Ines-Paul Baumann
Mk 13,1-8: Apokalypse – Jesu Rede über die Endzeit
„Es ist das Ende der Welt, wie wir sie kennen, und ich fühl mich wohl“, sangen REM 1987. Das ist 25 Jaher her, und allein seitdem gab es mehrere Weltuntergänge. Der nächste steht uns übrigens Ende diesen Jahres bevor, wie uns manche anhand des Maya-Kalenders versichern.
Gerade letzte Woche habe ich eine E-Mail erhalten, in der eine Frau an die MCC Köln schreibt: „ha ha es geht los………… stromausfall in münchen – Verkehrschaos – Kämpfe im Nahost eskallieren !!! Die Bibel lügt nicht – jetzt kommen die wahren Glaubenshelden zum Vorschein – es muß alles so passieren, denn das Wort sagt es ! Habt keine Angst – es muß so sein, Das Volk Gottes erhebt sich im Glauben !!! Und ein mächtiges Volk erhob sich im Namen Jesus Christus und es steht im Kampf bereit gegen die Mächte der Finsternis und es erhebt sich mit dem Schwert des Glaubens !!! Zieht all eure Waffenrüstung an und macht euch bereit !!! Es ist diese Zeit und es muß so sein – ich stehe wie ein Baum und ich hoffe die Glaubenshelden stehen mit mir in einem mächtigen Heer dem Feind mit dem von Gott gegebenen Glauben gegenüber !!!!!! ♥♥♥ Lieben Gruß und Gottes Segen, E.“.
In den USA und in manchen entsprechend geprägten christlichen Kreisen hierzulande gibt es einen intensiven Kult um Endzeitszenarien. Filme und Bücher malen eindrücklich aus, wie es sein wird, wenn die Erdbeben und Katastrophen und Kriege zunehmen, bevor dann die guten wahren echten Christen entrückt werden, während die ganzen laschen Namenschristen (und die homosexuellen und alle anderen, die falsch und inkonsequent lebten) auf der Erde zurückbleiben, nun enttarnt und bloßgestellt als diejenigen, die NICHT zu Gott gehören (das hatten die guten wahren Christen ja schon immer gewusst, aber dann wird es endlich für alle offensichtlich sein).
Seit tausenden von Jahren beschreiben Menschen das Ende der Welt, und meistens sind es Szenarien voller Bedrohung, Düsternis, Angst und Schrecken. Christen verweisen für ihre Fantasien auf apokalyptische Szenen in der Bibel. Die gibt es, in der Tat: Vom Buch Daniel im Alten Testament bis zum Buch der Offenbarung im Neuen Testament, und in den Evangelien ist es nicht zuletzt Jesus selbst, der mit apokalyptische Szenarien zitiert wird (gerade gelesen in Markus 13,1-8).
Die meisten der eben beschriebenen Fantasien, die Christen wie E. verbreiten, gehen an den wesentlichen Anliegen Daniels, Jesu und der Offenbarung allerdings völlig vorbei. Als Beispiel nehme ich einfach mal die E-Mail von E.:
Missdeutung 1
Missdeutung 1: Die Guten (= die wahren Christen) kommen an die Macht (anstatt dass die Macht des Systems gebrochen wird).
1. Trotz des düsteren Szenarios ist E. selbst überhaupt nicht erfüllt von Angst und Schrecken. „Jetzt kommen die wahren Glaubenshelden zum Vorschein (…) das Volk Gottes erhebt sich (…) ich stehe wie ein Baum (…) die Glaubenshelden stehen mit mir in einem mächtigen Heer dem Feind gegenüber“. E. kann deswegen so sicher sein, weil sie eben zu den wahren Glaubenshelden gehört. Und wenn die Zeit reif ist, werden die wahren Christen an der Seite des wahren Gottes der Welt zeigen, wer Herr im Hause ist.
Auch Jesus musste schon solche Fantasien bekämpfen. In der Welt damals gab es das römische Reich mit seinem Kaiser und seinen Legionen und eine griechische Klassengesellschaft mit Feudalen und Eliten. Von einem wahren Messias erhofften sich viele, er würde den Unterdrückten Befreiung in diesem System verschaffen. Darunter verstanden viele aber nicht, Befreiung VON diesem System zu erfahren, sondern dass sich die Verhältnisse nun umkehren würden: Jesus nimmt den Platz vom Kaiser ein, statt der römischen Legionen regieren nun Heerscharen von Engeln, und der Klerus und die wahren Christen sind ab sofort die Eliten, die die Macht haben über die Nicht-Christen. Der wahre Gott hat gewonnen!
