertrauensvoll. Der Tod Jesu soll der Beweis dafür sein. Hier gibt Gott das Beste, was er hat.

    Ich schließe mich lieber dieser Sichtweise an:

    DIREKT IM ANSCHLUSS an dieses Gleichnis nimmt das Geschehen in Jerusalem seinen Lauf. Die Auslieferung Jesu zu seinem Tod geht dabei genau NICHT von Gott und von denen denen aus, die Jesus zum Erlöser machen wollen – im Gegenteil, sie wollen sich und die Welt VON Jesus erlösen. Nicht nur das Verb ist dasselbe, auch die Handelnden sind tatsächlich dieselben: Die Mächtigen, denen ihre Macht wichtiger ist als das Reich Gottes, für das Jesus einsteht. Jesus soll verschwinden, Jesus soll gestoppt werden. Jesus soll genau das widerfahren, was der Herrscher im Gleichnis in Bezug auf seine Feinde sagt: „Und nun zu meinen Feinden, die nicht wollen, dass ich über sie herrsche: Holt sie her und bringt sie vor meinen Augen um!“ Jesus wollte nicht, dass Herrscher im Verbund mit der römischen Besatzungsmacht über ihn herrschen. Jesus wurde hergeholt und umgebracht.

Ich komme also zu einem anderen Schluss: Dieses Gleichnis beschreibt NICHT das Reich Gottes. Es beschreibt das Reich der Welt, wie es die Leser_innen des Lukasevangeliums damals erlebt haben. Es beschreibt das Reich, dem Jesus mit seinem Wirken ein Ende bereiten wollte. Es beschreibt die Kräfte, die deswegen dem Wirken Jesu ein Ende machen wollten.

Lukas sagt, dass Jesus seinen Zuhörer_innen dieses Gleichnis erzählt, weil sie so nahe bei Jerusalem waren und dachten, der Anbruch des Reiches Gottes stehe unmittelbar bevor. Der Bezug zum Reich Gottes ist also da. Aber an ganz anderer Stelle.

In Jersualem wird deutlich: Jesus muss deswegen von der Bildfläche verschwinden, weil er sich den Machtansprüchen der Mächtigen verweigert. Es ist die Konsequenz davon, wie er gelebt hat. Er verweigert sich ihrem System. Er verweigert sich ihren Werten. Er entzieht sich ihren Ansprüchen, ihrem Druck, ihrer Angstmacherei.
Er macht da einfach nicht mit.
Und er bekommt die Konsequenzen zu spüren.

Auch im Gleichnis gibt es den Einen, der nicht mitmacht.
Und der die Konsequenzen zu spüren bekommt.

„Herr, hier hast du dein Pfund zurück. Ich habe es in einem Tuch aufbewahrt. Ich hatte nämlich Angst vor dir, weil du ein strenger Mann bist. Du forderst Gewinn, wo du nichts angelegt hast, und erntest, wo du nichts gesät hast.“

„Chef, hier hast du alles zurück. Das Firmenhandy, das Laptop, den Geschäftswagen. Nichts davon habe ich eingesetzt. Ich war wie gelähmt vor Angst. Dein strenger Ruf eilt dir voraus. Unser Geschäftsprinzip ist ungerecht und geht auf Kosten anderer. Ich kann da nicht mitmachen.“

Wo finden wir heute diejenigen, die gelähmt sind vor Angst? Die ihr Gewissen nicht ausschalten können? Die es auf der Arbeit „nicht bringen“? Die sich nur noch unter der Bettdecke vergraben? Deren Seelen versinken? Deren Körper streiken? … In Kliniken. In Reha. In Frührente.

Depression, Burn-Out. Panikattacken. Herz-Kreislauf. Verspannungen. Schmerzen. Belastungsstörungen. Auch diese Menschen bekommen die Konsequenzen zu spüren.

In dem Gleichnis teilt derjenige, der nicht mitmacht, das Schicksal Jesu. Er ist der einzige, der sich nicht anpasst. Der nicht funktioniert. Und der dem Mächtigen sogar ins Gesicht sagt, was er von ihm hält. Wie mutig! Wie konsequent! (Oder: Wie unklug. Wie ungeschickt. Wie naiv. „Der muss sich nicht wundern, dass er damit alles verspielt hat.“)

Auch heute gibt es sie, die Verweigerer. Und die taktisch Ungeschickten. Vielleicht tragen sie den Stempel der psychisch Kranken. Der Nicht-Belastbaren. Der Leistungsunwilligen.

In dem Gleichnis stellt sich Jesus an ihre Seite. Ihre Verweigerung ist seine Verweigerung. Vielleicht sind sie wie gelähmt vor Angst und fühlen sich nicht ansatzweise heldenhaft. Aber ihre Weigerung offenbart, wie das System funktioniert.

Es ärgert mich massivst, dass dieses Gleichnis immer wieder dazu benutzt wird, aus Christen passive Befehlsempfänger zu machen, die immer zu gehorchen und bei allem mitzumachen haben.

(Das gilt auch innerhalb von Gemeinden und Kirchen! Achten wir auf die Signale derjenigen, die in der Gemeindearbeit vielleicht „nicht so gut funktionieren“? Vielleicht liegen hier wichtigeHinweise darauf, dass was mit unseren Systemen und Strukturen und Werten nicht stimmt?)

Oh ja, wir sollen uns sehr wohl überlegen, für wen und für was wir das einsetzen, was wir haben! Wem stelle ich mich und meine Gaben zur Verfügung?

Insbesondere in der Nachfolge Jesu können wir eben NICHT einfach bei allem mitmachen. Ob aus Angst oder aus Heldenmut: die Verweigerung zählt. Sie stört. Sie deckt auf.

Es lebe der passive Widerstand! Auch der von Kranken und Sonderlingen und Versagern und Verweigerinnen. Oft haben gerade sie ein feines Gespür für Recht und Unrecht. Ihre Körper und ihre Krankheiten sprechen Bände. Ihr Leben und ihre Worte und ihr Leiden zeugen davon. Genau wie das Leben und die Worte und das Sterben Jesu.

*~*

Gott, wir bitten für alle Menschen und Anteile in uns, denen Funktionieren immer noch als Gottesgehorsam beigebracht wurde. Wo wir nicht widersprechen, wenn du mit bösen Herrschern gleichgesetzt wirst, und wo die Gläubigen passive Diener sein sollen, die alles mitmachen sollen. Gott, lehre uns stattdessen, passiv im Widerstand zu sein. Setze uns frei! – Christus, erhöre uns.

Gott, wir bitten für alle Menschen und Anteile in uns, wo wir unsere Zeit und unsere Gaben einsetzen innerhalb von Strukturen, die Unrecht fördern. Wo wir Diener geworden sind von Herrschern, die uns in Form von Statussymbolen und Markennamen im Griff haben. Wo die Kranken als Störfaktor gelten und als Problem, anstatt dass wir die Probleme erkennen wollen, die uns heutzutage krank machen. Gott, lass uns wieder auf unser Gewissen und unsere Körper hören lernen. Lass uns Gemeinden und Gemeinschaften bauen, in denen wir gemeinsam die Konsequenzen zu tragen bereit sind. – Christus, erhöre uns.

Literaturtipp

„Das Gleichnis von dem, der sich weigerte mit den Pfunden des Königs zu wuchern“ von Ulrike Metternich, in: „Gott ist anders – Gleichnisse neu gelesen“ (Hg.: Marlene Crüsemann, Claudia Janssen, Ulrike Metternich); Gütersloher Verlagshaus 2014

 

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