Predigt MCC Köln, 3. Nov. 2013
Ines-Paul Baumann
Lk 17, 5-6
„Von der Kraft des Glaubens“.
„Von der Macht des Glaubens“.
Die Zwischenüberschriften mancher Bibelübersetzungen legen die Schlussfolgerung nahe, dass wir eine Zunahme an „Kraft“ und „Macht“ erleben, wenn unser Glaube zunimmt.
Ihren Alltag und auch manches Gottesdienstgeschehen erleben viele Menschen oft eher so, dass das ihrem Glauben den Stecker zieht. Wir fühlen uns geplagt von Zweifeln, Fragen, Mutlosigkeit, schlechter Stimmung, nervigen Mitmenschen, Müdigkeit, sind abgelenkt von diesem und von jenen…
Und dann suchen wir Stärkung. Wir suchen „ganz besondere“ Gottesdienste auf (hier oder woanders, z.B. mit einer großen Menge Gleichgesinnter und intensiver Stimmung, oder ganz in der Stille, an besonderen Orten, mit „ganz besonderen“ Menschen, …), üben uns in Meditation, wenden uns an spirituelle Meister, oder wir bilden uns mit Büchern und Seminaren weiter in positivem Denken. Mit all dem ist die Hoffnung verbunden, die Kraft und die Macht des Glaubens neu zu spüren: Ja, da passiert was, mit uns, mit unserem Leben. Da stecken Macht und Kraft drin!
Ob für Übergänge oder zum Durchhalten, ob für Abschiede und Neuanfänge oder zum Weitermachen: Wir wünschen uns Kraft und würden gerne die Macht spüren, die wir brauchen, um zu bewältigen, was für uns gerade ansteht.
Vielleicht also sitzen manche von uns heute hier, um aufzutanken, um Fragen zu bewältigen, um sich neu erbauen zu lassen, und dann hören wir von der Schöpfungskraft und Jesus und dem Heiligen Geist und all dem, was das in unserem Leben als Einzelne und als Gemeinschaft bedeuten kann – und angesichts der einen oder anderen Aufgabe kommt uns die Bitte der Menschen von damals nur all zu aktuell vor: „Bitte, Jesus, stärke unseren Glauben!“
Zunächst mal ist bemerkenswert, dass Jesus diese Bitte nicht verurteilt. Er sagt ja nicht: „Ach, ihr Egoisten, wie immer denkt ihr nur an euch und an das, was ihr haben wollt. Ihr verdorbenes Geschlecht wollt natürlich immer nur mehr, mehr, mehr…“ – Alle, die wir hier sind mit der Sehnsucht nach mehr Kraft und Macht des Glaubens, sind wir bei Jesus herzlich willkommen mit unseren Anliegen.
Komm an mit deinem Anliegen an Jesus, nimm dich wahr, nimm deine Anliegen ernst und bringe sie in einer Minute der Stille vor dich und vor Gott – auch das, wovon du vielleicht glaubst, dass es unerfüllbar ist!
[… Minute der Stille …]
Das, was den Menschen in dem Abschnitt bevorstand, den wir gerade aus dem Lukas-Evangelium gehört haben, schien ihnen zu groß zu sein, um es bewältigen zu können. Sie können nicht glauben,
– dass Gott DAS von ihnen will,
– dass Gott ihnen DAS zutraut.
Also lautet ihre Bitte: „Jesus, stärke unseren Glauben. Wir können nicht glauben, dass du das wirklich von uns willst. Wir können nicht glauben, dass du uns das wirklich zutraust. Das haben wir noch nie geschafft. Du kennst doch uns und unser Leben. Warum sollte sich da jemals etwas ändern? Stärke unseren Glauben…!“
Nun könnte Jesus auch antworten: „Oh ja, ihr Kleingläubigen, ich sehe eure Not. Eure Schwachheit. Wie sehr ihr geprägt seid in euren bisherigen Erfahrungen. Du da: Ich weiß, was deine Erziehung aus dir gemacht hat. Oder du da: Ich weiß, wie deine Eltern dich geprägt haben. Und du da hinten: Ich weiß, wie andere über dich denken. Und du hier vorne: Ich weiß, wie viele Enttäuschungen und Niederlagen in dir stecken.
