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Körperliche Utopien, utopische Körper #IntersexAwarenessDay

Impuls MCC Köln, Ines-Paul Baumann
27. Okt. 2024

An was denkst du, wenn du an „unansehnliche“ und „erneuerte“ Körper denkst? Wie geht es dir mit dem folgenden Textausschnitt, in dem Paulus von „irdischen“ und „himmlischen“ Körpern schreibt? Was für Vorstellungen, Gefühle und Impulse tauchen bei dir auf?

Es könnte gefragt werden: Wie werden die Toten °aufstehen? Mit was für einem °Körper werden sie kommen? Das sind unverständige Fragen. Wenn du ein Samenkorn säst, wird es nicht lebendig, wenn es nicht erst gestorben ist. Und was du säst, ist nicht das Lebewesen, das erst entstehen wird, sondern ein nacktes Korn, ob nun von Weizen oder etwas anderem. Gott gibt die °Körper in göttlicher Weisheit und einem jeden einzelnen Samenkorn einen besonderen Körper. Nicht jedes Lebewesen hat den gleichen °Leib. Der Leib der Menschen unterscheidet sich von dem der Haustiere. Wieder anders ist der Leib der Vögel und anders der Leib der Fische. Es gibt °Himmelskörper und Körper auf der Erde. Doch die Himmelskörper unterscheiden sich im °Glanz von den Körpern auf der Erde. Der °Glanz der Sonne unterscheidet sich vom Glanz des Mondes, und wieder anders leuchten die Sterne. Sogar ein Stern unterscheidet sich in seinem °Licht von anderen.
Entsprechend verhält es sich mit der Auferstehung der Toten. Der menschliche Körper ist wie ein Samenkorn, das in die Erde gelegt wird. Erst ist er vergänglich, aber wenn er dann auferweckt wird, ist er unvergänglich. Erst ist er unansehnlich, dann aber erfüllt von Gottes Herrlichkeit. Erst ist er schwach, dann voller Kraft. In die Erde gelegt wird ein irdischer Körper. Auferweckt wird ein Körper, der durch Gottes Geist erneuert ist. Genauso, wie es einen irdischen Körper gibt, gibt es auch einen durch Gottes Geist erneuerten Körper. (…)
Und wie wir das Wesen des Erdenmenschen verkörpern, so lasst uns auch das Wesen des Gottgesandten verkörpern.

1. Korintherbrief 15,35-44.49 (Bibel in gerechter Sprache & Neue Genfer Übersetzung)

Anlass für den heutigen Impuls ist der jährliche Intersex Awareness Day am 26. Oktober. Viele intergeschlechtliche Menschen mussten die Erfahrung machen, dass ihre Körper zurechtgebracht wurden in ein binäres Schema von Geschlechtskörpern – ohne ihr Einverständnis, ohne ihr Wissen, ohne medizinische Notwendigkeit. Es wurde einfach angenommen: Unauffällig, normgerecht und erwartungskonform auszusehen sei wesentlich für das menschliche Wohlbefinden. Das Gegenteil ist eingetreten: Gerade an diesen körperlichen Eingriffen (Übergriffen!), die ohne ihre Willensbekundung erfolgten, haben inter* Menschen oft schwer zu tragen.

Hier stellt sich schon eine erste „Glaubensfrage“: Was glaubst du, inwieweit Unauffälligkeit und Erwartungskonformität dazu beitragen, ein gutes Leben zu führen? Und sollte das so sein oder nicht? Und weiter: Wie verbindet sich deine Meinung und Erfahrung mit deinem Glauben? Was wird durch deinen Glauben gestärkt, infrage gestellt, überwunden?

Besonders spannend wird die Frage nach „passenden“, „angemessenen“ oder anzustrebenden Körperlichkeiten vor der Glaubensfrage der Auferstehung.
Auferstehung ist für Paulus nicht dasselbe wie ewiges Leben. Für Paulus ist der christliche Glaube fest mit der Vorstellung verbunden, dass der Körper nicht einfach nur eine Hülle für die Seele ist, der nach dem Tod verwest und die Seele befreit in die Ewigkeit entlässt. Körperlichkeit spielt für Paulus auch nach dem Tod eine Rolle – wenn auch in anderem Sinne als unsere irdische Körperlichkeit.
Die spannende Frage ist jetzt nicht: Stimmt das oder nicht?
Sondern die Frage ist: Was sagt ein Glaube über Körperlichkeiten NACH dem Tod aus über unsere Bezüge zu Körpern VOR dem Tod? Was sagen unsere Utopien über ein ewiges Leben über unsere Maßstäbe für das Leben vor dem Tod? An unseren Maßstäben für „ideale“ Körper im Himmel zeigen sich unsere (bewussten oder unbewussten) Maßstäbe und Normen für „ideale“ Körper auf Erden.

Zum Beispiel ließe sich glauben: „Im Himmel ist Sarah nicht mehr taub.“ Es ließe sich aber auch glauben: „Im Himmel kann Jesus Gebärdensprache!“ (s. Hannah Lewis: „Deaf Liberation Theology“ 2007)

Es gibt unzählige Bilder des auferstandenen Jesus, die ihn mit den Wundmalen seiner Kreuzigung zeigen. Hier zeichnet sich der „himmlische“ Körper offenbar nicht vorrangig dadurch aus, dass alle Verletzungen ungeschehen gemacht sind. In der Gegenwart G*ttes ist irdisches Geschehen, das in unsere Körper eingeschrieben ist, nicht einfach weg.

Trotzdem spricht Paulus von „erneuerten“ Körperlichkeiten, für die der irdische Körper wie ein Samenkorn war. Die Frage ist dann: Welcher irdische Körper? Der vor oder nach einer Veränderung z.B. durch OP, Unfall, Verletzung, Alterung, Botoxspritze, Penisverlängerung, Brustkrebs, Fatigue, Piercing?

Sind operierte Körper im Himmel wieder „zurückgespult“? Für manche inter* Menschen wird allein diese Frage ein ganz anderes Gefühl hervorrufen als für manche trans* Person, deren Körper selbstbestimmt eben genau dadurch in Erscheinung treten konnte, DASS dieser Körper nun auch OP-Narben mit sich trägt.

Wie geht es dir mit deinem Körper und mit Erwartungen an Körper?
Und auch hier wieder: Wie verbindet sich das mit deinem Glauben? Was wird durch deinen Glauben verstärkt? Wo fühlst du dich durch deinen Glauben gestärkt?

Nimm einfach mal wahr, was dazu in dir auftaucht. Und dann probier mal, das bewusst mit deinem Glauben, deiner Spiritualität, dem Leben und Wirken Jesu in Verbindung zu setzen. Was verändert sich dadurch, was gerät in Bewegung, was verfestigt sich?

PS:
Eigentlich „utopisch“ (im Sinne von „nicht real“) ist freilich der Glaube (!), es gäbe DEN männlichen Körper und DEN weiblichen Körper. DAS ist wirklich fernab jeglicher Realität.

Lesetipp und Danke für die Anregungen:
„Sex and Uncertainty in the Body of Christ – Intersex Conditions and Christian Theology“ von Susannah Cornwall, 2014, S. 182ff

 

 

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