Was Jesus damals nicht gemacht hat, soll wenigstens bei seiner Wiederkehr Wirklichkeit werden. Und bis dahin können wir immer einen Etappensieg feiern, wenn „Menschen falscher Religionen“ uns bitten, für sie zu beten oder in unsere Gottesdienste kommen, damit wir sie endlich bekehren können.
Diese Sichtweise hat einen kleinen Haken: Warum sollte Jesus heute oder in Zukunft etwas wollen du tun, was er damals nicht wollte und nicht tat? Machtpositionen von Menschen über andere und damit verbundene Systeme wird es nicht mehr geben. Jesus wollte uns nicht innerhalb von solchen Systemen in die Position der Macht bringen. Das bringt weder Gerechtigkeit noch Heilung.
Ein ausbeuterisches System wird nicht dadurch besser, dass wir „die Guten“ in die Machtposition bringen. Kennt ihr das Buch „Animal Farm“ („Farm der Tiere“)? Oder das Sprichwort „Die Revolution frisst ihre Kinder“? Die Guten kommen an die Macht und nach kurzer Zeit agieren sie genau so wie die Bösen vorher.
Kein Stein wird auf dem anderen bleiben, hat Jesus gesagt. Das ist etwas anderes als: „Das Gebäude bleibt stehen und die wahren Christen setzen sich an die Zentralen der Macht.“ Nein: Das Gebäude wird eben nicht stehenbleiben.
Missdeutung 2
Missdeutung 2: Zeichen für das Ende der Welt werden wichtiger als Zeichen der Gegenwart Jesu in der Welt.
2. Das zweite, was mit der biblischen Botschaft nicht so ganz übereinstimmt in manch angeblich so christlichen Weltuntergangs-Fantasien, ist die Fixierung darauf. Manche scheinen ja geradezu vor den Nachrichten zu kleben und jede Meldung darauf hin zu prüfen, ob sie in das Szenario passt: „stromausfall in münchen – Verkehrschaos – Kämpfe im Nahost eskallieren !!!“ – „haha, es geht los!“, freut sich E.
Die Gute Nachricht Jesu, die Freude und Hoffnung verbreiten sollte, lautete damals noch etwas anders. Ja, es werden Dinge geschehen, die euch Angst machen. Die Welt wird sich bedrohlich zeigen, unkontrollierbar. „Ein Volk wird sich gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere. Es werden Erdbeben geschehen hier und dort, es werden Hungersnöte sein.“ Ja, ja, ja. Aber was sagt Jesus drumherum?: „Wenn ihr aber hören werdet von Kriegen und Kriegsgeschrei, so fürchtet euch nicht. (…) Das Ende ist noch nicht da (…) das Evangelium muss zuvor gepredigt werden unter allen Völkern (…) sorgt euch nicht“.
Ja, sagt Jesus, das passiert alles. Aber verliert inmitten der Geschehnisse nicht den Fokus. Im Mittelpunkt eures Glaubens stehe ich, nicht die Ereignisse drumherum. Lasst euch davon nicht ablenken. Die Gute Nachricht, die ihr verkünden sollt, besteht nicht im Ende der Welt, sondern in meiner Gegenwart inmitten eurer Welt. Ich bin bei euch, jeden Tag.
Die Anliegen von Daniel, Jesus und der Offenbarung
Die Anliegen von Daniel, Jesus und der Offenbarung: Eine Botschaft der Hoffnung und des Widerstands
Warum haben Daniel, Jesus und die Offenbarung sich dann überhaupt mit apokalyptischen Szenarien beschäftigt? Nun, als sie das taten, haben sie in ihrer Zuhörerschaft ganz andere Bilder gezeichnet als die in so vielen Kunstwerken dargestellten Szenarien voller Düsternis und Angst. Es kommt eben immer darauf an, wer gerade zuhört:
„Nichts wird bleiben, wie es ist!“
Bei denen, die es gut finden, wie es gerade ist, löst das Angst und Besorgnis aus.