Kein Wunder könnt ihr nur so wenig glauben. Kein Wunder, dass das dann auch alles nichts wird bei euch. Wenn ihr doch nur etwas mehr Glauben hättet. Wenn ihr nur mal wirklich daran glauben würdet, könntet ihr die Welt verändern. Ihr musst nur dran glauben, dann wird das auch was. Denkt positiv. Stellt es euch vor. Malt es euch aus. Und dann glaubt daran. Dann wird es klappen. Hier, ich unterstütze euch und beschenke euch mit mehr Glauben. Dann habt ihr mehr Kraft und spürt die Macht des Glaubens. Und dann könnt ihr anfangen, die Dinge zu ändern.“
Aber genau das sagt Jesus nicht. Jesus sagt stattdessen: „Du hast wenig Glauben? Dein Glaube ist klein wie ein Senfkorn? Unscheinbar? Leicht zu übersehen? Fruchtlos? Eher zum Drauf-herum-Trampeln als eine feste Burg? So klein ist dein Glaube? Beim ersten Windhauch schon wieder beinahe weggeweht? Viel zu klein und unscheinbar gegenüber dem fest verwurzelten Baum deiner Prägungen? Viel zu klein angesichts all der unverrückbaren Tatsachen? Viel zu klein, um gegen all das anzukommen, was fest verwurzelt ist in dir, in deinen Gedanken, in deinem Herzen, in all den Stimmen in dir? Geradezu winzig angesichts all dessen, was sich so tief eingegraben hat in dir und deinem Leben und deiner Gemeinde? Sooo wenig Glauben bringst du mit?
Das reicht! Das ist OK so. Dieser winzige Glauben reicht aus. Das Wenige reicht.“
Jesus dreht hier mal eben die Reihenfolge um. Wir brauchen nicht „mehr“ oder „stärkeren“ Glauben, um ihn anwenden zu können und damit zu erleben, wie kraftvoll Glaube sein kann. Umgekehrt funktioniert es: Wenn wir das Wenige, was wir haben, anwenden, dann erleben wir, wie kraftvoll Glaube sein kann. Es kommt überhaupt nicht auf die Menge unseres Glaubens an, damit der Glaube seine Kraft entfalten kann.
Der Maulbeerbaum, von dem Jesus redet, galt seinerzeit als der am festesten verwurzelte Baum überhaupt. Er war entweder gar nicht oder nur unter größter Mühe auszureißen, wenn er sich erst mal irgendwo eingegraben hatte. Ein solcher Baum war unverrückbar. Aber gegen ein winziges bisschen Glauben war dieser unverrückbare Baum machtlos.
Die anderen Evangelien kennen diese Stelle ebenfalls; allerdings nicht mit einem Maulbeerbaum, sondern mit dem berühmten Berg: „Mit dem winzigen bisschen Glauben, was ihr habt, könnt ihr Berge versetzen!“, wird Jesus dort zitiert.
Nun gibt es in der Bibel keine einzige Stelle, wo Menschen oder Gott einen echten Berg in einer echten Landschaft an eine andere Stelle versetzen, oder einen echten Maulbeerbaum kraft ihres Glaubens ausreißen und ins echte Meer verpflanzen. (Wobei wir ihn schon im Meer versenken müssten, wenn er dort neue Wurzeln fassen soll.)
Es geht Jesus hier offensichtlich nicht um irgendwelche physikalischen Experimente, anhand derer wir uns und anderen die Größe unseres Glaubens beweisen könnten.
Jesus meint hier tatsächlich und ganz konkret alles, was in unserem Leben als unverrückbar gilt. Und wenn es noch so verwurzelt ist: wir können es versenken. Auch wenn wir noch so wenig daran glauben.
Gestern war bei den Vorschlägen zum Tor des Monats eines vom Frauenfußball dabei. Als ich klein war, durfte ich als Mädchen noch nicht mal in einen Fußballverein. Fußball war ein Männersport, das galt als unverrückbare Tatsache. Dass Frauen zu dumm sind zum Autofahren und für ein eigenes Bankkonto oder zum Wählen gehen, galt auch mal als unverrückbare Tatsache. Es ist noch gar nicht so lange her. Aber ein paar haben sich nicht damit abgefunden, und heute sieht die Welt anders aus (in manchen Gegenden zumindest).
1989 fiel die Mauer. Auch die Trennung Deutschlands galt als unverrückbare Tatsache. Aber in Kirchen haben Menschen gebetet (wahrscheinlich haben viele selbst nicht wirklich dran geglaubt, dass das etwas bringt). Heute ist die Mauer ein Abschnitt im Geschichtsunterricht.
