Gedanken, 26. Februar 2023
Ines-Paul Baumann
Markus 8,31-34
Zum Ende der Woche für die Sichtbarmachung des aromantischen Spektrums *) wollte ich eigentlich ein paar Aspekte aus der Welt aromantischer Empfindungen aufgreifen. Was für Perspektiven ergeben sich daraus für das Reden von der Liebe Gottes? Welche Vorstellungen von Intimität, Exklusivität und Beziehung fließen vielleicht auch ein in Bibelauslegungen und in unsere Vorstellungen von G*tt und von Glaubensformen? **) Und was für Erfahrungen und Zugänge werden dadurch vielleicht erschwert, abgewertet, verunmöglicht?
Dann habe ich die für den heutigen Sonntag vorgeschlagenen liturgischen Texte gelesen und fand mich in einer ganz anderen Gefühlswelt wieder. Dauernd geht es um Satan. Satan hier, Satan da. Keiner der Texte bot sich an zum unkomplizierten erbaulichen Vorlesen; ich wollte am liebsten alle nur weglassen und ignorieren.
Aber war ich genau damit nicht wieder direkt beim Thema? Hänge ich mit dem Ausschluss dieser Texte nicht auch schon wieder einer romantisch-verklärten „Hollywood“-Sehnsucht an? Dass in der Gemeinde bzw. in einer Andacht alles schön, anziehend und attraktiv sein soll? Dass es mich gefühlsmäßig ergreifen soll, weil vor allem gefühlsmäßige Ergriffenheit den Wunsch nach mehr Nähe und Zeit miteinander erzeugt?
Weiß ich nicht selber, wie sehr Gemeinde- und Glaubenserfahrungen gerade nicht immer schön, anziehend und attraktiv sind?
Und führen nicht genau diese Erfahrungen immer wieder zu Distanz, Fragen, Unverständnis, Stress und Streit?
Und sind es nicht genau diese Erfahrungen von Distanz, Fragen, Unverständnis, Stress und Streit, die genau in den Bibelstellen verhandelt werden, in denen sich Satan als gedankliche und strukturelle Figur entfaltet?
Wenigstens stehen dem Auftreten Satans in den Bibelstellen stets Gotteserfahrungen voran. Satan kommt immer nur hinzu; den Anfang und den Boden der Entwicklungen bereitet immer G*tt:
1) Satan hat weder das erste noch das letzte Wort.
2) Ich habe oft davon gehört, dass Menschen „vor ihrer Rettung“ in der Sphäre Satans leben (= in einer Welt voll von Sünde und Unheil) und anschließend in der Sphäre Gottes (= in einer Welt voll von Bewahrung und Heil). Von der Bibel her stellt sich das anders dar: Statt einem klaren „vorher-nachher“ findet sich hier eher ein Mit- und Ineinander.
Das Problem ist nicht, dass für Glaubende im Leben nicht immer alles gut und einfach ist. Zweifel, Ängste, Leid, Unerklärbares und Unbegründbares sind Teil des Lebens auch von Glaubenden. In den biblischen Texten, die das verhandeln, geht es nicht darum, dass es solche Erfahrungen nicht gibt. Die Frage ist vielmehr, inwieweit diese Erfahrungen dann das ganze GESAMTE Bild bestimmen und alles andere an den Rand drängen dürfen (= und dadurch mächtig, wenn nicht übermächtig werden). Was bestimmt den Blick inmitten von Zweifeln, Ängsten, Leid, Unerklärbarem und Unbegründbarem?
In den heutigen Bibelstellen verschließt G*tt die Augen nicht. Gott SIEHT: Adam und Eva. Hiob. Auch Jesus schaut genau hin: Jesus vergisst bei seinen Versuchungen den Gesamtzusammenhang nicht. Gerade da, wo die andere Stimme ihm zuflüstert, wie schön doch alles sein könnte.
