Predigt MCC Köln, 22. Sept. 2013
Ines-Paul Baumann
Mt 22,1-14 & Lk 14,15-24 „Das Gleichnis vom großen Fest / vom königlichen Hochzeitsmahl“
Am 22. September im Jahre 86 nach Christus kam die Heilige Geist müde und erschöpft von ihrem Arbeitstag nach Hause. Sie hatte vielen Menschen Trost gespendet, sie an die Worte Jesu erinnert und mit der Wahrheit freigesetzt aus allerlei Lügengespinsten über ihr Selbstbild und Gottesbild. Jetzt wollte die Heilige Geist nur noch die Beine hochlegen und ein bisschen entspannen.
Kaum hatte sie die Wohnungstür hinter sich zugezogen, kam Jesus in den Flur getänzelt, in der Hand einen Zauberhut mit einem weißen Tuch. „Na, Ru? Was darf’s denn heute abend sein?“, fragte er und zog an dem Tuch, als wolle er etwas hervorzaubern. „Lust auf ein leckeres Abendmahl? Oder ist dir mehr nach einer Speisung mit den 4000? Oder sollen wir uns bei einem Pharisäer einladen?“
Die Heilige Geist blickte Jesus gespielt böse an und schleppte sich in die Küche, wo sie sich in einen Stuhl fallen ließ. „Fußwaschung wäre mir jetzt am liebsten“, seufzte sie und sah sich um. „Wo ist denn die Schöpferin?“, fragte sie. – „Überall und nirgends, wie immer, und in Ewigkeit, Amen!“ drehte Jesus mit offenen Armen eine Pirouette und zeigte elegant-schwungvoll in den gesamten Raum.
„Sag mal, was bist denn denn so unerträglich gut gelaunt?“, wunderte sich die Heilige Geist über Jesus. Jesus blieb auf dem Weg zu den Waschschüsseln abrupt stehen und sah sie mit großen Augen an: „Ja, weißt du es noch gar nicht?“ Er bog sein Kreuz durch und streckte sich, als wolle er sich wichtig machen. „Sie haben jetzt angefangen, über mich zu schreiben. Evangelien. Mindestens eine Hand voll. Mal sehen, welche am Ende übrig bleiben werden!“
„Schön, dass dich das freut – woanders sorgt es gerade für Empörung und Zwietracht“, entgegnete die Heilige Geist. „Du ahnst ja gar nicht, was da los ist. Gestern rief mich die Bibelausschussvorsitzende an. Sie flehte mich an, für Kraft und Liebe und Beständigkeit zu sorgen. Wegen deiner Evangelien geht es gerade drunter und drüber!“
„Wo ist denn das Problem?“, wunderte sich Jesus und kniete sich vor die Füße seiner Stellvertreterin. „Ist doch toll, dass sie über mich schreiben. Sie halten meine Worte und Taten fest für die Nachwelt, also werden es Worte des Trostes und der Versöhnung und des Friedens sein – das nimmt doch auch dir Arbeit ab, Ru!“
„Im Moment macht es mir eher Arbeit!“, widersprach die Heilige Geist. „Das Problem der Bibelausschussvorsitzenden ist: Zwei von den Evangelien haben wohl dasselbe Gleichnis aufgeschrieben, aber mit ein paar Unterschieden. Jetzt redet Matthäus nicht mehr mit Lukas, und Lukas sagt, mit einem wie Matthäus könne er unmöglich in einer Gemeinde sein!“
„Wieso das denn?“, wunderte sich Jesus. „Um welches Gleichnis geht es denn?“
„Um das Gleichnis vom großen Fest.“, berichtete die Heilige Geist. „Die Fassung von Matthäus endet damit, dass einer der Gäste wieder rausgeworfen wird, weil er keine feierliche Hochzeitskleidung trägt. Lukas findet das unmöglich. Er sagt, du hättest nie Wert auf Kleidung gelegt und dass gerade die Armen und Ausgestoßenen das falsch verstehen könnten. Es würde so klingen, als müssten sie doch wieder irgendwelche Voraussetzungen erfüllen, um eine Berechtigung für das Fest zu haben.“
„Wissen sie denn, dass der Gastgeber das Kleid zur Verfügung stellt?“, erkundigte sich Jesus.
