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Lieber Bad Religion als Bad Bank

Predigt MCC Köln, Weihnachten 2014
Ines-Paul Baumann

Mit all unseren Erkenntnissen aus Wissenschaft und Erfahrung ist der Weihnachtsglanz für viele Menschen höchstens noch ein matter Abglanz putziger (oder bedrohlicher) Traditionen.

Was wir in unseren Weihnachtsliedern singen, ist faktisch nicht haltbar. Manch eine/r wünscht sich „ein neues Weihnachtslied“ (https://www.youtube.com/watch?v=dGCGJtv4cFE). Die Kommentare im Internet zeigen, dass es vielen so geht wie dem Sänger. An der Wahrheit, die in diesen Liedern besungen wird, möchten sie aber festhalten.

Die Autorin einer bekannten deutschen Wochenzeitung kommt zu einem anderen Schluss: Sie schlägt vor, an den alten Weihnachtsliedern festzuhalten – nicht nur weil sie „einfach sehr schön“ sind. Sondern gerade weil sie „die ersten unverständlichen Texte“ sind, „die wir als Kinder kennenlernen“. Dies ist nochmal ein etwas anderer Aspekt als die Frage nach den Fakten in diesen Liedtexten: Hier geht es darum, was wir von diesen Texten überhaupt verstehen und begreifen können und wollen.

Wir wollen das im heutigen Wehihnachtsgottesdienst nicht einfach ausblenden:

  • Vieles, was wir als Weihnachtsgeschichte kennen, ist faktisch nicht haltbar.
  • Unser Umgang damit verlässt oft die Ebene von Verstand und Verständlichkeit. Manch einer ist an Weihnachten gefühlsduselig vor Rührung, manch eine ist gefühlsduselig vor Abwehr und Unverständnis.
  • Und trotzdem finden Menschen bis heute in der Weihnachtsgeschichte eine Wahrheit, die wahrhaftiger ist als all unser Faktenwissen und Verstand.

Wenn wir die Weihnachtsgeschichte nun also durchlesen, wollen wir nicht so tun, als gäbe es keine Fragen und Bemerkungen, die wir heute an die überlieferten Geschichten herantragen würden. Auch diese Anteile sollen ihren Platz bekommen – auch wenn sie sonst gerne verbannt werden, damit sie die Stimmung nicht zu sehr stören.

Um das Krippenspiel trotzdem stimmungsvoll genießen zu können, wenden wir eine der neuesten Errungenschaften unserer westlichen Kultur an. Banken und Energiekonzerne haben es vorgemacht: Wir lagern aus, was uns störend in die Quere kommen könnte. Wir richten heute für alle Zweifel, Fragen und sonstigen Stimmungskiller eine Bad Bank ein.

(Zwei Menschen tragen eine Bierbank nach vorne und nehmen darauf Platz.)

Auf dieser Bierbank hier sitzen die zwei kritischen Begleiter/innen unseres heutigen Krippenspiels. Ihre Rollen sind aufgeteilt nach dem Prinzip „böser Bulle, guter Bulle“:

Die eine Stimme ist das Stichwort, das kurz aufblitzt und Alarm schlägt.
Wie das so ist mit den Überbringern ungewollter Botschaften, werden sie oft nicht bloß als Überbringer, sondern als Verursacher der ungewollten Botschaft behandelt. Zu ihrem eigenen Schutz vor persönlichen Angriffen bekommt diese Stimme deswegen eine Sturmmaske (zieht Sturmmaske über das Gesicht).
Damit uns nicht dieser Anblick allein schon die ganze Stimmung verdirbt, hübschen wir sie allerdings noch etwas auf (legt sich lila Federboa um). Auch wenn manche Kirchenkritiker/innen nicht so behandelt werden: Immerhin verbirgt sich auch hinter dieser Rolle ein Mensch mit Herz und Gefühlen.

Die andere Person ist sozusagen die Pressesprecherin dieser Stimme. Sie wird versuchen, uns die Fragen und Anmerkungen so zu vermitteln, dass sie uns nicht zu sehr stören.