Und dann spricht Petrus mit der gleichen Stimme („Alles soll schön sein! Von allem anderen will ich nichts wissen!“):
31 Jesus sprach mit seinen Jüngern zum ersten Mal darüber, dass der Menschensohn vieles erleiden müsse und von den Ältesten, den führenden Priestern und den Schriftgelehrten verworfen werde; er werde getötet werden und drei Tage danach auferstehen. 32 Klar und offen redete er darüber. Da nahm Petrus ihn beiseite und versuchte mit aller Macht, ihn davon abzubringen. 33 Aber Jesus wandte sich um, sah seine Jünger an und wies ihn scharf zurecht: »Geh weg von mir, Satan! Denn du denkst nicht die Dinge Gottes, sondern die der Menschen.«
Markus 8,31-34
Neue Genfer Übersetzung inkl. Anmerkung 14
(Hervorhebung von Ines-Paul)
Jesus erkennt sofort die Gefahr in dieser Stimme, die alles nur schön haben will. Aber auch hier darf diese Gefahr nicht den gesamten Blick vereinnahmen. Bevor sich Jesus damit befasst, wendet er sich den Jüngern zu. Die Beziehungsebene, das Sehen und Wahrnehmen der Nächsten, die Ausrichtung des Blicks auf das Miteinander (und romantische Intimität ist hier weder Ausgangspunkt noch Ziel!) gehen dem Umgang mit dem Problem voran. Distanzierung und Abgrenzung beginnen schon damit, dass Jesus den Fokus ändert und dem Problem nicht erlaubt, alles zu bestimmen und den Blickwinkel zu verengen.
Sicher, der Blick auf das Miteinander darf den Blick auf das Problem nicht verstellen.
Aber der Blick auf das Problem darf eben auch den Blick aufeinander nicht verstellen. Erst aus dieser Blickrichtung heraus (= wenn die Beziehungsebene im echten Leben wieder den Blickwinkel bestimmt) handelt Jesus.
*) „Aro Week“ (Aromantic Spectrum Awareness Week):
https://aktivista.net/2023/02/19/frohe-aromantic-spectrum-awareness-week/
**) Hier nur ein paar Beispiele von einer spontanen Internetsuche nach „Lyrics Jesus“, gefunden alle bei Hillsong Worship. Bitte nicht falsch verstehen – das ist ja nicht grundsätzlich alles inhaltlich „falsch“ (naja, manches daran finde ich schon sehr problematisch), und es gibt Unmengen anderer Liedtexte in dieser Richtung. Es war allerdings schon verblüffend, wie häufig das Motiv von romantischer Intimität und Exklusivität in der Gottesbeziehung schon allein bei einer einzigen Glaubensrichtung vorkommt:
With all I am
In Your grace I stand
The greatest of all romance
Love of God
(„Love on the Line“)
Own this sound forever
Heart and heaven together
Singin′ holy is Your name
And if it lifts You higher
Burn in me Your desire
A passion worthy of Your name
(„Heart Like Heaven“)
Here now with You
I have Heaven in me
Everything’s changed
And I will never be without You
And always with You
(„Here With You“)
You’re the fire in the morning
You’re the cool in the evening
The breath in my soul
The life in my bones
There is no hesitation
In Your love and affection
It’s the sweetest of all
Lord I know my heart wants more of
You My heart wants something new
So I surrender all
All I want is to live within Your love
Be undone by who You are
My desire is to know You deeper
Lord I will open up again
Throw my fears into the wind
I am desperate for a touch of heaven
Oooh, oooh, oooh, ooooh
Oooh, oooh, oooh, ooooh
I open up my heart to You
I open up my heart to You now
So do what only You can
(„Touch Of Heaven“)
Jesus, be all that I seek
Your presence is all that I need
(„Lettered Love“)
My dreams have found their purpose
My future in Your hands
This life would have no meaning
If it weren′t for You
So I lay me down
For Kingdom come
Steel all that is within me
‚Cause all I want in this world
Is more of You
(„You“)
I am desperate for your touch
A glimpse of heaven
For the glory of Your Son
In a moment You can
Turn a life around
Forever to be found in you
And I am reaching out to find
There′s nothing greater than
Your love that holds my life
(…)
Your love is like fire
That burns for all to see
My only desire
To worship at Your feet
So let this fire
Consume my life
Let Your love take me deeper
Draw me closer to where You are
‚Cause all I want is more of You
(„Love Like Fire“)