„Welche Rolle spielt das?“, entgegnete die Heilige Geist. „So oder so dürfen sie nicht so da sein, wie sie sind. Als würdest du sie nur ertragen, wenn du ihren eigentlichen, wahren Anblick nicht ertragen musst. Nur aufgehübscht und mit etwas Feierlichem überkleidet sind sie des Festes wert. Deswegen lässt Lukas diesen Teil komplett weg. Da werden alle eingeladen und dürfen mitfeiern, Punkt.“
„Und was sagt Matthäus dazu?“, erkundigte sich Jesus.
„Matthäus findet die schönen Kleider ein tolles Bild dafür, wie deine Liebe die Menschen umfassend einkleidet. Egal, ob die Gäste arm oder reich sind, in den Hochzeitskleidern sehen sie es sich gegenseitig nicht mehr an. Die ganzen Unterschiede, mit denen sie sich sonst immer einteilen und unterschiedlich behandeln – manche werden bevorzugt, andere an den Rand gestellt – diese ganzen Unterschiede trennen sie auf deinem Fest nicht mehr voneinander. Die Menschen sind alle gleich viel von dir geliebt und alle gleich wertvoll in deinen Augen.“
„Das müsste Lukas doch auch gefallen“, meinte Jesus.
„Ja, aber warum fliegt dann der eine wieder raus? Würdest du wirklich jemanden wieder wegschicken? Vorher sagt Matthäus noch, dass auf dem Fest Gute und Schlechte zusammen feiern – nicht nur EIN Schlechter. Müssen jetzt alle anderen auch in der ständigen Angst leben, wieder rausgeschmissen zu werden? In den Ohren von Lukas klingt das so, als könnten sie nie Gewissheit haben.“
„Steht in den Evangelien denn auch, mit wem ich da geredet habe, als ich das Gleichnis erzählt habe?“, fragte Jesus. „Ich glaube, ich war da gerade bei Leuten, die IMMER die Gewissheit hatten, dass sie über Gott und die Menschen verfügen können wie sie wollen. Die sich immer die besten Plätze rausgesucht haben, viel gelten wollten, und dann auch noch anderen verwehrt haben, einen Platz zu haben.“
„Doch, das wird schon deutlich.“, sagte die Heilige Geist. „Deswegen findet Matthäus, dass so ein paar Warnungen ganz angemessen seien. Auf deinem Fest könne ja jetzt nicht alles egal sein. Jeder Mensch sei zwar willkommen, aber nicht jedes Verhalten. Ein paar Dinge seien mit deinem Fest eben NICHT vereinbar. Matthäus meint, das würden die Armen und Ausgestoßenen gerne hören, denn damit würdest du ihnen ja auch Schutz garantieren. Von allem, was sich der Liebe in den Weg stellt und die Gemeinschaft nicht beachtet, würdest du sie in ihrem Umgang und in ihrem Selbst erlösen: dass Menschen verletzt, manipuliert, seelisch oder körperlich missbraucht werden. Geringschätzung von anderen und von sich selbst. Ausbeutung und Unterdrückung. Das hättest du nicht mitgemacht und würdest du nicht mitmachen.“
„Immerhin bin ich genau deswegen hingerichtet worden, weil ich das nicht mitgemacht habe“, stimmte Jesus zu.