Für diejenigen, die darunter leiden, wie es gerade ist, ist das aber eine Botschaft der Hoffnung, der Freude und des Trostes.
Die Menschen, für die damals das Markusevangelium geschrieben wurde, lebten in einer Zeit voller Umbrüche. Wir wissen heute nicht genau, ob der Tempel noch stand oder schon zerstört war, aber dieser Tempel war nicht nur ein schönes Stück Architektur: An diesem Tempel hing die Identität vieler Menschen als Einzelne, als Volk und als Religion.
Wer sich statt am Tempel an Jesus orientiert hatte, war nicht unbedingt besser dran: Damals hatten sie gedacht, sie müssten nur ein paar Jahre warten, und Jesus würde wiederkommen. Dass Jesu Wiederkunft auf sich warten ließ, damit hatten sie nicht gerechnet. Erst jetzt wurde es nötig, die Erzählungen über ihn aufzuschreiben; deswegen sind die Evangelien so spät entstanden. Die Dinge liefen anders als geplant. Nichts wendete sich zum Guten. Jesus kam nicht wieder, im Gegenteil, für die Christen begann eine Zeit der Verfolgung und der Unterdrückung. Dass so eine Welt ein Ende nehmen sollte, war für sie eine Botschaft voller Hoffnung, nicht voller Angst.
Die meisten der Gemälde zum Thema Apokalypse stellen die Botschaft also auf den Kopf: Bedrohlich, düster und dunkel ist nicht das, was da kommen wird, sondern das, was gerade da ist.
Den Menschen dann auch noch damit Angst einzujagen, dass eine Veränderung dieser Verhältnisse nur Schrecken bringen kann, ist eindeutig ein Instrument der Unterdrückung und ein Missbrauch der Botschaft Jesu. Die einzigen, die ein Interesse daran haben, dass Menschen in Angst und Schrecken weiterleben müssen, sind diejengen, die etwas davon haben. Schade, dass Kirchen und ihre beauftragten Gemälde so oft davon zeugen, dass ihnen daran gelegen ist, Angst vor Veränderungen zu verbreiten.
Bis heute sind christliche Kirchen und Gemeinde nicht unbedingt bekannt dafür, Anstoß für Veränderungen zu sein. Es sind die Frauen der Band „Pussy Riot“, die für ihre Kritik an Putin im Gefängnis sitzen, nicht Kirchenleute. Gerade in solchen Verhältnissen, wo Kritik an den herrschenden Personen oder Verhältnissen hart betraft wird (nicht nur durch Gefängnis, auch durch Todesstrafe, aber z.B. auch durch Ausgrenzung), gerade da ist die Apokalyptik ein wunderbares Mittel subtiler Kritik: Sie greift die Herrschenden nicht an, sie erwähnt sie gar nicht, aber sie macht ganz deutlich, dass es sich nur um einen vorübergehenden Zustand handelt. Manche der Bilder, die wir eben gesehen haben, greifen etwas auf von dieser Lust an Widerstand, von dieser Freude am Hinsehen und Widersprechen, von dem Licht dieser Befreiung.
Hätte statt der Performance von Pussy Riot ein Geistlicher in einer Kirche verkündet: „Kein Stein wird auf dem anderen bleiben“, wäre er kaum dafür belangt worden. Inhaltlich war das mal dasselbe wie die Aktion der Pussy Riots. Es wird viel Arbeit bedeuten, die Botschaft Jesu wieder freizuschaufeln aus dem Schutt von Bedrohung, Angst, Kleinmacherei und Zwang, den Jahrhunderte Machtmissbrauch darüber ausgeschüttet haben.