Was soll in deinem Leben im Geschichtsbuch landen?
Was soll zueinander finden, wo heute noch Mauern stehen?
Wo möchtest du dich und andere so behandeln, dass eure Würde, euer Wert und eure Freiheit zum Tragen kommen statt Abwertung, Kleinmacherei und Unfreiheit?
Wie viele Menschen in wie vielen Kirchen und Gemeinden graben derzeit an unverrückbaren Tatsachen!
„Frauen dürfen keine Priester sein.“ Selbst innerhalb der römisch-katholischen Kirche ist das längst kein unverrückbarer Berg mehr!
„Homosexuelle können keine Christen sein.“ Selbst innerhalb charismatisch-evangelikal-fundamentalistischer Gemeinden ist das längst kein unverrückbarer Berg mehr!
„Der Islam unterdrückt Frauen und rechtfertigt Gewalt.“ Selbst innerhalb des Islams ist das längst kein unverrückbarer Berg mehr!
Was gilt dir gerade als unverrückbarer Berg? Was ist deine fest verwurzelte Überzeugung? Was könnte da in Bewegung geraten?
Dass aus dem nervigen Menschen neben dir jemals ein Zeitgenosse werden könnte, den du nicht mehr unangenehm findest? Der Glaube daran fällt dir schwer?
Dass dein Bedürfnis nach Anerkennung dem Anerkennen von Bedürfnissen anderer irgendwann nicht mehr im Wege steht? Schwer zu glauben?
Dass die MCC Köln gerade dabei ist, eine tolle und wichtige Jugendarbeit auf die Beine zu stellen? Insgesamt zunimmt an Stabilität und Vielfalt? Und dass DU darin eine wichtige Rolle spielen kannst? Das kannst du kaum glauben?
Dein Glaube muss gar nicht größer sein. Das Wenige reicht.
Dein Glaube musst nicht erst wachsen, um das Unverrückbare in Bewegung zu setzen.
Umgekehrt könnte es aber tatsächlich passieren: Wo das Unverrückbare in Bewegung gerät, könnte dein Glaube wachsen.
Vielleicht können wir die Aussage Jesu sogar auf unseren Glauben selbst anwenden. Wir denken ja oft, „GLAUBE“ hieße genau, am Unverrückbaren festzuhalten. An dem, was wir unverrückbar für wahr erachten. Am Ewigen.
Was ist, wenn Jesus tatsächlich meint, dass wir da im Glauben wachsen, wo Unverrückbares in Bewegung gerät – auch in Bezug auf die Bilder, die wir uns von Gott gemacht haben? Die Bilder, die wir uns von uns von uns selbst gemacht haben? Die Bilder, die wir uns von Gemeinde gemacht haben? Die Bilder, die wir uns von Christsein gemacht haben?
Vielleicht wächst unser Glaube auch in Bezug auf unser Glaubensleben genau da, wo Unverrückbares in Bewegung gerät.
Wo auch immer du hiernach hingehst und was auch immer du machst, wo auch immer du dich hinwendest und wo auch immer du Zeit investierst:
Wenn du im Glauben wachsen möchtest, prüfe, ob dieser Ort und diese Gemeinschaft das vermeintlich Unverrückbare in deinem Leben in Bewegung versetzen.
Wenn du im Glauben wachsen möchtest, prüfe, ob dir dieser Ort und diese Gemeinschaft dabei helfen, das vermeintlich Unverrückbare mit/bei anderen in Bewegung zu versetzen.
Für andere Orte und Gemeinschaften kann ich jetzt nicht sprechen, aber von der MCC Köln kann ich mit Freude feststellen, dass Menschen und Dinge hier in Bewegung sind. So manch ein unverrückbarer Berg ist hier schon versetzt worden. So manch fest Verwurzeltes ist hier schon im Meer versenkt worden. Nicht etwa deswegen, weil wir immer fest daran geglaubt hätten. Aber sehr wohl auch deswegen, weil wir das Wenige, was wir mitbringen, zum Einsatz bringen für die Gemeinschaft mit Gott, mit uns selbst und mit einander. Sei es noch so wenig, sei es noch so winzig. Glaube heißt nicht immer, dem Unverrückbaren Glauben zu schenken!