„Und dass ein paar Jahrzehnte später der Tempel zerstört wurde, ist ja nun auch Fakt.“, fuhr die Heilige Geist fort. „Matthäus beschwört aus seiner Sicht also nichts herauf, was nicht eh schon geschehen ist. Aber Lukas lässt diesen Strang komplett raus in seiner Fassung. Er findet, das gehört hier nicht rein. Es würde ein falsches Bild von dir zeichnen. Er findet es schlimm genug, dass die Armen und Ausgestoßenen erst dann eingeladen werden, nachdem der König zornig wurde. Als seien sie Eingeladene zweiter Klasse. Hast du die Armen und Ausgestoßenen nur deswegen eingeladen, weil du auf die anderen zornig warst, Jesus?“
„Mensch Ru, du stellst Fragen!“ Jesus blickte von der Waschschüssel auf und erhob sich, um ein Handtuch zu holen. „Ja, natürlich ist es schwer zu ertragen, abgewiesen zu werden. Zu sehen, wie Leute meinen, mit allem durchkommen zu können. Wie ihre Arbeit und ihre Geschäfte sie so in Beschlag nehmen, dass sie es für das Wichtigste auf der Welt halten. Ich finde das immer noch schlimm. Und dann diese Ausreden. ‚Du weißt ja, die Sachzwänge, es geht nicht anders, ich würde ja gerne, aber es geht nun mal nicht‘, dieses ganze Bla-bla-bla. Was ist das für eine Welt?“ Jesus drehte dem Handtuch beim Auswringen beinahe den Hals um. Es schien ihn immer noch sehr mitzunehmen. „Aber habe ich jemals aus Zorn jemanden angegriffen? Habe ich jemals irgendjemanden zu irgendwas gezwungen? Habe ich je taktiert und mich verstellt oder Leuten das Denken verboten? Im Gegenteil! Und wenn sie für sich zu dem Ergebnis kamen, meiner Einladung nicht folgen zu wollen, habe ich sie ziehen lassen. Immer.“
„Das stimmt“, nickte die Heilige Geist. „Du hast ihnen ihre Entscheidung gelassen. Wer nicht dabei sein will, braucht nicht dabei zu sein. Das erwähnt auch Lukas am Schluss: Wer der Einladung nicht folgt, bekommt auch nichts ab von dir. Wobei: so wie er das formuliert, klingt das auch schon wieder wie eine Strafe. Wer nicht rechtzeitig an Bord war, hat leider Pech gehabt. Ein Mal Nein gesagt, Chance vertan.“
„Und das soll besser zu Lukas passen?“, wunderte sich Jesus.
„Das hat sich die Bibelausschussvorsitzende auch gefragt. Sie vermutet, dass Lukas das so formuliert, um Matthäus entgegenzukommen. Als würde er damit die Hand ausstrecken zur Versöhnung. Aber sollen deswegen alle Nachfolgenden denken, dass du tatsächlich so drauf bist?“
„Hm, manche werden das sicher tun“, überlegte Jesus. „Schau doch mal, was seit meiner Auferstehung passiert ist: Der Schwerpunkt in meinem Wirken hat sich nach und nach verschoben von meinem Leben weg hin zu meinem Tod. Als sei einzig mein Tod das Wesentliche gewesen. Anfangs war ganz klar: Durch mein Leben ist die Gemeinschaft von Gott und Menschen möglich. In mir ist Gott zu den Menschen gekommen. Nun heißt es immer mehr: Durch meinen Tod ist die Gemeinschaft von Menschen und Gott möglich geworden. Durch meinen Tod können die Menschen zu Gott kommen. Vielleicht ist das der Grund für den Unterschied zwischen der Fassung bei Matthäus und bei Lukas.“
„Du meinst, bei Lukas haben alle Platz, genau so wie in deinem Wirken zu Lebzeiten, und bei Matthäus hat nur noch Platz, wer den Glauben an deinen Tod und deine Auferstehung als Hochzeitskleid überzieht?“, fasste die Heilige Geist zusammen. „Aber das Hochzeitskleid ist doch etwas, was alle sehen können. Was ein Mensch glaubt, bleibt hingegen unsichtbar.“
