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Wo Glaube beugend und entmündigend wirkt, entspricht das nicht Gottes Willen.

Predigt MCC Köln, 8. Sept. 2013
Ines-Paul Baumann

Lk 13,10-17 „Die Heilung einer verkrümmten Frau am Sabbat“

Wenn ihr unser Chaos stört, dann stören wir eure Ordnung“, so lautet ein Motto unter Menschen, die ihre Gemeinschaft gerne anders „ordnen“ und gestalten als es eine öffentliche Ordnung sich manchmal wünscht. Sie wohnen zum Beispiel in Bauwägen oder organisieren Orte „für emanzipatorisches Denken, herrschafts- und gesellschaftskritische Politik, Selbstverwaltung und Subkultur.“ (http://af.autonome-antifa.org/?article124) Aus ihrer Sicht sind große Teile der Ordnungshüter oft eher am Ruhigstellen interessiert ist als daran, dass mensch sich auch mal gegenseitig in Ruhe lassen kann, wenn die Sichtweisen und Lebensweisen nicht zueinander passen.

Oft wird so gepredigt, als sei das auch der Kern des Konflikts in dieser Bibelstelle. Auf der einen Seite werden die strengen, langweiligen, engstirnigen Ordnungshüter gesehen, nur interessiert an Normen und Gewohnheiten, und auf der anderen Seite wird ihnen Jesus gegenübergestellt, der geradezu mit großer Freude an der Provokation diese Normen durchbricht.

Ist der Synagogenvorsteher so einer, der für eine lebensfeindliche Ordnung einsteht, während Jesus die Ruhe stört und sich absichtlich gegen den Synagogenvorsteher stellt? Will Jesus den ganzen jüdischen Vorschriften und Ritualen und alttestamentlichen Gesetzen ein Ende machen? Jesus selbst würde das vehement bestreiten: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.“ (Mt 5,17), sagt er von sich selbst.

Jesus hat nichts gegen die jüdischen (oder andere) Ordnungen an sich. Aber wenn diese Ordnungen sich abfinden und arrangieren mit Machtverhältnissen, die krank machen und Leute beugen, dann fragt er, was wichtiger ist: Die Ordnung an sich, wie sie aus Gewohnheit und unhinterfragt praktiziert wird? Oder ist dann nicht der ursprüngliche SINN der (Sabbat-)Ordnung wichtiger als diese Ordnung an sich?

Der Streit mit dem Synagogenvorsteher ist kein Bruch mit der vorgeschriebenen Sabbatruhe. Die Auseinandersetzung darüber, was mit einer Vorschrift im einzelnen gemeint sei, gehört zur guten Tradition im Judentum. Weder inhaltlich noch von der Methode her ist Jesus hier also anti-jüdisch. Deswegen könnten wir den Synagogenvorsteher auch „Glaubenswächter“ nennen: Es geht hier bei weitem nicht nur um Fragen „jüdischen Glaubens“.

Auch bei uns meinen wir heute oft, es müsse immer einheitlich zugehen. Kirche und Gottesdienste sollen doch Orte des Friedens und der Harmonie sein! Außerdem gibt es schließlich nur die eine Gott, dann kann es doch auch nur die eine richtige Umsetzung ihrer Anliegen geben!

Unser Bedürfnis nach Klarheit und Einigkeit ist aber auch in christlichen Gemeinschaften falsch verstanden, wenn wir uns vor Auseinandersetzungen scheuen, die sich um die Inhalte und die Praxis unseres Glaubens drehen. Jesus und der Synagogenvorsteher gehen hier mit gutem Beispiel voran. Solche Auseinandersetzungen sind wichtig!

JEDE Form von Glaubensverständnis kann sich hochschaukeln zu einem einengenden Regelwerk. Neue Situationen können hingegen auch mal NEUE Auslegungen erfordern und NEUE Handlungsweisen. Etwas, das immer als verboten galt, stellt sich vielleicht plötzlich als gottgewollt heraus.

Die Geschichte von Jesus und dem Glaubenswächter zeigt einfach, dass neue Blickweisen zu neuen Auslegungen führen können. Diese neuen Blickweisen können beispielsweise dadurch entstehen, dass sich die Zeiten ändern, dass sich unser Menschenbild ändert, dass sich unser Gottesbild ändert. All dies verlangt danach, Bestehendes zu hinterfragen und auf seinen Sinn hin abzuklopfen:
– Sind mit diesen Regeln noch die Anliegen Gottes erfüllt? Oder machen sie uns mittlerweile  blind für Gottes Anliegen?
– Gibt diese Gewohnheit noch Raum für Heil? Oder schränkt sie Gottes Heilswirken schon wieder ein?

Es gibt nicht die eine „richtige, gottgewollte“ Deutung und die eine „richtige,  gottgewollte“ Praxis. Jesus lädt nicht nur den Synagogenvorsteher, sondern auch uns heute ein zum Dialog, zur Auseinandersetzung, ja auch mal zum Streiten und Argumentieren. Nicht, weil wir darin Gegner sind – sondern weil wir einander brauchen, um miteinander und aneinander zu wachsen und offen zu bleiben für Gottes Wirken (außerhalb UND innerhalb dessen,was wir als gewohnt und richtig erachten).

