Impuls MCC Köln, Ines-Paul Baumann
1. Oktober 2023
Lukasevangelium 12,15-22
Meine These zu diesem Gleichnis ist:
Die Stimme Gottes ist hier die Stimme, die aus gesellschaftlich anerkannten, nicht hinterfragten Prinzipien herausführt und neue Perspektiven eröffnet (auch wenn sonst keine Stimme durchdringt und der Nachdenkende nicht mal danach fragt!).
Die Stimme Gottes ermöglicht einen neuen Blick (die Enge des bisherigen Blicks zeigt sich bis hierhin nicht mal; ebenso wenig wie der Nachdenkende sieht, was er bereits hat*)).
Die Stimme Gottes mündet in einer neuen Frage:
15Darauf sagte [Jesus] zu ihnen: »Seht zu und hütet euch vor aller Habgier. Denn ihr lebt nicht davon, dass ihr viele Güter besitzt.« 16Er gab ihnen einen Vergleich: »Das Land eines reichen Mannes hatte gut getragen. 17Und er dachte bei sich: ›Was soll ich machen? Ich habe nichts, wo ich meine Früchte anhäufen könnte.‹ 18Und er sagte: ›Ich will es so machen: Ich werde meine Scheunen abbrechen und größere bauen und dort all mein Getreide und meine Güter anhäufen. 19Und dann werde ich zu °mir sagen können: °Mensch, du hast viele Güter daliegen; auf viele Jahre hin. Ruh dich aus, iss, trink und sei fröhlich!‹ 20Gott aber sagte zu ihm: ›Du Narr, in dieser Nacht verlangen sie dein °Leben von dir. Und wem wird dann das gehören, was du bereitgelegt hast?‹ 21So frage ich dich, ist, wer Schätze für sich anhäuft, auch reich im Hinblick auf Gott?«
22Er sprach zu seinen °Jüngerinnen und Jüngern: »Deshalb sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer °Leben, was ihr essen oder womit ihr euch bekleiden werdet.Lukasevangelium 12,15-22
https://www.bibel-in-gerechter-sprache.de/die-bibel/bigs-online/?Lk/12/15-22/
Ein paar Anmerkungen zum Text, die mich zu meiner These bringen:
- Die Formulierung „verlangen sie“ in Vers 20 ist grammatikalisch offen. Der Satz kann auch so verstanden werden, dass hier die Güter gemeint sind, die der Nachdenkende anhäufen will. **)
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Gottes Stimme verkündet hier kein Todesurteil und vollzieht es auch nicht, sondern macht den Nachdenkenden darauf aufmerksam, dass es auch anders kommen könnte. Genau damit leitet sie einen Perspektivwechsel ein. - Der innere Handlungsmaßstab in Vers 19 („Ruh dich aus, iss, trink und sei fröhlich!“) ist ein Echo einer Bibelstelle (Prediger/Kohelet 2,24).
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Manchmal reichen ein paar Worte, die in uns hängengeblieben sind, um auf Dauer unsere Entscheidungen zu beeinflussen (oder auch um von da ausgehend an weitere Aspekte anzuknüpfen). Hier sind es Bibelworte, aber es können auch andere Glaubenssätze sein, mit denen wir aufgewachsen sind (Sprichwörter, Bemerkungen Erwachsener, …). - Die hier beschriebene Art von Arbeit und Einkommen (also die gesamte Situation, auf die der hier Nachdenkende seine Absicherung aufbaut) war damals hoch angesehen, auch ethisch. Allerdings wäre der Besitz von so viel Land auch damals nicht möglich gewesen, ohne dass das auf Kosten anderer gegangen sein muss. Die damit einhergehende Frage nach der Unbegrenztheit von Ressourcen bleibt als Frage allerdings auch hier unausgesprochen. ***)
- Auf wessen Kosten Vermögen entstanden ist (und dass es überhaupt auf Kosten anderer entstanden ist), spielt auch heute in manchen Diskussionen gar keine Rolle. Besonders deutlich wird das zum Beispiel in der Annahme, dass ein Zuwachs an Vermögen der Gesamtheit einer Gesellschaft hilft. Von dem gesamten Vermögenszuwachs seit 2019 in der BRD sind allerdings 80% davon bei gerade mal 1% der Bevölkerung gelandet. ****)
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Aktuelle Debatten um Degrowth, Postwachstum etc. nehmen in den Blick, was heute genau so aus dem Blick gerät wie im Dialog innerhalb und mit der der heutigen Bibelstelle. - Wird Glaube hier tatsächlich ganz konkret in seiner Frage zum Umgang mit Ein- und Auskommen? Oder ist das „Gleichnis“ nur „bildlich“ und „beispielhaft“ zu verstehen? Nach dem Motto: „Wichtig ist halt, nicht nur an sich zu denken, sondern den Reichtum mit anderen zu teilen, dann ist schon alles in Ordnung – wer soll sich denn sonst um die Armen kümmern, wenn wir nicht Reichtümer aufrechterhalten, aus denen wir schöpfen können!“?