Die Weihnachtsgeschichte hören wir vorgelesen vom Lesepult hier vorne.

Und für das Krippenspiel selbst darf ich unsere Maria und unseren Josef nach vorne bitten.

Maria und Josef kommen nach vorne.

Bad Bank Alarm: Kopftuchverbot!

Bad Bank Pressestimme:
(guckt Bad-Bank-Alarm an und sagt lachend:) Ich sag jetzt nix zum Vermummungsverbot!
(wieder ganz in ihrer Rolle:)
Ja, Maria trägt ein Kopftuch.
Aber nicht jede Frau mit Kopftuch ist unterdrückt.
Und nicht jede Frau ohne Kopftuch ist frei.
Ich würde vorschlagen, wir machen einfach weiter.

Lesepult (immer betont langsam, ruhig, nüchtern-sachlich):
Gut, dann fange ich jetzt an zu lesen. Wir hören die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel.

Bad Bank Alarm: DIE Weihnachtsgeschichte aus DER Bibel?!

Bad Bank Pressestimme (in sanft-sachlichem Ton zum Lesepult hin):
Welche Übersetzung?

Lesepult: Deutsch.

Bad Bank Pressestimme:
Nein, das meinte ich nicht, DAS Fass machen wir jetzt nicht auch noch auf. Welche VERSION der Bibelübersetzung? Es gibt schließlich nicht den einen, echten, richtigen, ursprünglichen Bibeltext. Jeder Bibeltext ist eine Übertragung und enthält menschliche Deutungen. Das ist nicht schlimm – wir sollten uns dessen nur bewusst sein. Wir können eben nicht einfach sagen „In der Bibel steht…“ und dann so tun, als wäre damit eine klare Aussage getroffen. Auch heute müssen wir deuten und interpretieren und fragen, wie Gottes Wort in unserer Welt zum Ausdruck kommt und was es bedeutet.

Lesepult:
Kann ich jetzt anfangen?

Wir hören Kapitel 1 aus dem Evangelium nach Matthäus in der Neuen Genfer Übersetzung.

Verzeichnis der Vorfahren von Jesus Christus, dem Sohn Davids und dem Sohn Abrahams: Abraham war der Vater Isaaks, Isaak der Vater Jakobs, Jakob der Vater Judas und seiner Brüder.

Bad Bank Alarm: Gähn!

Bad Bank Pressestimme:
(fast etwas belustigt:) In der Tat – mit so einem Text sind wir nicht die einzigen Stimmungskiller hier. Diese Liste an Namen ist langweilig. Ein Hollywood-Film würde nie so anfangen. Keine Ahnung, wer sich diese Dramaturgie ausgedacht hat.
(spätestens hier wieder ernst:) Aber so ist es nun halt: Weihnachten ist nicht immer nur romantisch und heimelig. Diese Liste an Vorfahren hat eine Bedeutung. Ein Kind wird geboren, und alle wollen wissen: Was hat es auf sich mit diesem Kind auf sich? Wer ist dieser Mensch?

Wenn mein Vater früher Bescheid wissen wollte über einen Menschen, fragte er immer: „Und was ist sein Vater von Beruf?“
Andere fragen vielleicht: „Welches Sternzeichen hat er (oder sie)?“
Oder sie möchten die Gene entschlüsseln.
Oder herausfinden, wie die ersten drei Lebensjahre waren – sie sind schließlich entscheidend!
Schwangere achten manchmal sehr darauf, was das Kind schon während der Schwangerschaft im Bauch mitbekommt, weil es das Kind für den Rest seines Lebens prägen könnte.
Familiengeschichten übertragen sich zum Teil über Generationen hinweg auf die Nachkommen.
Alle diese Sachen sollen beantworten, was die Bestimmung eines Menschen ist. Wer er ist. Was ihn prägt. Was ihn ausmacht.