„Genau, Ru!“ Jesus wurde ganz lebhaft. „Wie kann sich dann auch nur ein Mensch das Recht nehmen, über den Glauben eines anderen zu urteilen? Sie können sagen: OK, solche und solche Verhaltensweisen wollen wir hier nicht sehen, denn wir gehen hier mit Respekt miteinander um. Aber sie können doch nie nie nie jemanden wegschicken, weil er oder sie ‚falsch‘ glaubt oder ’nicht genug‘ glaubt oder ‚auch zu viel anderes‘ glaubt. Es gibt nur zwei ‚Aufgaben‘ für die Menschen bei meinem Fest. Erstens: Einladen, einladen, einladen. Und zweitens: Selber da sein. Einfach da sein. Da sind sich doch sogar Matthäus und Lukas einig: Einladen, einladen, einladen, und selber dabei sein, Punkt.“
„Ähm“, tastete die Heilige Geist sich vorsichtig vor; sie wollte Jesus nicht schon wieder in Aufruhr versetzen. „Dir ist aber schon klar, dass das da unten oft ganz anders gehandhabt wird? In den Gemeinden da unten sind längst nicht immer alle willkommen. Da feiern längst nicht Gute und Schlechte zusammen dein Mahl. Da legen die Gemeinden sehr wohl darauf Wert, dass nur die ‚Guten‘ unter sich sind. Da werden mancherorts mehr Menschen ausgeladen als eingeladen.“
Unpassenderweise musste die Heilige Geist ausgerechnet jetzt kurz auflachen, denn Jesus rubbelte ihr gerade die Fußsohlen trocken und sie war so kitzelig. Der Ernst des Themas ließ ihr Lachen schnell wieder vergehen und sie fuhr fort:
„Und wenn dann doch mal sichtbar wird, dass in einer Gemeinde wirklich von ALLEN welche dabei sein dürfen, ist das mehr Anlass zur Sorge als zur Freude. ‚Anstrengende Sozialkultur‘ ist dann noch hübsch formuliert. Der Umgang mit allen, die du einlädst, kann aber auch manchmal ganz schön anstrengend sein, Jesus! Und du solltest die Blicke von außen manchmal sehen: ‚Was kommen denn da für Gestalten zusammen?‘. Und dann klingt es so, als seien ‚diese Gestalten‘ der Grund dafür, dass die wichtigen wohlhabenden geschäftstüchtigen Leute nicht dabei sein wollen. Als sei ihnen das nicht zuzumuten. In deinem Gleichnis sagen diese Leute wenigstens vorher ab!“
Jesus ging vom Abtrocknen der Füße dazu über, selbige mit dem mittlerweile warm-feuchten Handtuch leicht durchzukneten. Wohlig seufzend entspannte sich die Heilige Geist und erzählte weiter:
„Aber wie gesagt, das ist nur der eine Vorwurf, dem sich so eine Gemeinde ausgesetzt sieht, in der deine Einladung wirklich allen gilt. Als ‚ungläubiges, beliebiges Allerlei‘ kann das auch schon mal angesehen werden. Ob Maria oder Lobpreis oder Musik oder Raumgestaltung, alles kann da Anlass sein für Entzweiung und Probleme. Genau wie hier mit Matthäus und Lukas: Sie haben widersprüchliche Vorstellungen, sie schreiben unterschiedliche Geschichten, sie deuten deine Taten und Worte unterschiedlich, sie setzen unterschiedliche Schwerpunkte, sie sehen unterschiedliche Gefahren, der eine ‚übertreibt‘, die andere ist ‚verwässert‘ – und schon soll die Bibelausschussvorsitzende für Einheit und Klarheit sorgen. Was soll ich sie lehren, was sie sagen soll?“
Jesus hatte das Handtuch wieder auseinander gerollt und strich es behutsam glatt. „Na, da hilft nur eins, Ru. Wir brauchen beide. Matthäus UND Lukas. Und zwar nicht glattgebügelt und auf Linie gebracht. Sondern mit ihren Unterschieden und Widersprüchen.
Hauche ihnen Gewissheit ein, an ihren jeweiligen Auffassungen festzuhalten.
Säusele ihnen ins Herz, dass der andere auch mit seinen anderen Auffassungen Teil des Festes ist, zu dem sie einladen.
Entfache in ihnen ein Feuer der Begeisterung für die gemeinsame Sache.
Brause sie an mit der Wichtigkeit, die Einladung weiterzutragen in alle hellen und dunklen Winkel ihrer Welt und ihres eigenen Daseins.
Erfülle sie mit der Gewissheit und der Gelassenheit, dass sie selbst und alles andere bei mir in guten Händen sind.
Gieße die Liebe Gottes in ihr Herz, in ihr Dasein, in ihre Wahrnehmung von sich selbst, von einander und von mir.
Und du, Ru, was möchtest du jetzt haben: ein Abendmahl, eine Speisung mit den 4000 oder eine Einladung bei einem Pharisäer?“