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Auch Kirche ist oft reich und rechtfertigt das mit ihrem Dienst FÜR diejenigen am Rand. MCC ist da oft anders aufgestellt; in vielem finden wir uns dann doch oft eher ALS Kirche am Rand. - War/ist das eigene Auskommen und materielle Überleben nicht auch sonst oft eine sehr grundlegende Motivation für Entscheidungen? Zum Beispiel auch für manches Beziehungsleben, z.B. wenn Menschen heiraten, um damit „ausgesorgt“ zu haben?
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Welche Zugänge zu Ein- und Auskommen gibt es und sind zugänglich, welche bestehenden Quellen werden mit genutzt (Arbeitsstellen, Ehegattensplitting, unbezahlte Fürsorgearbeit für materielle Absicherung, Einsatz körperlicher/sozialer Vorzüge, …)? Welche Alternativen werden ausprobiert? Wie läuft das in queeren Strukturen?
- Auf wessen Kosten Vermögen entstanden ist (und dass es überhaupt auf Kosten anderer entstanden ist), spielt auch heute in manchen Diskussionen gar keine Rolle. Besonders deutlich wird das zum Beispiel in der Annahme, dass ein Zuwachs an Vermögen der Gesamtheit einer Gesellschaft hilft. Von dem gesamten Vermögenszuwachs seit 2019 in der BRD sind allerdings 80% davon bei gerade mal 1% der Bevölkerung gelandet. ****)
Den Kontrast zu den hier dargelegten Denkstrukturen bieten die nachfolgende Verse. Spätestens sie zeigen, wie die hier gezeigte Sorge um sich selbst die dort entfaltete (Für-)Sorge MITeinander unmöglich macht.
Ziel der Erzählung ist also eben nicht Teilhabe an dem Modell, das in der Erzählung geschildert wird.
Es geht hier eben nicht um eine politisch-gesellschaftliche Gleichstellung in Form von Mitmachen und Partizipation. *****)
Stattdessen ist Glaube hier eine Ressource für einen anderen Blick auf die Fragen und die Mittel, wie für Lebensgrundlagen gesorgt werden kann.
Welche Perspektiven werden dir in deinem Leben eröffnet durch deine Glaubenssätze und deinem Glauben:
- Wie beeinflusst deine Glaube dein Nachdenken über dein Ein- und dein Auskommen?
- Zwischen Selbstsorge, Fürsorge und Sorgen: Hilft dir dein Glaube, eine Balance zu finden im Sinne des Doppelgebots der Liebe, hier also im Sinne von „Sorge dich um deinen Nächsten wie um dich selbst“? Damit das in Balance ist, auf welcher Seite der Waage könntest du etwas nachlegen oder etwas nachlassen?
- Inwiefern können unsere Lebensentwürfe (als Einzelne, als MCC, in unseren persönlichen Zusammenhängen) als Stimme, Impuls und Anregung dienen für Umgangsmöglichkeiten mit Ein- und Auskommen, in denen ein Mit- und Füreinander im Mittelpunkt der Möglichkeiten steht?
*) zu Vers 17: „Gott ist anders: Gleichnisse neu gelesen auf der Basis der Auslegung von Luise Schottroff“, Gütersloher Verlagshaus, Seite 270
**) Amy-Jill Levine und Marc Z. Brettler: „The Jewish Annotated New Testament“, Oxford 2011, Seite 128
***) „Gott ist anders: Gleichnisse neu gelesen auf der Basis der Auslegung von Luise Schottroff“, Gütersloher Verlagshaus, Seite 262-272
****) https://taz.de/Wachstumskritisches-Denken/!5960802&s=degrowth/
*****) Diesem Modell wird das Ende angesagt; s.: „Gott ist anders: Gleichnisse neu gelesen auf der Basis der Auslegung von Luise Schottroff“, Gütersloher Verlagshaus, Seite 270