Die MCC ist ein guter  Platz für ein solches Miteinander. Viele der Auseinandersetzungen, die wir hier führen, sind genau das: Unser Ringen um die Deutung und Praxis unserer Glaubensinhalte:
Was will Gott?
Wie will Gott das umsetzen?
Welche Regeln sind dafür nützlich, welche sind hinderlich?
Welche Gewohnheiten stützen mich, welche beugen mich?
Welche Form von Ordnung dient tatsächlich einem gesunden und gottgemäßen Ruhen, in dem das Leben gewürdigt wird – und welche Form von Ordnung ist vielleicht ungesund und Teil eines Systems, das dem Leben entgegensteht?

Die Frage, die Jesus gestellt hat in Bezug auf die Regeln, Ordnungen und Gewohnheiten, war also nicht: „Was müssen wir vermeiden, um die Sabbatruhe nicht zu stören?“ Jesus fragte: „Was können wir dazu beitragen, den ursprünglichen Sinn der Sabbatruhe wahrzunehmen?“ Anders gesagt: Gott will uns nicht ruhigstellen. Gott will uns frei machen und Heil(ung) stiften.

Dazu gehört auch, unseren eigenen inneren Glaubenswächter zu würdigen. (Oder unsere innere Glaubenswächterin – vielleicht ist die Stimme, die dich zur Ordnung rufend beugt, ja auch eine weibliche.) Es ist ja bei weitem nicht so, als wäre uns der Synagogenvorsteher so fremd. Man macht ja so manche neue Bekannstschaft in der MCC; und viele haben bei ihrem ersten Besuch in einer MCC mit ihrem eigenen inneren Glaubenswächter Bekanntschaft machen dürfen :) „Wo bin ich hier gelandet? Machen die das alles richtig?“ Die Reaktion auf das, was hier erlebt wird, ist selten die: „Ach, das schau ich mir erst mal an. Mal sehen, ob das gebeugte Menschen befreit und Heilung stiftet.“ Viel lauter ist diese Stimme: „Das ist richtig, das ist falsch, das kenne ich anders, das ist so wie ich es erwarte, …“ Anders gesagt: „Das stört meine Ordnung, das passt zu meiner Ordnung.“ Seid also nett zu den Glaubenswächtern! Nehmt sie wahr, erkennt sie an, und lasst sie mit Jesus ins Gespräch kommen!

Was können wir nun für unseren eigenen Dialog mit unserem Glaubenswächter mitnehmen aus den Begegnungen Jesu mit dem Synagogenvorsteher?
Und was können wir mitnehmen aus der Begegnung Jesu mit der gebeugten Frau für all die Anteile in unserem Glaubensleben, wo auch wir bei uns oder anderen Unfreiheit und Gebeugtsein erleben?

1) Die gebeugte Frau ist willkommen im Hause Gottes.

DASS die Frau da ist, ist wichtig – auch und gerade als GEBEUGTE Frau. Diese Erzählung ermutigt dazu, dass wir uns mit allem, was uns beugt und was das aus uns macht, nicht isolieren. Dass wir rausgehen und die Begegnung suchen mit Menschen und mit Gott.

Manchmal handeln wir genau umgekehrt: „Ich bin heute so niedergeschlagen, da gehe ich besser nicht in den Gottesdienst.“ Manche sind wegen den anderen in Sorge: „Vielleicht breche ich wieder in Tränen aus oder bin nicht in der Lage mit anderen zu reden und störe nur ihre gute Stimmung.“

In manchen Gemeinden empfinden Menschen tatsächlich solchen Druck, sich oder zumindest den Schein aufrecht zu erhalten. „Anscheinend stimmt was mit ihrem Glauben nicht, sonst wäre sie längst gesund. Was will die noch hier, sie gehört nicht zu uns!“

Die Frau hätte auch sagen können: „Ach, Jesus, lass mal. Das war schon immer so in meinem Leben, das wird sich wohl nie mehr ändern.“

Aber Jesus geht auf die gebeugte Frau zu statt sie als Störfaktor zu ignorieren, als Ungläubige zu diffamieren oder als Stimmungskillerin nach Hause zu schicken.

In Begegnungen von Gott und Mensch können wir nie aus der Erfahrung der letzten 18 Jahre auf das schließen, was heute geschehen kann.

2) Die gebeugte Haltung entspringt nicht dem Willen Gottes.

Das Bild der gebeugten Frau ist nicht die gesunde, natürliche Haltung eines Menschen vor Jesus.

Jesus deutet das Gebeugtsein als Fessel Satans, nicht als Willen Gottes. Leider entspricht das nicht immer der Erfahrung, die Menschen in der Geschichte und bis heute mit Kirche gemacht haben. Mit dem, wie die gebeugte Frau das Handeln Jesu erfahren hat, hat das nicht mehr viel zu tun.

