Impuls MCC Köln, Ines-Paul Baumann
10. Nov. 2024
Fast scheint es, als würde sich das Markusevangelium direkt auf Entwicklungen in den USA beziehen: In die Irre führen, Drohungen, Gewalt, Entzweiung selbst inmitten durch Familien…
Strategien der Gewalt ähneln sich.
Wozu lädt dein Glaube ein im Umgang damit?
Letzte Woche hat Donald Trump die Wahlen in den USA gewonnen. Manche queere Menschen überlegen nun, aus den USA wegzuziehen. Vor kurzem stand in Frankreich im Raum, dass Marine LePen die Wahl gewinnt. Auch da überlegten manche queere Menschen, in diesem Falle das Land zu verlassen.
Dass queere Menschen aus den USA und aus Frankreich das Land verlassen müssen, weil ihnen staatlich gedeckt Verfolgung und Gewalt drohen, ist eine neue Entwicklung. Andere Länder geben schon länger Anlass dazu, dass queere Menschen das Land verlassen, um Schutz zu suchen.
Daneben gibt es diejenigen, die den Gefahren trotzen wollen und sagen: „Jetzt erst recht!“: Menschen, die standhalten möchten, um vor Ort Zeichen zu setzen und Veränderungen in Gang zu bringen.
Manchmal gelingt es, auch innerhalb schwieriger Umstände schützende Orte aufzubauen; dies gilt auch für Länder, in denen es vielleicht offiziell keine Verfolgung queerer Menschen mehr gibt, in denen queere Menschen aber trotzdem verbaler, struktureller und persönlicher Gewalt ausgesetzt sind. Auch in Köln suchen queere Menschen gerne Ort auf, an denen sie sich sicher fühlen können.
Flucht, Standhalten und sichere Orte – drei unterschiedliche Strategien, und alle drei haben ihre Berechtigung (und alle drei können wir als „biblisch“ betrachten; dazu gleich mehr).
Diese drei Strategien können auch wegen anderer Themen oder wegen anderer Bezüge zur Anwendung kommen. Es gibt vielerlei Situationen, in denen wir uns verunsichert, angegriffen und bedroht fühlen können. Familienfeiern, Ämter, Arbeitsplatz, Szene, Bahnfahren, … Wo fühlst du dich verletzbar? Und wie schützt du dich?
Ich möchte euch heute dazu einladen, euren Umgang mit unsicheren und verunsichernden Situationen mal bewusst zusammenzudenken mit eurem Glauben oder eurer Weltanschauung:
Gibt es in deinem Glauben Grundsätze, die dir dabei helfen, dich und andere zu schützen?
Gibt es in deinem Glauben Tendenzen, die dich davon abhalten, dich und andere zu schützen?
Zum Einstieg hören wir dazu eine Lesung aus dem Markusevangelium. Kontext ist hier die Bedrohung durch das Römische Reich. Im Jahre 70 nach Christus kommt es zum sogenannten „Jüdischen Krieg“, in dem der Tempel in Jerusalem erobert und niedergebrannt wird. Schon vorher deutete sich an: Der Tempel ist NICHT mehr der Ort des Schutzes (für Menschen, die sich Jesus angeschlossen hatten). Lange war das anders: Gerade der Tempel galt lange als Ort des Schutzes (nachzulesen z. B. in Psalm 11).
Ich finde diesen Aspekt heute doppelt spannend: Gerade der Glaube ist ja für viele ein Ort der Gewissheiten und des Schutzes.
Was passiert, wenn sich ausgerechnet im Glauben Einflüsse zeigen, die krank machen, verletzen, gewaltvoll sind?
Was passiert, wenn im Glauben kein Stein mehr auf dem anderen bleibt?
Bei den Wahlen in den USA kamen zwei Sachen zusammen, die sich auch an anderen Orten zusammenfinden: Von der einen Seite kommt ein Weltbild, in dem Menschen unterschiedlich wertvoll sind. Mit dieser Grundlage ist die Tür auf für Abwertungen auf vielerlei Ebenen: wegen des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, des Aussehens, der Leistungsfähigkeit, etc… Ausgerechnet das wird dann von der anderen Seite unterstützt von einer „christlichen Rechten“, die solche Abwertungen auch noch als „gottgewollt“ rechtfertigt.
Als christliche Kirche für/mit Vielfalt steht die MCC also in einer doppelten Verantwortung:
Erstens, wie kommen wir unserer Verantwortung nach für/als Menschen, die von solchen Abwertungen betroffen sind?
Und zweitens, wie kommen wir unserer Verantwortung für/als christliche Glaubensräume nach?
Der folgende Markustext ist auch ein gutes Beispiel dafür, biblische Texte nicht immer eins zu eins wörtlich zu nehmen. Eine Möglichkeit des Zugangs ist der Kontext der Zerstörung des Tempels. Markus möchte hier ganz offenbar dazu einladen, nicht immer den Helden zu spielen und jedwedes Leiden selbst auf sich zu nehmen (wie Paulus z. B. in Kolosser 1,24). Wohin also, wenn der bisherige Schutzort sich als Ort der Gewalt erweist? Vielleicht eben manchmal erstmal raus.
Was Markus hier für Menschen beschreibt, die sich Jesus angeschlossen haben, erfahren andere vielleicht aus anderen Gründen, z.B. weil sie queer, weiblich gelesen, BiPOC oder leistungsbegrenzt sind:
1 Und als er aus dem Tempel hinausgeht, sagt einer seiner Jünger zu ihm: Meister, schau, was für Steine und was für Bauten! 2 Und Jesus sagte zu ihm: Siehst du diese grossen Bauten? Hier wird kein Stein auf dem andern bleiben, jeder wird herausgebrochen.
3 Und als er auf dem Ölberg sass, dem Tempel gegenüber, fragten ihn Petrus und Jakobus und Johannes und Andreas, als sie unter sich waren:
4 Sag uns: Wann wird das sein, und was für ein Zeichen zeigt an, wann es mit dem allem ein Ende haben wird?[1]
5 Jesus aber begann ihnen zu sagen: Gebt acht, dass niemand euch in die Irre führt!
6 Viele werden kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin es, und sie werden viele in die Irre führen.
(…)
9 Ihr aber, gebt acht auf euch! Man wird euch an Gerichte ausliefern, in Synagogen wird man euch prügeln, vor Statthalter und Könige wird man euch stellen um meinetwillen – um Zeugnis abzulegen vor ihnen.
(…)
12 Und es wird ein Bruder den andern dem Tod ausliefern und ein Vater das Kind, und Kinder werden gegen die Eltern auftreten und sie in den Tod schicken. 13 Und ihr werdet gehasst werden von allen um meines Namens willen. Wer aber standhält bis ans Ende, der wird gerettet werden. 14 Wenn ihr aber den Greuel der Verwüstung stehen seht, wo er nicht stehen darf – wer es liest, merke auf! -, dann sollen die in Judäa in die Berge fliehen.aus: Markusevangelium 13,1-18
Zürcher Bibel
Gibt es in deinem Glauben Grundsätze, die dir dabei helfen, dich und andere zu schützen?
Gibt es in deinem Glauben Tendenzen, die dich davon abhalten, dich und andere zu schützen?
Literatur:
Danke für Anregungen und zum Vertiefen, insbesondere zu Mk 13,1-18:
Andreas Bedenbender: „Das Markusevangelium und der Jüdische Krieg“