Das Matthäus-Evangelium wählt die damals gängige Methode: Seht her, von diesen Vorfahren stimmt das Kind ab! Und die hier genannten Vorfahren sollen verdeutlichen, dass es sich bei Jesus eben nicht um „irgendein“ Kind handelt. Sondern um einen Propheten. Einen König.

Bad Bank Alarm: König??

Bad Bank Pressestimme:
Naja – nicht so wie heute. Nicht als winkender Hut auf einem Balkon.
Und auch nicht als ungerechter Diktator.
Auch wenn der Westen die Welt heute mit Demokratie und Kapitalismus retten möchte: Damals erhofften sich die Menschen Frieden und Gerechtigkeit von einem KÖNIG.
Keine Ahnung, was das für Glaubende heutzutage bedeuten soll.
Müssen sie selber entscheiden.

Lesepult:

Juda war der Vater von Perez und Serach; ihre Mutter war Tamar.

Bad Bank Alarm: DIE Tamar?!

Bad Bank Pressestimme:
Ja, das Matthäus-Evangelium erwähnt auch Frauen….

Bad Bank Alarm: DIE Tamar, die Hure?

Bad Bank Pressestimme:
Du meinst: DIE Tamar, die ihren Schwiegervater als Hure verkleidet verführte, um so an ein Kind heranzukommen? Ja, diese Tamar… Klingt jetzt wenig nach einer guten Referenz in einem Stammbaum. Aber ja: genau, diese Tamar.

Eine großartige Frau übrigens in meinen Augen. Eigenwillig, selbstbestimmt, klug, kreativ…

Lesepult:

Perez war der Vater von Hezron, Hezron der Vater von Ram, Ram von Amminadab, Amminadab von Nachschon, Nachschon von Salmon und Salmon von Boas; die Mutter des Boas war Rahab.

Bad Bank Alarm: Die heidnische Hure??

Bad Bank Pressestimme:
Sag mal, wie redest du von dieser Frau? Ja, die mit dem „falschen“ Beruf und dem „falschen Lebenswandel“ und der „falschen“ Religion – und mit der richtigen Haltung und dem richtigen Handeln! Glaubst du, dass nur Menschen mit dem „richtigen Glauben“ Teil der Geschichte sein dürfen, die Gott zum Heil der Menschheit schreibt??

Lesepult:

Boas war der Vater Obeds; Obeds Mutter war Ruth.

Bad Bank Alarm: Die Lesbe??

Bad Bank Pressestimme:
Naja. Die Frau aus dem Buch in der Bibel, in dem sich zwei Frauen genau das berühmte Ja-Wort geben, das sich heutzutage heterosexuelle Paare so gerne geben:
„Wohin du gehst, dahin gehe auch ich, und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe auch ich, da will ich begraben sein. Der Herr soll mir dies und das antun – nur der Tod wird mich von dir scheiden.“ (Rut 1,16-17 EU)
Du hast Recht, genau das hat die FRAU Ruth zu der FRAU Noomi gesagt. Schließe daraus, was du willst.

Lesepult:

Obed war der Vater Isais, Isai der Vater des Königs David. David war der Vater Salomos; Salomos Mutter war die Frau des Urija.

Bad Bank Alarm (singt): Hallelujah, hallelujah, The baffled king composing Hallelujah …

Bad Bank Pressestimme (räuspert sich):
Ja. Bathseba. Die Frau, die von David vergewaltigt wurde. (ironisch:) Tolles Lied: Alle singen es, als würde es eine romantische Geschichte erzählen. Aber klar, ich vergaß: In Kirchen kommt alles außer romantischer Liebe ja ebenfalls nicht vor…
(atmet tief durch) Aber dass ein Kind, das auf diese Weise gezeugt wurde, Teil dieses Stammbaums ist, ist schon bemerkenswert.