Unser Glaube soll uns nicht krankmachen und nicht beugen.
Unser Glaube soll uns nicht entmündigen.

Jesus zeigt das Gegenteil:
– Jesus ergreift die Initiative, die Frau nicht in ihrem Gebeugtsein zu belassen (allein das erfahren Menschen nicht immer in Kirche),
– Jesus berührt sie (wer oder was hat dich zuletzt aufrichtend berührt?)
– aber SIE selber richtet sich daraufhin auf.

Wo Glaube beugend und entmündigend wirkt, entspricht das nicht Gottes Willen.

Viel davon, dass Menschen heute Kirche nicht mehr so wahrnehmen, hat mit einer beugenden und entmündigenden Theologie zu tun:
Gott ist groß – und je kleiner wir sind, desto größer ist Gott.
Gott ist heilig – und je unheiliger wir sind, desto heiliger ist Gott.
Gott ist würdig – also müssen wir ganz unwürdig sein, denn um so würdiger ist Gott.

Große Teile davon drehen sich um Opfer, Strafe und Tod. Der Mensch ist (NUR) schlecht, und Gott ist (NUR) gut. Und weil der Mensch so schlecht ist, ist er der Liebe des guten Gottes nur würdig, weil Jesus am Kreuz für ihn gestorben ist. Nur deswegen kann sich Gott des Menschen annehmen. Nur deswegen können wir Vergebung erfahren. Nur deswegen können wir uns Gottes Kindern nennen. Nur deswegen können wir Heil erfahren.

Jesus zeigt aber Zeit seines Lebens, dass Gott nichts davon braucht, um Freiheit und Heilung zu bringen. Alles, was Jesus in dieser Geschichte der gebeugten Frau tut (und in all den anderen Heilstaten, die uns die Evangelien berichten), tut er VOR seinem Tod. Jesus sagt ja nicht: „Liebe Frau, wenn ich erst mal am Kreuz für dich gestorben bin, dann wirst du frei sein können!“

Oder: „Liebe Leute, euer Vater im Himmel weiß, was ihr bedürft. Deswegen soll ihr nach meiner Hinrichtung so beten: Vater unser im Himmel… Erinnert euch daran, wenn ich am Kreuz dafür gestorben bin, und legt dann mit diesem Gebet los.“

Oder sagte Jesus zu dem Gelähmten: „Lieber Gelähmter, warte noch ein bisschen, halte noch ein bisschen durch. Es dauert nicht mehr lange, dann werde ich am Kreuz für dich gestorben sein, und dann wird dir Gott deine Sünden vergeben können. Und dann steh auf, nimm dein Nett und geh umher.“

Heilung, Vergebung, Gotteskindschaft: All das hat Jesus gepredigt und gewirkt VOR seinem Tod.

Wenn wir also den Tod Jesu heute so predigen, dass Menschen davon gebeugt werden anstatt dass es sie aufrichtet – dann müssen wir uns fragen, ob wir damit im Namen Jesu predigen.

Vielleicht schreit jetzt der eine oder andere innere Glaubenswächter auf: „Aber das ist doch ganz falsch, so geht das nicht, das brauchen wir, es geht NUR SO und nicht anders…“ Kommen wir also zurück zu Jesu Eingangsfrage: Was ist wichtiger? Die Ordnung oder das Heil?

Das gilt freilich auch umgekehrt. Auch im Tod Jesu am Kreuz kann für Menschen das Entscheidende liegen, das sie aufrichtet. Was hätte das Recht, gegen eine Deutung von Jesu Lebensweg zu predigen, in der Menschen Heil erfahren? Vielleicht sagt ja auch hier die eine oder andere innere Glaubenswächterin: „Oh oh, so eine Theologie darf man doch nicht mehr vertreten, das geht doch nicht!“ Aber auch hier stellt sich genau die gleiche Frage wie eben: Was ist wichtiger? Die Ordnung oder das Heil?

Wir sollten überhaupt alles, was wir hier tun, darauf hin prüfen (unsere Gebetshaltung, unsere Liedtexte, unsere Lesungen, …): Beugt es uns oder richtet es uns auf? Dient es dem Heil oder belässt es uns in Unfreiheit?

Welche Haltung nehmen wir ein in der Begegnung mit Jesus?
Richten wir Gebeugte auf zum Heil oder beugen wir uns Ordnungen zum Unheil?

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Jesus,
hab Dank für alles, womit du mich berührst und mich erfahren lässt, dass ich nicht gebeugt durchs Leben gehen muss. Danke für alles, wodurch du mir hilfst, mich aufzurichten und aufrecht zu leben:
(…)
Hab Dank dafür, dass du gekommen bist, um uns frei zu machen und Heil zu bringen.

Jesus, es gibt aber auch diese Dinge, von denen mein/e innere/r Glaubenswächter/in irritiert ist:
(…)
Ich möchte mich mit dir darüber austauschen. Bitte lass mich erfahren, ob und wie ich damit umgehen soll.

Segne diese Gemeinde und alle Gemeinschaften, in denen wir den Austausch mit dir und untereinander einüben können.

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