Wenn (Lebens-)Gebäude einstürzen
Wenn (Lebens-)Gebäude einstürzen: Nicht AUF Sand bauen, aber AUS Sand bauen
Zum Schluss noch ein persönlicher Aspekt: Natürlich kann Veränderung Angst machen. Nicht jede Veränderung in unserem Leben ist von uns freiwillig herbeigeführt oder gar willkommen. Manche Veränderungen brechen über uns herein. Manchmal bleibt ausgerechnet da kein Stein auf dem anderen, wo unsere Gedankengebäude und unsere Werte und unsere Klarheiten und unsere Lebensumstände uns Sicherheit vermittelt haben. Wenn das wegbricht, brechen oft elementare Sicherheiten weg. Plötzlich ist alles offen, fraglich, kompliziert, verwirrend. Deine Bilder und Meinungen und Sicherheiten über Männer, Frauen, Homos, Christen, Nicht-Christen, Bürgerliche funktionieren nicht mehr. Plötzlich ist es nicht mehr so einfach zu sagen, wer die Guten und die Bösen sind. Sogar Gott selbst ist plötzlich nicht mehr nur der Gute (oder der Böse). Jesus ist plötzlich nicht mehr so einfach und eindeutig, wie es dir erzählt worden ist. Vielleicht bricht dein Berufsleben gerade zusammen, oder dein Bild von dir selbst: Du bekommst nicht mehr alles immer hin, du brauchst Hilfe, du bist unsicher, du bist krank an Leib oder Seele. Das Leben, in dem du dich eingerichtet hast, bekommt Risse. Vielleicht erscheint plötzlich ein Licht in deiner Dunkelheit, auch das kann einen Umbruch auslösen. Und klar: Wenn solche Risse entstehen und das dazu führt, dass kein Stein auf dem anderen bleibt, kann das verunsichern, Angst machen, verwirren.
Es gibt zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren:
– Manche fangen an, ihre angebröckelten Mauern mit Zäunen zu stützen. Um die wankende Mauer herum wird ein Stützrahmen errichtet, um das ganze Gebäude wieder zu stabilisieren. Extreme Weltanschauungen rechter und linker Art gehören dazu, auch traditionalistische tendieren dahin. Sie öffnen nichts, sie zementieren und schaffen klare Grenzen von „gut“ und „böse“. Auch Religionen (inklusive der Christlichen) reagieren auf komplexe Fragen oft mit einfachen Antworten. Das kann sich super anfühlen, das kann Halt geben, das kann Sicherheit vermitteln. Ich hoffe, die MCC Köln schafft es weiterhin, dieser Versuchung zu widerstehen.
Die andere Sichtweise ist die:
– OK, kein Stein bleibt auf dem anderen. Was passiert, wenn Steine zerbrechen, zermahlen werden, auseinanderbröseln? Mit der Zeit werden sie zu Sand. Und aus diesem Sand können neue Steine gebaut werden und neue Gebäude. Vielleicht welche mit offenen Türen, vielen Fenstern und Balkonen und ganz viel Raum. Gebäude, die nicht für die Ewigkeit gebaut werden, sondern zu einem ganz konkreten und momentanen Zweck: Gemeinschaft ermöglichen, Leben sichern (durch Schutz und Versorgung)s, mit viel Raum zum Austausch und genügend Winkeln für Privatheit.
Und wenn das Gebäude sich überlebt hat, bricht es weg und etwas Neues wird gebaut. Christentum funktioniert seit Jahrhunderten auch so. Menschen entdecken die Botschaft Jesu immer wieder neu und deuten sie neu für ihre Zeit. „Meine Worte werden nicht vergehen“, sagt Jesus – das ist der Fels, auf dem wir bauen können.
Mögen wir in der MCC Köln einander dabei helfen, nicht AUF Sand zu bauen, sondern AUS Sand zu bauen. Mögen wir einander dabei helfen, die ermutigenden Worte Jesu wahrzunehmen, nicht die entmutigenden Angstmachereien von herrschenden Personen, Verhältnissen oder Religionen. Mögen von der MCC Köln kreative und herzliche Impulse zu wohltuenden und befreienden Veränderungen ausgehen statt zu einer Einengung in falsche (Glaubens-)Gewissheiten. Mögen diese Botschaft uns vor Resignation, faulen Kompromissen und unnötigen Abgrenzungen bewahren – sowohl im Rahmen unserer Gesellschaft als auch in unseren persönlichen Lebenswegen.
Denn letztendlich geht es in der Apokalypse nicht um die Verbreitung von Angst und Schrecken, sondern um einen realen Horizont der Guten Nachricht voller Hoffnung, Trost und Frieden. Mag die Welt in dir drin und um dich herum gerade noch so anders aussehen: Die Zeit für Gerechtigkeit und Heilung wird irgendwann reif sein.