Lesepult:

Salomo war der Vater von Rehabeam, Rehabeam der Vater von Abija, Abija von Asa, Asa von Joschafat, Joschafat von Joram, Joram von Usija, Usija von Jotam, Jotam von Ahas, Ahas von Hiskija, Hiskija von Manasse, Manasse von Amon und Amon von Joschija. Joschija war der Vater Jojachins und seiner Brüder; damals wurde das Volk nach Babylon in die Verbannung geführt.
Nach der Zeit der Verbannung folgte Schealtiel, der Sohn Jojachins. Schealtiel war der Vater von Serubbabel,

Bad Bank Alarm: Gähn…

Bad Bank Pressestimme (guckt sich entschuldigend um und zuckt nur mit den Schultern).

Lesepult (liest stoisch-ruhig-sachlich weiter):

Serubbabel der Vater von Abihud, Abihud von Eljakim, Eljakim von Azor, Azor von Zadok, Zadok von Achim, Achim von Eliud, Eliud von Eleasar, Eleasar von Mattan und Mattan von Jakob. Jakob war der Vater von Josef, dem Mann der Maria. Sie war die Mutter Jesu, der auch Christus genannt wird.

Insgesamt sind es also von Abraham bis David vierzehn Generationen, von David bis zur Verbannung nach Babylon wieder vierzehn Generationen und von der Verbannung nach Babylon bis zu Christus noch einmal vierzehn Generationen.

Bad Bank Alarm: Rechenfehler!

Bad Bank Pressestimme:
Jetzt sei nicht so pingelig. Hier geht es nicht bloß um Fakten. Wahrheit drückt sich nicht alleine mit Fakten aus.

Lesepult:

Dies ist die Geschichte der Geburt Jesu Christi: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt. Aber noch bevor die beiden geheiratet und Verkehr miteinander gehabt hatten, erwartete Maria ein Kind;

Bad Bank Alarm: Einfrieren!

Bad Bank Pressestimme (ungläubig):
Nä. Das ist jetzt nicht deine Ernst. (etwas empört:) Du meinst, Maria hätte ihre Eier einfrieren lassen sollen und abwarten, bis ein besserer Zeitpunk in ihrem Leben gekommen wäre? Dann wäre all das Schlamassel nicht passiert? Merk dir mal eins: Gott richtet sich zum Glück nicht nur nach dem Willen von Firmenbilanzen und Aktionären!

Lesepult:

Maria war durch den Heiligen Geist schwanger geworden.

Bad Bank Alarm: Prust!

Bad Bank Pressestimme:
Also bitte. Du hast ja Recht, wahrscheinlich war das nur ein Übersetzungsfehler mit der Jungfrau. Aber für manche Menschen ist damit etwas ausgesagt, was ihnen aus Gleubensgründen wichtig ist. Und andere brauchen das halt NICHT für ihren Glauben. Aber hab bitte etwas mehr Respekt vor dem, was verschiedene Glaubende aus der Tradition übernehmen und was nicht!

Lesepult:

Josef, ihr Verlobter, war ein Mann mit aufrechter Gesinnung. Er nahm sich vor, die Verlobung aufzulösen, wollte es jedoch heimlich tun, um Maria nicht bloßzustellen.
Während er sich noch mit diesem Gedanken trug, erschien ihm im Traum ein Engel des Herrn und sagte zu ihm: »Josef, Sohn Davids, zögere nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen! Denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist.
Sie wird einen Sohn zur Welt bringen. Dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk von aller Schuld befreien.«
Das alles ist geschehen, weil sich erfüllen sollte, was der Herr durch den Propheten vorausgesagt hatte:
»Seht, die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn zur Welt bringen, und man wird ihm den Namen Immanuel geben.« (Immanuel bedeutet: »Gott ist mit uns«.)
Als Josef aufwachte, folgte er der Weisung, die ihm der Engel des Herrn gegeben hatte, und nahm Maria als seine Frau zu sich.
Er hatte jedoch keinen Verkehr mit ihr, bis sie einen Sohn geboren hatte. Josef gab ihm den Namen Jesus.

(kurze Pause; keine/r sagt was)

Bad Bank Alarm (macht das „Daumen-hoch“-Zeichen): I like!

