Impuls MCC Köln, Ines-Paul Baumann
13. Okt. 2024
Vorgestern (am 11. Oktober) war der internationale Coming-out-Tag („Coming Out Day“).
Auch im Jahre 2024 gibt es in unserer Gesellschaft die grundsätzliche Erwartung, dass alle Menschen heterosexuell und cisgeschlechtlich sind. Diejenigen, auf die das zutrifft, müssen sich nicht erklären, nicht reflektieren, nicht rechtfertigen, ja nicht mal so benennen.
Homofeindlichkeit und Transfeindlichkeit zeigen sich in den letzten Jahren wieder zunehmend lauter und aggressiver. Unter LSBTIQ*-Jugendlichen sind depressive Verstimmungen, Angstzustände, selbstverletzendes Verhalten und suizidale Gedanken dementsprechend weit verbreitet. (https://www.coming-out-day.de/fakten/)
Fragen wie „wer bin ich?“, „was denken andere, wer ich bin?“ und „was halten andere von mir?“ können zentral werden.
Jesus hat auch schon solche Fragen gestellt:
27 Und Jesus und seine Jünger gingen hinaus in die Dörfer von Cäsarea Philippi. Und auf dem Weg fragte er seine Jünger und sprach zu ihnen: Was sagen die Menschen, wer ich bin? 28 Sie aber antworteten ihm und sagten: Johannes der Täufer; und andere: Elia; andere aber: einer der Propheten. 29 Und er fragte sie: Ihr aber, was sagt ihr, wer ich bin? Petrus antwortet und spricht zu ihm: Du bist der Christus. 30 Und er redete ihnen ernstlich zu, dass sie mit niemandem über ihn reden sollten.
Markusevangelium 8, 27-30 (Elberfelder Bibel)
Die Antworten zeigen, dass sich die Menschen zu Jesu Lebzeiten keineswegs einig darüber waren, wer Jesus ist. Vielleicht liegt das daran, dass sie Jesus von unterschiedlichen Seiten kennengelernt hatten. Und dass sie Unterschiedliches in ihm sehen und wiedererkennen wollten, je nach ihrer eigenen Lebenssituation.
Jesu Umgang mit den Erwartungen seiner Mitmenschen zeigt, dass auch Jesus sehr genau abwog, wem er was von sich zeigen wollte. Seinem Jüngerkreis schärft er sogar ein, dass sie nicht einfach überall herumerzählen sollen, wer er in Wirklichkeit ist. Die Parallele dazu am Coming-Out-Day wäre natürlich, dass es keine Zwangsouting geben darf und dass andere ihr Wissen über mich nur mit meinem Einverständnis weitergeben dürfen.
Das Problem Jesu war freilich nicht, dass er sich als LGBTIAQ*-Mensch geoutet hätte. (Wobei: Wer weiß, wo Jesus sich zugehörig gefühlt hätte, wenn es diese Konzepte und Begriffe zu seiner Zeit schon gegeben hätte. Wir wissen es einfach nicht.) Jesu handfestes Problem war, dass ihm klar war: Ich passe nicht in die Welt um mich herum – nicht in die Machtstrukturen, nicht in die Halbwahrheiten, nicht in die Taktierereien, nicht in die Rücksichtslosigkeiten, nicht in das Streben nach materiellem Reichtum, nicht in die religiösen Hierarchien, nicht in die gesellschaftlichen Erwartungen. Sich ihnen anzupassen, war für Jesus keine Option. Also tat Jesus zweierlei: Er stand zu sich und zu seiner Berufung UND er wog ab, wem er wann wieviel von sich zeigte.
Ich glaube, dass auch heute nicht alles von dem stimmt, was Menschen sagen, wer Jesus sei. Aber je nachdem, mit welchen Erfahrungen wir auf Jesus schauen, wird Jesus auch heute unterschiedlichen Leuten unterschiedliche Seiten von sich zeigen können. Und umgekehrt haben Seiten von uns bei Jesus Raum, die andere so vielleicht auch (noch) nicht von uns kennen.