Bad Bank Pressestimme (erstaunt-verwirrt):
Versteh ich jetzt nicht.

Bad Bank Alarm:
I like! Ich werde zum Follower! Ich schließe mich an!

Sieh doch mal auf all die Leute bei den Vorfahren Jesu. Damit soll doch gesagt sein, dass sie ein Teil der Geschichte sind, durch die Gott Heil Wirken möchte für die Menschheit. Hast du selbst gesagt. Wenn sogar die alle als Beweis dafür dienen können, dass Jesus der Heilsbringer ist – warum sollten meine Fragen und meine Zweifel mich dann noch ausschließen?

Wenn Leute aus fremden Religionen dabei sind!
Wenn Leute außerhalb aller Moral und allen Anstands dabei sind!
Was ist das denn dann für ein König! Doch wohl nicht nur der König derjenigen, die eh Fürsprecher, Macht und Einfluss in der Gesellschaft haben!

WER sollte überhaupt noch das Recht haben, mich wegen meiner eigenen Geschichte und meinen Erfahrungen auszuschließen? Priester, Pfarrer, Rechtgläubige, „wahre“ Christen?
Immanuel, „Gott ist mit uns“! Ich brauche keinen Vermittler mehr! Und wo ich niemanden mehr brauche als Zugang zu Gottes Gegenwart, da kann mir auch niemand mehr die Gegenwart Gottes verweigern!

(zieht die Sturmmaske ab)

Vor so einem Gott, mit so einem Jesus, da brauche ich mich nicht zu verstecken. Auch nicht mit meinen Fragen und meinen Zweifeln. Auch nicht mit meiner Geschichte und meinem Lebenswandel. Ich gehöre zur Heilsgeschichte Gottes genau so dazu wie die alle da aus dieser Vorfahrensliste.

Wenn es nicht mehr nur um „gute Frömmigkeit“ geht, ist das für manche vielleicht nicht mehr Teil ihrer „ach-so-guten-Religion“. Dann ist es halt „schlechte Religion“, mir doch egal.

Aber auf einen Propheten, der aus einer solch „heillosen“ Unordnung hervorgeht, höre ICH gerne. Zu einem König, der sich zu solch „heillosen“ Menschen bekennt, bekenne ICH mich gerne.
ICH bin FROH über diesen Jesus in der Krippe.

Lesepult (gewohnt sachlich *g*):
Lasst uns gemeinsam ein Lied davon singen, und zwar das Weihnachtslied: „Ich steh an deiner Krippen hier“.

(alle gehen wieder an ihre Plätze und singen mit der Gemeinde zusammen:)

Ich steh an deiner Krippen hier,
o Jesu, du mein Leben;
ich komme, bring und schenke dir,
was du mir hast gegeben.
Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn,
Herz, Seel und Mut, nimm alles hin
und laß dir’s wohlgefallen.

Da ich noch nicht geboren war,
da bist du mir geboren
und hast mich dir zu eigen gar,
eh ich dich kannt, erkoren.
Eh ich durch deine Hand gemacht,
da hast du schon bei dir bedacht,
wie du mein wolltest werden.

Ich lag in tiefster Todesnacht,
du warest meine Sonne,
die Sonne, die mir zugebracht
Licht, Leben, Freud und Wonne.
O Sonne, die das werte Licht
des Glaubens in mir zugericht‘,
wie schön sind deine Strahlen!

Ich sehe dich mit Freuden an
und kann mich nicht satt sehen;
und weil ich nun nichts weiter kann,
bleib ich anbetend stehen.
O daß mein Sinn ein Abgrund wär
und meine Seel ein weites Meer,
daß ich dich möchte fassen!

Eins aber, hoff ich, wirst du mir,
mein Heiland, nicht versagen:
daß ich dich möge für und für
in, bei und an mir tragen.
So laß mich doch dein Kripplein sein;
komm, komm und lege bei mir ein
dich und all deine Freuden.

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